Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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Mustern und Farben, es multipliziert es aber auch, und bei einer Drehung der geschliffenen Linse wird das Gesehene fluide, vermischt sich mit anderem, tritt neu hervor. Besonders für die großen Fragen des 21. Jahrhunderts eignet sich diese Metapher sehr gut. Eine dieser drängenden Herausforderungen bezieht sich auf ökologisches Bewusstsein und Handeln. Dabei ergibt sich in den Debatten über dieses Themenfeld die Suche nach der Stellung des Menschen im Kontext der Weltzusammenhänge, die sowohl religiöse Blickwinkel als auch Genderdebatten tangiert. Vor allem der sogenannte Ökofeminismus hat sich mit einem Fokus auf Geschlecht vertieft mit Fragen rund um das Zusammenleben von Flora, Fauna und Mensch auseinandergesetzt und dabei nach Zusammenhängen der hierarchisch konstruierten Position des Menschen über die Welt und des Mannes über die Frau gesucht. In dieser Vertiefung verbindet der Ökofeminismus philosophische Reflexion mit Aktivismus. Die Suche nach der Stellung der Frau im Kontext ihrer Umwelt ist verknüpft mit einem Kampf gegen Systeme, die sowohl Frauen und Kinder als auch den Boden, die Tierwelt und die Pflanzen instrumentalisieren und ausnutzen. Ann Jeffers geht in ihrem Artikel Ökofeminismus. Über die Ausbeutung von Frau und Natur diesen komplexen ökofeministischen Strömungen nach. Sie zeigt auf, wie ökofeministische Bewegungen mit Weltbildern religiöser Traditionen interagieren und welche zentralen Fragen dabei debattiert werden. Im Ökofeminismus hat sich eine globale Bewegung über unterschiedliche religiöse Traditionen und verschiedene kulturelle Kontexte hinweg herausgeformt, die sich dieser bedeutenden aktuellen Problematik stellt.

      Diesen bei Ann Jeffers thematisierten Blick auf globale Kontexte vertieft Janet Wootton in ihrem Beitrag Frauenbewegungen in globalen Kontexten. Kritische Auseinandersetzung mit »Feminismen«. Feminismus ist nämlich nicht nur eine Bewegung von europäischen und nordamerikanischen Frauen, sondern wird aus unterschiedlichen kulturellen Perspektiven geformt und gedacht. Wootton kritisiert die noch immer zu findende kulturelle Befangenheit im »westlichen« Feminismus sowie deren teilweise bis heute vorhandene Verwobenheit mit dem Erbe des Kolonialismus und präsentiert einen Überblick über zentrale Positionen der weltweiten Frauenbewegung: Von Lateinamerika über den black feminism führt sie ihre Reise nach Asien zu den Dalit-Frauen in Indien und der Minjung-Theologie in Südkorea. Wootton zeigt auf, wie in diesen verschiedenen Kontexten gegen Gewalt und Unterdrückung gekämpft wird und welche Strategien Frauen im Dialog um Gleichberechtigung entwickeln. Am Ende ihres Beitrags diskutiert sie Homi Bhabhas Konzept der »Hybridität«, das er in seinem Buch The Location of Culture entwickelt hat und das hilfreich ist, um die Vielfalt dieser verschiedenen Diskurse und Kämpfe zu verstehen und zu kontextualisieren.

      Das Konzept von Fluidität und Vielschichtigkeit liegt auch Benedikt Bauers Beitrag zugrunde. Im Beitrag mit dem Titel »Where heaven and hell collide«. Intersektionen, Religion, Diskriminierungen und Potentiale widmet sich Bauer den intersektionalen Wechselströmungen von Gender und Religion. Mit der Verwendung des Begriff intersection wird ein weiteres metaphorisches Bild angestoßen, nämlich das einer Schnittstelle oder einer Kreuzung. Betont wird dabei die Verwebung von Geschlecht im Netzwerk von Kultur: Gender ist eine wichtige kulturelle Differenzkategorie, aber sie steht nicht alleine im luftleeren Raum, sondern ist, was sich vor allem bezüglich Diskriminierungs- und Ausgrenzungspraktiken prägnant zeigt, verknüpft mit anderen Kategorien wie race, Alter, Bildung. Allerdings handelt es sich bei diesen Überschneidungen, wie Benedikt Bauer ausführt, nicht einfach um simple Additionen von Diskriminierungen, sondern intersektionale Prozesse sind komplexer, und zeit- und kulturgeschichtliche Kontexte verfügen über je eigene Schnittstellen, Machtstrukturen und Differenzmechanismen, die wiederum fluide sind und sich je nach kollektiven Fragen und Diskursen transformieren.

      Grundlegend für alle bisherigen betrachteten Ansätze ist das Konzept des Körpers. Der Körper ist etwas, von dem wir alle wissen, was es ist, und das dennoch theoretisch kaum zu fassen ist. Wir sind Körper, aber gleichzeitig bleibt der Körper konzeptuell unbestimmbar und undefinierbar, die Reflexion über ihn schreitet an ihm vorbei. Claudia Jahnel beginnt ihren Artikel Körper und Religion. Jenseits von Somatophobie und Somatophilie mit dieser Unfassbarkeit des Körpers, die vor allem Judith Butler prägnant ausformuliert hat. Der Körper bildet, trotz seiner theoretisch schwierigen Erfassbarkeit, nicht nur ein Repräsentationssystem für Geschlecht, sondern auch für Religion: Religiöses Denken und Handeln sind körperlich geprägt. Claudia Jahnel fokussiert in ihrem Beitrag auf aktuelle theoretische Ansätze, die im Rahmen des material turn entstanden sind. Sie antworten auf die verschiedenen gegenwärtigen Diskurse rund um den Körper, beispielsweise politischer oder medizinischer Art, und definieren den Körper als Produkt unterschiedlicher kultureller Aushandlungsprozesse. Jahnel führt in diese neueren theoretischen Gedanken ein und reflektiert sie.

      Eine Verbindung zwischen früheren und aktuellen Ansätzen zieht auch Christian Feichtinger in seinem Beitrag Neue und alte Denkwege. Masculinity und Religion. Er unterscheidet dabei »Maskulinität« als symbolisches, zeit- und kulturspezifisch ausgeformtes Ideal männlicher Eigenschaften von »Mannsein« im Sinne von vielschichtigen empirisch beobachtbaren Aushandlungen von Gender. Während Maskulinität als binäre Differenzkategorie normativ aufgeladen wird, ist das auszuhandelnde Mannsein facettenreich. Die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeitsidealen in Religion ist jüngeren Datums; maßgebend dafür waren Erfahrungen von Homosexuellen mit Diskriminierungsprozessen. Dennoch ist auch gegenwärtig die Religionsforschung zu Männlichkeit noch im Entstehen. Feichtinger schließt seinen Beitrag deshalb mit einem Ausblick auf Aufgaben der Männlichkeitsforschung. Dazu gehört es, Männlichkeit als eine Genderkategorie ernst zu nehmen und den Einfluss von Religion auf Männlichkeitsbilder, aber auch von Männlichkeit auf unterschiedliche Religionen zu untersuchen.

      Bei diesen bisherigen Beiträgen wurde deutlich, dass nicht einfach von jeweils einem statischen Konzept gesprochen werden kann. Wissenschaftliche Konzeptualisierungsversuche stehen in Interrelation zu den jeweiligen emischen Konzepten in religiösen Gemeinschaften und Traditionen, aber auch zu Vorstellungen und Erwartungen, eben zum Beispiel hinsichtlich Männlichkeit, die in verschiedenen Medien, wie dem Internet, in Zeitungen, Filmen, Bildern, Musik, etc., ausgeformt und über sie vermittelt werden. Die hier besprochenen Konzepte sind also nicht homogen, sondern leben genau durch das reflexive Zusammenspiel unterschiedlicher Konzeptualisierungsprozesse. Besonders deutlich wird dies beim Beitrag von Stefanie Knauß. Sie geht in ihrem Artikel Queer. Das Konzept, das keines ist Theorieansätzen in diesem Bereich nach. Der Begriff queer entstammt dem HIV-/AIDS-Aktivismus sowie der LGBTQI+-Bewegung und ist sowohl vom öffentlichmedialen Diskurs als auch der Wissenschaft aufgenommen worden. Knauß geht der Forschungsgeschichte dieses Konzepts nach und zeigt auf, dass queere Theorien Identitäten denaturalisieren und die mit ihnen verbundenen Differenz- und Machtprozesse hinterfragen. Theorien über queere Diskurse formen eine Denkrichtung, die Normen, Werte und gesellschaftliche Erwartungen reflektiert. Das Vertraute, als natürlich Geltende wird benannt, analysiert und durchleuchtet, und zwar auch im Rahmen religiöser Traditionen und im Zuge der Religionsforschung. Dazu gehört selbstkritisch das Reflektieren von Grundkonzepten und Axiomen wissenschaftlicher Zugänge, was wir im vorliegenden Buch, vor allem in der Verbindung der Teile I, II und III andenken möchten.

      Ein ebenso komplexes und eng mit religiös geprägten Werten und Normen verbundenes Grundkonzept eines genderzentrierten Blicks ist die Familie. Familie formt über Sozialisation Gender- und Wertvorstellungen. Über dieses Konzept und mit ihm konnotierte Geschlechterrollen werden aber auch rege öffentliche Debatten geführt. Wie sind die verschiedenen Rollen innerhalb einer Familie geschlechtsspezifisch zu füllen? Wer gehört zeit- und kulturbezogen überhaupt zu einer Familie? Welche Normen gelten innerhalb der Familie und im Umgang mit ihr, welche Erwartungen sind, wiederum je nach Kontext, mit ihr verbunden? Welche Relationen bestehen zwischen Staat und Familie? Yasmina Foehr-Janssens zeigt diese vielschichtigen Verflechtungen von Familie, Geschlecht und Religion in ihrem Beitrag »Papa, Mama und die Kinder, das ist natürlich!« Familienvorstellungen auf der Spur eindrücklich auf. Sie macht deutlich, wie religiöse Weltbilder und Gendervorstellungen über repräsentative Regimes von Familie legitimiert, naturalisiert, aber auch durchbrochen und in Frage gestellt werden.

      Die Beiträge dieses zweiten Teils des Handbuchs werfen je unterschiedliche Blickwinkel auf zentrale Konzepte des Wechselspiels zwischen Gender und Religion. Sie betonen jeweils spezifische Dimensionen und treten somit miteinander


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