Tödliche Dunkelheit. Heribert Weishaupt
sind kaum Menschen auf den Gehwegen und die, die sich bei dem Wetter nach draußen trauen, stemmen sich mit gesenkten Köpfen hinter dem Schirm gegen den Wind und den Regen und beeilen sich, den Widrigkeiten des Wetters zu entkommen.
Trotzdem schaut er sich vorsichtig um, als er aus dem Wagen steigt. Er hat keinen Schirm dabei. Schnell zieht er die Kapuze über den Kopf. Nicht nur wegen des Regens. Die tief ins Gesicht gezogene Kapuze macht ihn fast unkenntlich. Niemand soll sich an ihn und an sein Gesicht erinnern. Mit den Händen in den Taschen, den Kopf gesenkt, läuft er hinüber zum Eingang des Hauses mit der Hausnummer 27.
Vor dem Eingang, wo er weitgehend vor dem Regen geschützt ist, streift er sich routiniert dünne Latexhandschuhe über. Er hasst diese Vorsichtsmaßnahme. Das prickelnde Gefühl, wenn er über nackte Haut streicht, wird dadurch erheblich gemildert. Aus Sicherheitsgründen hat er keine andere Wahl. Er darf keinerlei Spuren hinterlassen.
Er findet den Namen ohne Umschweife auf der Tafel der Mieter und drückt den Klingelknopf. Nichts geschieht. Das hat er auch nicht anders erwartet aber jetzt ist er sicher, dass sich niemand in der Wohnung befindet, dass die Wohnungsinhaberin noch nicht nach Hause gekommen ist. Er nimmt den Nachschlüssel und schließt die Haustür auf.
Auf die Benutzung des Fahrstuhls verzichtet er. Er will nicht das Risiko eingehen, jemandem zu begegnen, der ihn die gesamte Fahrt über, auch wenn diese nur zehn oder fünfzehn Sekunden dauert, ansieht.
Geschmeidig und behänd wie eine Katze, eilt er das nüchterne Treppenhaus hinauf. Erwartungsgemäß begegnet ihm niemand. Welcher Mieter benutzt schon das Treppenhaus, wenn ein Fahrstuhl vorhanden ist?
Außer Atem erreicht er den Flur in der dritten Etage. Ruhelos schaut er sich um und findet schnell die gesuchte Wohnungstür.
Bevor er auch diese Tür mit einem Nachschlüssel öffnet, putzt er pedantisch seine nassen Schuhe auf der davor liegenden Fußmatte ab. Er darf keine verräterischen Fußspuren in der Wohnung hinterlassen.
Er drückt die Tür auf. Noch schnell ein finaler Blick rechts und links in den Flur, dann huscht er in die kleine Diele. Er schiebt die Tür leise hinter sich ins Schloss und verschließt sie wieder. In der Diele verharrt er einige Sekunden reglos und horcht. Keine ungewöhnlichen Geräusche. Nur das Prasseln des Regens und das Heulen des Windes sind zu hören. Die Tür zum Wohnzimmer steht offen. Er geht hinein und scheint mit den Augen jedes Möbelstück und jedes Accessoire zu scannen. Ja, das entspricht auch seinen Vorstellungen: Moderne Einrichtung, sauber und aufgeräumt. Dann ein Blick in die Küche und ins Bad. Hier das Gleiche. Sein Eindruck verfestigt sich. Die Frau hat einen guten Geschmack – so wie er, was die Frauen betrifft.
Zuletzt betritt er das Schlafzimmer. Ein breites, französisches Bett. Vielleicht zu breit und zu protzig für eine Single-Frau. Aber vielleicht hat sie öfter Herrenbesuche über Nacht, mit denen sie das Bett teilt. Das kann die Sache für ihn vielleicht einfacher machen. Einen festen Freund hat sie im Augenblick jedenfalls nicht. Das hat er herausgefunden. Daher wird sie auch heute, wie jeden Tag in den letzten Wochen, voraussichtlich allein nach Hause kommen.
Er weiß, ein gewisses Restrisiko, dass sie womöglich jemand mit nach Hause bringt, besteht immer. Dann hätte er ein Problem, für das er auch eine Lösung einkalkuliert hat. Aber sein Vergnügen würde dann zwangsläufig ausfallen.
Er rechnet mit einer Wartezeit von ungefähr einer Stunde. Dann wird sie von der Arbeit nach Hause kommen. Das ist für ihn durchaus akzeptabel. Wenn das Ziel es wert ist, kann er geduldig sein – und wert ist es das Ziel, zweifellos. Genauer betrachtet liebt er sogar diese Wartezeit, in der sich seine Vorfreude und Erregung immer mehr aufbaut.
Endlich hört er das ersehnte Geräusch. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss der Wohnungstür. Er zieht die schwarze Sturmmaske aus seiner Jackentasche und streift sie schnell über den Kopf. Lediglich Augen und Mund bleiben frei.
Die Wohnungstür ist wieder ins Schloss gefallen. Er vernimmt Schritte in der Diele, die sich in Richtung Schlafzimmer bewegen. Er steht bereits versteckt hinter der halb geöffneten Schlafzimmertür, den Rücken gegen die Wand gepresst. Mit einem Ruck öffnet sich die Tür fast vollständig und trifft ihn beinahe. Er drückt den Rücken noch fester gegen die Wand.
Zu seiner Freude bleibt die Tür offen, sodass er dahinter nicht zu sehen ist. Er wartet. Sein Mund ist trocken. Er kennt das. Es ist die Aufregung und die Spannung.
Eine junge, zierliche Frau mit kurzen, schwarzen Haaren tritt ins Zimmer. Sie ist hübsch. Sie wendet seinem Versteck den Rücken zu. Er kann ungehindert beobachten, wie sie mit natürlichen Bewegungen die Knöpfe ihrer Bluse öffnet, sie auszieht und mit Schwung auf das Bett wirft. Dann zieht sie ihre Jeans aus. Auch diese landet mit Schwung auf dem Bett.
Der weiße BH und Slip auf ihrer leicht gebräunten Haut erregen ihn aufs Höchste.
Er hat genug gesehen. Er kann nicht mehr warten – er muss handeln. Mit einem gewaltigen Tritt schmettert er die Tür ins Schloss.
Die Frau fährt herum und erstarrt für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie versucht, nach der Klinke zu greifen. Dieser Sekundenbruchteil genügt ihm und er umschlingt sie mit seinen muskulösen Armen und wirft sie auf das Bett. Sofort springt er hinterher und drückt sie mit seinem Gewicht in die Kissen.
Seine kräftige Hand verschließt ihren Mund, denn Schreie oder Hilferufe kann er sich nicht leisten. Mit der anderen Hand packt er den BH und reißt ihn der Frau vom Körper. Auf die gleiche brutale Art entfernt er den Slip. Die Frau windet sich unter ihm und tritt aus Leibeskräften mit den Beinen ohne ihren Gegner zu treffen. Ihre Fäuste trommeln auf seinem Rücken und gegen seine Schultern.
„Wenn du schreist, wirst du es bereuen“, sind seine ersten, heiseren Worte.
Die schwarze Maske mit den dunklen, glühenden Augen ist direkt über ihrem Gesicht. Seine Hand gibt den Mund der Frau frei. Die Angst und der Anblick der Maske lähmen sie. Sie gibt keinen Laut von sich.
Ihr Atem geht stoßweise. Ihr Körper ist verkrampft und schmerzt. Sie begreift, sie hat keine Chance.
Auch der Mann atmet schwer.
„Versuch es zu genießen. Du magst es doch auch“, fügt er in einem fast freundlichen Ton hinzu.
Inzwischen rinnen Tränen über ihr Gesicht. Sie versucht nicht, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Ihr ist klar, was jetzt geschehen wird.
Die Ahnung der Frau bestätigt sich auf brutale Art. Der Mann keucht. Sein stoßweiser Atem schlägt ihr ins Gesicht. Sie ist zu keiner Reaktion und zu keinem Laut mehr fähig. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Ihre Bewegungen erlahmen und ihr zierlicher Körper verhärtet sich. Sie fühlt sich wie betäubt, wie erstarrt. Der Mann nimmt darauf keinerlei Rücksicht. Kompromisslos vollzieht er die Vergewaltigung.
Schmerz durchflutet ihren Körper. Mit weit geöffneten Augen starrt sie an der Furcht erregenden Gesichtsmaske vorbei gegen die Zimmerdecke. Sie ist wie zu Eis erstarrt.
So plötzlich wie der Albtraum begonnen hat, so endet er. Der Mann hat erreicht, was er erreichen wollte, springt vom Bett und hastet zur Tür. Bevor er aus ihrem Blick verschwindet, hält er kurz inne und dreht sich um.
„Und keine Polizei, sonst …“
Er lässt offen, was dann passieren wird. Den angsterfüllten Blick der Frau ignoriert er. Ohne ein weiteres Wort verschwindet er aus dem Schlafzimmer.
Die Frau hört, wie die Wohnungstür ins Schloss fällt. Es dauert lange, bis sich ihre Erstarrung löst. Dann bricht sie erschöpft und erniedrigt in Tränen aus.
2
Freitag, 05.07.2015 – 15:45 Uhr
Ich bin wie Millionen anderer Menschen. Und ich bin damit zufrieden – will grundsätzlich auch gar nicht anders sein. Sollte ich jemals in meinem Leben einen Mann