Franz Grillparzer. Группа авторов
betrachtet, eher ein biedermeierliches Palais vermuten ließe, als einen Zweckbau für die Aufbewahrung von Akten). Mit seiner ebenfalls denkmalgeschützten Regalstruktur zählt es zu den ältesten europäischen Verwaltungsarchiven. Dieser Ort drückt an sich schon das zwiespältige Verhältnis des für eine aufgeklärte monarchische Ordnung eintretenden Dichters zur Realverfassung des Habsburgerstaates aus.
Im Zentrum des Grillparzer gewidmeten Bereichs steht das Arbeitszimmer, dessen auffälligstes Möbelstück ein Stehpult ist, an dem Grillparzer mit ziemlicher Sicherheit auch an seinen literarischen Texten gearbeitet hat. Auch ohne inszenatorische Eingriffe (lediglich die Schriftstücke auf dem Schreibtisch und die Bücher auf dem Bücherbord im Hintergrund sind Zutaten der Kurator:innen) wirkt das Zimmer als habsburgisches „Büro“; karg und ohne jegliches Zeichen von Extravaganz symbolisiert es die Zweckmäßigkeit der Verwaltung. Das Kruzifix, angebracht über dem Stehpult, gemahnt an die Staat und Verwaltung überwölbende göttliche Ordnung. In der Gangflucht außerhalb des Zimmers inszeniert die Ausstellung Grillparzers Doppelleben als Beamter und Schriftsteller. Wie an vielen Stellen wird auch hier das historische Setting durchbrochen – durch das Thema gestalterisch wie inhaltlich umspielende, erläuternde, ironisierende Elemente.
Grillparzers Selbstzweifel als Schriftsteller, seine Befürchtung gar, sowohl „zur dramatischen Poesie“ als auch zum „Lustspiel“ „wenig Anlage“ zu besitzen, wurde vom Comiczeichner und Illustrator Nicolas Mahler zum Ausgangspunkt für ein Grillparzer-Comic genommen; es ist auf einem Touchscreen, der sich unmittelbar vor dem Zimmer befindet, zu lesen und zu betrachten. Grillparzer sitzt auf einem Hocker vor seinem Schreibpult, wie es der tatsächliche Grillparzer ein paar Meter weiter tatsächlich tat, und schreibt mit vertrocknender „Dinte“ Sätze, die alle wie erfunden klingen, aber allesamt den Tagebüchern des Autors entnommen sind. „Wieder was zu schreiben! Ja! Aber was?“, so lautet die Eingangsfrage des ersten Bildes. Das letzte zeigt das Schreibpult ohne den Schriftsteller, am Boden liegen Blätter herum. Wollte doch Grillparzer „eine Tragödie in GEDANKEN schreiben können“. „Es würde ein Meisterwerk werden!“ und ohne den Körper des Dichters auskommen, der in den strichlierten Umrissen der Zeichnung verschwindet.
Daneben befindet sich eine Hörstation, die kommentierende Nacherzählungen von Grillparzer-Texten durch Autor:innen und Literaturwissenschaftler:innen bietet.4 Der Autor Clemens Setz erzählt die Geschichte des armen Spielmanns auf so anrührende Weise, dass einem das Schicksal der Figur zu Herzen gehen muss. Die Autorin Anna Kim widmet sich dem Schicksalsdrama „Die Ahnfrau“, ein Genre, das wohl nur mehr über den Umweg aktueller Populärkultur, Kim vergleicht es mit den Hollywood-Blockbustern unserer Tage, vermittelbar ist. Die Hörstationen wollen auch Anregungen sein, wie mit alten Texten umgegangen werden könnte, indem sie zum Beispiel ganz einfach nacherzählend kommentiert werden. Wobei sich zeigt, dass das Nacherzählen eine gar nicht einfache und höchst subjektive Kunst ist und dabei Erkenntnisse lebendiger vermitteln kann, als dies ein akademischer Aufsatz in der Regel tut. Konstanze Fliedl weist in ihrem Beitrag zu „Weh dem, der lügt!“ darauf hin, dass Wahrheit und Lüge immer kontextabhängig sind, die Wahrheit manchmal nicht ernst genommen wird, weil sie als Scherz aufgefasst wird, was die Hauptfigur, der den anderen sprachlich überlegene Leon ausnützt. Wahre Sachverhalte lassen sich in der verbalen Kommunikation so zurechtbiegen, dass sie zwischen Wahrheit und Lüge changieren, was Leon meisterhaft beherrscht. Er lügt, auch wenn er tatsächlich die Wahrheit sagt, stellt Konstanze Fliedl fest. Der moralfeste Wahrheitsfanatiker Bischof Gregor muss schließlich konzedieren, dass der Anspruch die besten Absichten zerstören kann. Aus diesem Diskurs ließe sich jedenfalls ein Gespräch über Wahrheit und Lüge entwickeln, das im Zeitalter von Social Media notwendiger ist denn je.
Das Hindernis solcher Versuche, den Klassiker als gegenwärtige Figur zu zeigen, liegt gleichwohl in der Sprache. Für viele ist die versgebundene Theatersprache des 18. und 19. Jahrhunderts schlicht nicht mehr zugänglich, zumal, wenn sie als (Schul-)Lektüre verordnet ist. Welche Kluft zwischen einer historischen und einer gegenwärtigen Inszenierung liegen kann, zeigen zwei Ausschnitte von Grillparzer-Aufführungen, die auf zwei nebeneinander platzierten Monitoren im Literaturmuseum zu sehen sind: Einmal eine Aufführung von „Ein Bruderzwist in Habsburg“ am Wiener Burgtheater aus dem Jahr 1963 mit der österreichischen Schauspieler-Ikone Attila Hörbiger als zögernder Kaiser Rudolf II, der den Bürgerkrieg nicht verhindern kann. Augenscheinlich ist, wie fremd, antiquiert, kostümiert die ältere Aufführung auf viele heutige Zuseher:innen wirken muss. Dass Attila Hörbiger als NSDAP-Mitglied gemeinsam mit seiner zweiten Frau Paula Wessely in üblen NS-Propagandafilmen mitwirkte, fügt der Aufführungsgeschichte der Grillparzerschen Stücke noch einen Aspekt hinzu; 1955 war das Burgtheater mit „König Ottokars Glück und Ende“ feierlich wiedereröffnet worden, Attila Hörbiger verkörperte den guten Österreicher Rudolf von Habsburg. Welcher Abstand zwischen solchen Weihestunden kultureller Selbstbehauptung nach dem Krieg und jüngeren Inszenierungen liegt, zeigt eine Inszenierung des heutigen Burgtheaterdirektors Martin Kušej von „König Ottokars Glück und Ende“ von 2005, gespielt ebenfalls am Burgtheater. Michael Maertens in der Rolle Rudolf von Habsburgs paniert und brät zwei Wiener Schnitzel, bevor er eine Brandrede an sein Volk hält, in der er Freiheit, Zusammenhalt und eine neue Zeit beschwört. Der Grillparzersche Text ist angereichert um eine zeitgenössische Freiheits-Rhetorik, die mit ihren verbrauchten Schlagworten zwiespältig klingt.
Eine Überlegung bei der Konzeption der Ausstellung war es, regelmäßig Kontrapunkte dieser Art zu setzen, um die historischen und ästhetischen Verbindungslinien gleichermaßen sichtbar zu machen wie die Differenzen. Das Kapitel zu Franz Grillparzer bietet über den unmittelbaren Schauwert Material an, das von Lehrer:innen und Vermittler:innen genutzt werden kann: Material zur Praxis der Zensur etwa, deren Opfer Grillparzer selbst war, die er aber, das zeigt ein exemplarischer Fall in der Ausstellung, selbst befürwortete, wenn es darum ging, einem Leser Einsicht in für das Haus Habsburg auch unangenehme Akten zu gewähren.5 Grillparzers Haltung zur Zensur war durchaus vielschichtig, wie etwa seinem Aufsatz „Ueber die Aufhebung der Zensur“ von 1844 zu entnehmen ist. Die Idealvorstellung einer die Wahrheit befördernden und die Lüge verhindernden Zensur ist in der Realität nicht durchführbar, weshalb es trotz auch einiger positiver Argumente besser wäre, sie abzuschaffen. Das zitierte Beispiel eines umständlichen Aktenlaufes, mit dem Ziel den freien Archivzugang zumindest zu erschweren, eignet sich als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen, um den wenig animierenden Begriff der „Didaktisierung“ zu vermeiden.
Zum Schluss seien zwei Szenen, zwei Textstellen angeführt, die ausgehend von der Ausstellung dazu beitragen könnten, den toten Klassiker äußerst lebendig erscheinen zu lassen:
In seiner posthum veröffentlichten „Selbstbiographie“ beschreibt Grillparzer eine zur Perfektion getriebene Habsburgische Machtpolitik, die sich im genau abgestuften Gefüge zwischen Beamten, Zensoren und Kaiserhaus, Intellektuellen und Theaterleuten entrollt. Demütigungen, Literaturfeindlichkeit, Zensur, innere Emigration sind die Stichwörter. Verbote erscheinen, als ob sie gar keine wären. Arno Dusini hat in seinem Nachwort zur Neuausgabe der „Selbstbiographie“ auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, auf das Modell Goethe, das die Autobiographie des Schriftstellers als Projekt fasst, in dem es um ein Aushandeln von widerstreitenden Interessen und Konflikten geht. Demgegenüber gehe es bei Grillparzer um die Darstellung der Ohnmacht, um „Vernichtung“ und Verhinderung; also um eine grundlegende Störung des öffentlichen Raumes.6 Grillparzer schildert die Geschichte der Verhinderung seines Stücks „König Ottokars Glück und Ende“, das nach der Einreichung bei der Zensurbehörde für zwei Jahre einfach verschwand, als kakanisches Schauspiel. „Die Darstellung der Komplizenschaft von Tyrannei und Intimität, die Grillparzer mit dieser Erinnerung an Friedrich von Gentz vorlegt, ist einzigartig“, schreibt Arno Dusini über diese Szene.7 Grillparzer macht sich auf zu Hofrat Gentz, bei dem das Manuskript des Stückes vermutet wird, der Abschnitt aus der „Selbstbiographie“ sei kurz zitiert:
Noch erinnere ich mich des widerlichen Eindrucks, den die Wohnung des Mannes auf mich machte. Der Fußboden des Wart=Salons war mit gefütterten Teppichen belegt, so daß man bei jedem Schritte wie in einen Sumpf einsank und eine Art Seekrankheit bekam. Auf allen Tischen und Kommoden standen Glasglocken mit eingemachten Früchten zum augenblicklichen Naschen für den sybaritischen Hausherrn, im Schlafzimmer endlich lag