Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung. Stefan Goertz

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sowohl politische Entscheidungsträger als auch Sicherheitsbehörden und die Medien vor Erklärungsschwierigkeiten gestellt in Bezug auf die Qualität und Quantität dieser Gewaltexzesse, die von zahlreichen politischen und medialen Akteuren als „unerwartet“[1] und als „neue Dimension linksterroristischer und autonomer Gewalt“[2] bewertet wurden.

      Diese Thesen muss man auch auf die Phänomenbereiche „Reichsbürger“, Rechtsextremismus sowie Islamismus und insbesondere auf die Radikalisierungsforschung dieser Phänomenbereiche übertragen. Auch nach über 19 Jahren nach den historischen Anschlägen des 11.9.2001 ist immer noch ein eklatantes Analysevakuum im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch innerhalb der Sicherheitsbehörden, festzustellen. Spätestens die zahlreichen seit dem Jahr 2016 verübten und versuchten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union sollten bzw. müssen eine Zeitenwende der Betrachtung und Analyse des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus auslösen.

      Was haben linksextremistische, rechtsextremistische, islamistische Straftäter und Straftäter der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gemeinsam?

      Was wiederum unterscheidet sie voneinander?

      Eine effektive Analyse der unterschiedlichen Phänomenbereiche PMK muss von der Grundannahme ausgehen, dass dieser Phänomenbereich hoch komplex ist und notwendigerweise analysiert werden muss.

      Folgende Analysebereiche stehen daher im Mittelpunkt der Untersuchung dieses Buches:

Radikalisierung: Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien wie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) und wenden Gewalt an, um religiös-politische (Islamismus) bzw. politische Ziele (Linksextremismus, Rechtsextremismus, „Reichsbürger“) zu erreichen?
Akteursanalyse: Wer wird warum Extremist und/oder islamistischer, rechtsextremistischer, linksextremistischer Terrorist?
Taktik und Mittel: Wie gehen Extremisten vor? Können (wiederkehrende) Muster identifiziert werden, aus denen dann Gegenmaßnahmen entwickelt werden können?

      Nicht erst die islamistischen Anschläge und Attentate der Jahre 2015 bis 2020 in europäischen Staaten wie Frankreich und Deutschland mit insgesamt 800 Toten und über 3.750 Verletzten, die drei rechtsextremistisch-terroristischen Anschläge in den Jahren 2019 und 2020 sowie der Fall NSU und die Gewaltexzesse im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg 2017 verdeutlichen die Bedeutung von Radikalisierungsforschung in den unterschiedlichen Phänomenbereichen politisch motivierter Gewalt. Die dominierende analytische Leitfrage dieses Buches lautet daher:

       Warum und wie radikalisieren sich Menschen, die in demokratischen, freiheitlichen, sozialstaatlichen Gesellschaften aufgewachsen und/oder geboren sind, zu Extremisten und/oder Terroristen, die grundlegende Verfassungsprinzipien wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität und Minderheitenschutz ablehnen und ihre politische bzw. religiös-politische Ideologie zur Grundlage des Lebens aller Menschen machen wollen?

      Anmerkungen

       [1]

      http://www.zeit.de/politik/2017-07/g20-gipfel-hamburg-live; 2.1.2021.

       [2]

      http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/polizeibilanz-nach-gzwanzig-gipfel-100.html; 2.1.2021.

       [3]

      https://www.abendblatt.de/hamburg/article211207427/Linksextremismus-von-Gesellschaft-teilweise-verharmlost.html; 2.1.2021.

       [4]

      Pfahl-Traughber 2014, S. 232.

      I Einleitung › 2. Aktuelle Entwicklungen

      Außerdem wurden seit 2004 in Europa über 89 islamistische Anschläge verübt bzw. durch Sicherheitsbehörden verhindert. Durch die verübten islamistischen Anschläge starben 800 Menschen und wurden über 3745 Menschen verletzt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden allein in Deutschland seit 2016 neun islamistische Anschläge verhindert, zwei davon im Winter 2019.

      Anmerkungen

       [1]

      BfV 2020b.

       [2]

      Ebd.


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