Einfach.Nur.Tom.. Darius Tech

Einfach.Nur.Tom. - Darius Tech


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zumindest versuche ich keines zu sein, aber wenn sich jemand so offensichtlich selbst zugrunde richtet, fällt es mir schwer, Mitleid zu haben.

      „Weißt du, er hat jetzt ein Magengeschwür. Bestimmt, weil er nicht über seine Trauer gesprochen hat.“ Sie klingt so, als stünde sie vor einer Klasse aufsässiger Kinder.

      Kelly studiert Pädagogik, leider glaubt sie seit Neuestem, das mache sie auch zu einer guten Psychologin. Obwohl, vielleicht glaubte sie das schon immer. Ich merke es einfach erst, seitdem ich das erwählte Ziel ihrer Therapie geworden bin.

      Während mein Gehirn damit beschäftigt ist, eine adäquate Reaktion zu formulieren, starre ich sie wortlos an. Variante A schlägt vor, zu stöhnen und den Kopf auf die Tischplatte zu schlagen, leider steht da meine halbvolle Müslischale. Variante B schlägt vor, einen Lachanfall zu bekommen, weil ich mir ziemlich sicher bin, was Onkel Mels Magengeschwür tatsächlich verursacht hat. Dazu bedarf es weder eines Psychologie- noch eines Medizinstudiums.

      Während ich ernsthaft mit Variante B ringe, täusche ich vor, dass ich mich verschluckt hätte. „Warum erzählst du mir das?“

      „Schatz, die Sache mit Nat …“ Ihre Pause ist dramatisch. Ernsthaft, ich sollte sie meine Verhöre für mich führen lassen, das würde zwar vermutlich zu nicht besonders vielen Ergebnissen führen, aber es wäre zumindest unterhaltsam. „Man darf so etwas nicht in sich hineinfressen.“

      Nat Cunningham, das ist mein Partner … Mein Ex-Partner, um genauer zu sein. Ein guter, engagierter und ehrlicher Cop, dem jeder Fall und jedes Opfer gleichermaßen wichtig waren. Davon abgesehen, er war der mit Abstand beste Freund, den ich in L.A. jemals hatte.

      „Welche Sache? Er ist tot, jemand hat ihn erschossen. Seinen langjährigen Partner zu verlieren, ist Scheiße, Kelly. Aber darüber zu reden, macht ihn in keiner Weise lebendig.“ Es ist mehr als Scheiße … Es ist so, als würde einem ein Arm und ein Bein abgeschnitten und man könne den Übeltäter nicht einmal vollbluten … Aber wie soll ich das dieser Frau begreiflich machen, ohne dass ihre Augen mit noch mehr Mitleid gefüllt würden?

      Sie wird eine gute Lehrerin werden, das sehe ich. Die Grundschulkinder, die sie ziemlich bald unterrichten wird, werden sie lieben. Unsere Hochzeit soll kurz vor dem Antritt ihrer ersten Stelle stattfinden, wenn alles nach Plan läuft. Sie möchte unbedingt als verheiratete Frau in den Beruf einsteigen. ‚Weil sich das so gehört‘, sagt sie.

      Ich allerdings bin kein Grundschüler. Trotzdem war ich mir bis vor Kurzem sicher, dass ich sie liebe. Jetzt frage ich mich allmählich, ob ich nicht auf einem Auge blind war. Aber ich verstehe, dass sie sauer ist, als ich aufstehe und sie ohne weitere Erklärung in der Küche zurücklasse.

      Was das Psychologische betrifft, mir haben die vorgeschriebenen Sitzungen beim Polizeipsychologen bereits mehr als gereicht. Ich mag es überhaupt nicht, wenn jemand in meinem Kopf herumstochert. Der Dreck, der dabei zutage gefördert werden könnte, nutzt mir noch viel weniger als ihr Mitleid.

      ***

      Seit drei Tagen bin ich jetzt wieder im Dienst, das heißt, ich darf an meinem Schreibtisch sitzen, mich zu TODE langweilen und über meine nicht mehr funktionierende Beziehung grübeln. Zumindest, wenn ich nicht darüber nachdenke, was ich hätte anders machen können, um Nat zu retten und wie ich ihm den Rücken hätte freihalten können. So, wie viele Male zuvor. So, wie er mich viele Male zuvor gerettet hat. Meine Zeit als Neuling liegt lange zurück und ich weiß gut genug, dass es darauf keine Antwort gibt. Die gibt es selten. Aber das bedeutet nicht, dass man sie nicht sucht.

      Wenn ich Glück habe, darf ich meinen Kollegen bei der Computerrecherche helfen. Sehr spannend!

      Mein Blick fällt über den Schreibtisch, zu dem leeren Stuhl mir gegenüber, Nats Arbeitsplatz. Ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er mir vom letzten Wochenende erzählt. Davon berichtet, dass ich mal wieder gefehlt habe. Eine häufige Beschwerde, seit ich mit Kelly zusammen bin. Herrgott, ich werde halt sesshaft, nicht wahr? Wird man das nicht mit 27? Ist das nicht normal?

      Ich weiß, was Nat auf diese Fragen sagen würde. Du hast nur ein Leben, Partner! Hör endlich auf zu tun, was man halt so tut! Hör auf, die Erwartungen anderer zu erfüllen und fang an, richtig zu leben, Mickey!

      Nat war Ende 30. Ungeachtet dessen habe ich mich oft gefühlt, als wäre ich der Ältere von uns.

      „Hey, Simmons?!“ Die Stimme des Captains klingt aus seinem Glaskasten am Ende des Großraumbüros des Morddezernats.

      „Ja Sir?“

      „Jemand hat vorhin die First National ausgeraubt, zwei Straßen weiter, und anscheinend gibt es da sehr viele Zeugenaussagen aufzunehmen. Die vom Raub fragen, ob wir ihnen ein paar Ohren leihen können. Hast du Lust, dir die Füße zu vertreten?“

      Das wäre eigentlich eher eine Aufgabe für einen Streifenpolizisten, keinen Detective. Ich könnte daher beleidigt sein, aber Captain Henry Myers gehört zu den wenigen Menschen, die ich wirklich zutiefst respektiere. Ich denke, ich könnte diese Menschen an meinen Fingern abzählen. Er ist ein Cop, der noch immer am liebsten auf der Straße wäre. Jemand, der nur hinter dem Schreibtisch sitzt, weil man ihm keine wirkliche Wahl gelassen hat. Nat hat ihn noch als Detective kennengelernt und bis ihm eine Dienstverletzung eine Gehbehinderung bescherte, blieb er im Außendienst. Dann ließ man ihm zwei Optionen, Beförderung in den Innendienst oder Zivilist. Und er weiß mit Sicherheit ganz genau, dass ich gerade jede Gelegenheit wahrnehme, um aus diesem Revier herauszukommen. Es würde mich daher nicht wundern, wenn es umgekehrt gewesen wäre und er den Kollegen ein paar zusätzliche Ohren angeboten hat, nur um mir Ausgang zu verschaffen.

      „Ja Sir! Ich bin unterwegs!“ Jetzt gerade bin ich meinem Captain vor allem sehr dankbar. Mein Schreibtisch ist der letzte Ort in Los Angeles, an dem ich sein will. Auf dem Weg nach draußen versuche ich die Geister abzuschütteln, die mich an diesem Ort seit meiner Dienstrückkehr immer wieder heimsuchen.

      ***

      Meine Dankbarkeit verfliegt jedoch schnell, als ich in der Bank eintreffe. Catlin und Deeks bearbeiten den Fall, sie sind alte Kollegen aus meiner Anfangszeit nach der Akademie. Die beiden waren, knapp gesagt, nicht gerade meine Lieblingskollegen. Sie waren mir immer zu albern, stets auf der Lauer, um einem Neuling einen „gutgemeinten“ Spruch mit auf den Weg zu geben. Die zwei stellten sozusagen die Klassenclowns des Raubdezernats dar, während ich noch an meiner Schlagfertigkeit zu feilen hatte.

      In einem Anflug von Hilfsbereitschaft hat jemand eine Ansammlung hässlicher, weißer aber zweifelsohne hochmoderner Plastikstühle aus den Büros der Bankangestellten in die Lobby geschafft. Auf diesen wartet tatsächlich eine überraschend große Anzahl Menschen. Manche wirken genervt, andere ängstlich oder schockiert. Wer überfällt denn eine Bank, wenn gerade Hochbetrieb herrscht? Die Bankräuber scheinen ja richtige Experten zu sein.

      Auf einem der Stühle sitzt ein sehr jugendlich wirkender dunkelhäutiger Mann. Sein hellbraunes Gesicht wird von halbgebändigten Locken umrahmt und deutet eine vermutlich gemischte Abstammung an. Er trägt eine schlichte Jeans und eine Jacke aus dem gleichen Material. Unsere Augen treffen sich in demselben Moment, in dem ich die Bank betrete. Er grinst mich an, irgendwie schelmisch, so als würden wir beide ein Geheimnis miteinander teilen. Mein Blick bleibt an seinem Lächeln kleben. Für eine Sekunde erstarre ich in meiner Bewegung, bis mich Catlin und Deeks ansprechen, natürlich wegen Nat.

      Das bekomme ich ständig zu hören. Allen tut die Sache mit Nat leid. Die Sache mit Nat … Zum Teufel! Wieso wissen die beiden überhaupt darüber Bescheid, sie sind nicht mal in meiner Abteilung. Dass ich beim Raub war, ist jetzt fünf lange Jahre her, da war ich gerade erst vom Streifenpolizisten befördert worden und somit kaum mehr als ein Rookie. Ja, klar spricht sich ein toter Kollege wie ein Lauffeuer herum, aber ihre Neugier ärgert mich einfach. Es geht die beiden schließlich nichts an, oder? Sollen sie ihre Floskeln doch für sich behalten. Ich halte mich an meiner Wut fest, sie ist eine alte Freundin, die mich noch nie im Stich gelassen hat. Vor allem ist es einfacher sich mit ihr auseinanderzusetzen, als mit meinen anderen Emotionen, die aufwallen wollen. Wenn ich mich auf sie konzentriere, kann ich meistens alle anderen Gefühle unter Kontrolle


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