Einfach.Nur.Tom.. Darius Tech

Einfach.Nur.Tom. - Darius Tech


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befragen, spüre ich beständig ein paar Augen auf mir ruhen. Der Lockenkopf in Denim beobachtet mich unentwegt. Was auch immer er an mir so interessant finden mag, es bleibt mir ein Rätsel. Er scheint dabei beständig irgendetwas in sein Notizbuch zu kritzeln, während er seinen rechten Fuß auf das linke Knie gelagert hat, vermutlich um eine Unterlage für das, was er dort zu Papier bringt, zu schaffen. Seltsam, dass er dort mit Stift und Papier sitzt. Die meisten der Wartenden scheinen in ihr Smartphone vertieft zu sein. Seine Blicke wandern allerdings immer wieder zu mir. Ebenso oft wandern meine Blicke zu ihm, ohne mein bewusstes Zutun. Einige Male treffen sie sich und ich muss unwillentlich schlucken, während ich demonstrativ wegschaue. Er hingegen schenkt mir jedes Mal ein Lächeln.

      Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mich aus dem Konzept bringt. Und doch befrage ich alle, außer ihn. Ich lasse ihn warten, bis ich ihm nicht mehr ausweichen kann. Warum ich mich überhaupt von ihm beeindrucken lasse, ist mir ein Rätsel. Eigentlich bin ich gegen diese Dinge schon lange immun. Wenn man als Kind bereits immer im Fokus der Öffentlichkeit steht, dann lernt man es, Blicke auszublenden. Und in Nagsville, PA, war ich immer DER Fokus der Öffentlichkeit, die traurig-tragische Berühmtheit der Stadt. Seine Blicke aber fühlen sich anders an und irgendwann ertappe ich mich dabei, dass ich seinen Blick suche, was mich endgültig verwirrt.

      Schließlich lässt es sich jedoch nicht mehr vermeiden, mit ihm zu reden. Als ich mich ihm nähere, wird mir sofort klar, dass er kein Jugendlicher mehr ist, aber er hat dieses zeitlose Gesicht, das manche Menschen haben. Wahrscheinlich wird man ihn noch mit vierzig nach seinem Ausweis fragen, wenn er eine Bar betritt. Etwas Unbekanntes sitzt auf meiner Zunge und lässt mich schlucken, bevor ich den Fremden mit der schwarzen Lockenpracht anspreche. „Hi! Mein Name ist Detective Simmons! Sind Sie bereits befragt worden?“

      Natürlich ist er das nicht. Volldepp! Sonst säße er hier wohl nicht mehr so blöd herum. Er sieht unverwandt auf meine Hand, dann schaut er zu mir auf. Vermutlich hält er mich für einen komplett hirnlosen Vollidioten. Unter dem intensiven Blick seiner grauen Augen fühle ich mich nackt, ganz so, als sähe er bis auf den Grund meiner Seele. Ich bleibe an diesen Augen hängen, die in dem milchkaffeefarbenen Gesicht so ungewöhnlich und exotisch wirken. Ein paar braune Punkte tanzen darin wie Funken. Es sieht aus, als habe jemand versucht, ihm eine andere Augenfarbe zu verleihen, doch dann ist ihm die Farbe ausgegangen. Der Effekt ist hypnotisierend. Sekunden verstreichen, ohne dass einer von uns den Blick abwendet, sich bewegt oder spricht.

      „Tom … Thomas … Tommy Parker“, sagt er schließlich, etwas abgehackt, als er meine Hand ergreift. Seine Stimme ist sanft und tief, trotz der holprigen Sprache. Und seine Züge werden noch ein wenig dunkler. Sein, jetzt gerötetes Gesicht wird dabei von seinen Locken umrahmt, das Gesicht eines Engels. Ich schlucke verwirrt, was ist nur an diesem Typen, das mich so aus dem Gleichgewicht bringt, dass ich ernsthaft das Gesicht eines Mannes mit einem Engel vergleiche. Und seit wann haben Engel eigentlich schwarze Bartstoppeln?

      Er sieht mich weiterhin mit seiner wirklich niedlichen Schamesröte an. War das sein Ernst? Haben ihn seine Eltern so sehr gehasst, oder ist er einfach nur genauso verwirrt, wie ich es gerade bin?

      „Tom Thomas Tommy Parker?“ Was soll ich dazu sagen?

      „Verzeihung, Detective!“ Sein Gesicht legt noch ein wenig an Farbe zu. „Der … Überfall hat mich wohl doch ein wenig mehr durcheinandergebracht, als ich angenommen habe“, erklärt er schließlich. „Nur Tom. Und nein, mich hat bislang noch niemand befragt.“ Seine Aussprache ist melodiös und gewählt, man kann ihm eine gehobene Bildung anhören. Seine einfache Straßenkleidung täuscht wahrscheinlich und er bewegt sich bestimmt in völlig anderen Kreisen als ich. Das interessiert mich natürlich nur rein beruflich, glaube ich zumindest. Ehrlich gesagt geht es mich auch überhaupt nichts an.

      „Geht es Ihnen gut? Nur Tom?“ Ich kann nicht anders, während ich versuche zu begreifen, was mit mir gerade passiert, steige ich grinsend auf seine Vorlage ein. Mein Dank ist ein Lächeln seinerseits, etwas verlegen, aber nicht weniger wirkungsvoll als die schelmische Variante vorhin. Wenn ich auf Männer stehen würde, dann würde Tom Thomas Tommy Parker gerade einfach zum Anbeißen aussehen. Ich schüttele den seltsamen Gedanken ab. Was zum Geier geht heute bloß in meinem Kopf vor?

      Ich heirate in zwei Monaten. Kelly ist das größte Ausmaß an Normalität, welches jemand wie ich in seinem Leben erwarten kann. Das sollte ich nicht vergessen. Kelly ist meine Zukunft, in der meine hässliche Vergangenheit unsichtbar hinter unserer Beziehung in Vergessenheit geraten kann.

      Ich setze mich trotz dieser Erinnerung an die Tatsachen auf den leeren Stuhl neben ihm. Ich versuche so, mich auf seine Ebene zu begeben, was ich ja zumindest bei den nervöseren Zeugen ebenfalls gemacht habe. Es gibt schließlich keinen sinnvollen Grund dieses Gespräch wie ein Verhör zu führen. „Mickey, Mickey Simmons.“

      Niemandem sonst habe ich hier jedoch meinen Vornamen verraten. Was mich dazu bewegt hat, es bei ihm zu tun, versuche ich erst gar nicht zu verstehen.

      Der Blick aus diesen grauen Augen bleibt mir ein Rätsel. Denkt er etwa, ich flirte mit ihm? Flirte ich etwa tatsächlich mit ihm? Seine Augen weichen meinem Blick schließlich aus, bleiben dann an meinen Händen hängen. Es scheint ein deutlicher Ruck durch seinen Körper zu gehen. Noch während ich mich frage, was das soll, räuspert er sich.

      „Sehr witzig! Ja, es geht mir gut, aber könnten wir bitte anfangen, ich habe heute noch andere Termine!“ Seine Stimme ist plötzlich distanziert und gereizt. Ich frage mich, was diesen unerwarteten Stimmungswandel verursacht hat. Was ich weiß ist, dass ich die mentale Distanz fast körperlich wahrnehme. Das irrationale Gefühl verwirrt mich zutiefst.

      Einige Momente lang starre ich ihn irritiert an, etwas zu lange, um noch professionell zu wirken. Sein Blick ist jetzt herausfordernd. OK, verstanden, etwas passt ihm nicht. Auch wenn ich absolut nicht begreife, was ich gerade falsch gemacht haben könnte. Die Frage, was auch immer das sein mag, stört mich dabei mehr, als sie es sollte.

      „Also gut, haben Sie etwas gesehen, Mr. Parker?“ Mein Tonfall ist jetzt völlig sachlich geworden. Besser, wir bringen diese Angelegenheit schnell hinter uns. Wahrscheinlich weiß er genauso viel wie die anderen Leute in der Bank, nämlich nichts.

      „Nicht, als die Täter in der Bank waren. Ich wollte nur an den Automaten.“ Er weist jetzt auf den Bereich rechts des Haupteingangs. „Dahinten habe ich auch während des Überfalls gelegen. Dann sind sie hinausgelaufen und das Fluchtfahrzeug kam die Straße entlang, von dort!“ Wieder setzt er seine feingliedrigen Hände ein, um das, was er sagt, zu beschreiben.

      Die Hände eines Künstlers … Anscheinend bringt Tom Thomas Tommy Parker mein Gehirn auf allerlei unpassende Gedanken. Großartig!

      „Draußen haben sie sich die Masken vom Gesicht gezogen. Ich konnte denjenigen sehen, der auf der Fahrerseite hinten eingestiegen ist. In diesem, ähm … was auch immer es sein soll, hat sich sein Gesicht gespiegelt, als er sich die Maske abgestreift hat.“ Er zeigt dabei auf die ziemlich sinnlose und hässliche Spiegelstatue, die im Eingangsbereich der Bank förmlich zu lauern scheint. Wahrscheinlich hat dafür irgendein untertalentierter und überbewerteter Künstler ein größeres Vermögen bekommen, als die Räuber heute erbeutet haben.

      „Kunstkritiker, hmm?“ Warum ich mich ausgerechnet an dem unwichtigsten Element seiner Aussage aufhänge, ist mir selbst ein Rätsel. Aber ich kann nicht anders, als ihn erneut anzugrinsen. Es ist so, als ob er mir einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit präsentiert hat, die er vor nicht einmal einer Minute hinter einer Maske hat verschwinden lassen.

      Er grinst zurück. Ich merke, dass mein Puls beschleunigt, als sich sein Gesicht wieder in das eines Engels verwandelt. Meine Augen bleiben erneut an seiner Mundpartie und dem Bartschatten, der sie umgibt, kleben. Was zum Teufel ist heute bloß in mich gefahren? Tom, nur Tom, Parker bringt mich völlig durcheinander und ich rudere verzweifelt rückwärts.

      „Sie haben also einen der Täter erkennen können?“ Ich bemühe mich wieder um professionelle Distanz.

      „Nicht nur das“, er klappt jetzt seine Mappe auf, die er zuvor auf dem Schoß verschlossen gehalten hat. „Ich habe ein fotografisches Gedächtnis.“ Ein Hauch


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