Franz Grillparzer. Группа авторов
nackten Todesangst ringen. Als sie kurz vor ihrer Hinrichtung (IV, 5) ihr Klagelied und ihre unbeantworteten Fragen nach dem Sinn des Leidens wie der Chor in der antiken Tragödie erheben, erhebt sich nicht eine mit ihrem Tode siegende Idee, sondern allenfalls das Problem des Nihilismus. Dantons Tod lässt die christliche und idealistische Verbrämung der Tragödie hinter sich zurück, um im Rückgriff auf die Anfänge in der Antike eine Tragödie der Moderne zu schaffen. In einer Welt, die „das Chaos“19 ist, mischt sich das Tragische mit dem Lachen zu einer grotesken Fratze. Wie sich die Dantonisten angesichts des Todes das Lachen der antiken Götter über das Leiden der Menschen vorstellen, hat das Lachen in diesem Stück von Anfang an das Thema des sinnlosen Leidens begleitet. Für Danton – ein Halbgott der Revolution am „ausglühenden Olymp“20, dessen „Wohnung bald im Nichts“ und dessen „Name im Pantheon der Geschichte“21 ist – hat alles einen tragikomischen Zug bekommen22:
Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müssten zu den Fenstern und zu den Gräbern heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen.23
Komische Elemente liefert auch der Theatersouffleur Simon, der durch Zitate das Pathos des idealistischen Dramas24 und der jakobinischen ‚Römer‘ parodiert.25 Das Lachen kann bekanntlich als Ventil des Unbehagens funktionieren, wenn Grenzen des Angemessenen oder Fassbaren überschritten werden. Durch die Vermischung mit Elementen der Komödie wird das Tragische somit nicht gemildert, sondern verfremdend zum Absurden oder Grotesken gesteigert – ein Effekt, der in Grillparzers Ein Bruderzwist in Habsburg noch deutlicher wird.
Die Dialektik von Ordnung und Chaos in Ein Bruderzwist in Habsburg
Schon mit König Ottokars Glück und Ende hatte Grillparzer einen Stoff aus der Geschichte der Habsburger bearbeitet, um die Folgen der Französischen Revolution und Fragen der Legitimität der Macht zu reflektieren. Durch die offensichtlichen Ähnlichkeiten des böhmischen König Ottokars mit Napoleon und die zwiespältigen, teilweise anachronistischen Züge Rudolf von Habsburgs vermochte Grillparzer den scheinbar patriotischen Stoff der Gründung der Hausmacht der Habsburger für eine höchst zweideutige Deutungsperspektive transparent zu machen. Denn aus dem Untergang Napoleons ging das ‚System Metternich‘ hervor, und durch den allmählichen Rollenwechsel und Parallelismus im Gegensatz zwischen Ottokar und Rudolf wird sichtbar, dass der am Anfang wie eine Heiligenfigur sich christlich-demütig gebärdende Rudolf allmählich die Rolle des Tyrannen in neuer, tückisch PR-gerechter Aufmachung übernimmt, während Ottokar als Sündenbock getötet wird.1 So funktioniert das Opfer im Zentrum der Gründungszeremonie nur oberflächlich als Vanitas-Motiv, mit dem Rudolf seine Nachkommen vor der „Versuchung“ (V. 2969) warnt – der tote Menschensohn, der gegen Ende eine humanistische Kritik der Gewalt formuliert, und nun in den Armen seines Kanzlers den Topos der Pietá darstellt, erinnert zugleich an die Gewalt, Ausgrenzung und Menschenopfer, auf die auch diese neue Ordnung baut.2 So kann auch Rudolfs Verhüllung der Leiche mit dem Kaisermantel (V. 2957ff.) als eine Bestätigung dieses Sachverhalts gesehen werden, hinter der pietätvollen Geste der Würdigung.
In dem um mehr als 25 Jahre später, nach 1848 fertiggestellten Trauerspiel Ein Bruderzwist in Habsburg ist Grillparzers Blick auf die Dynamik der Geschichte radikalisiert worden. Auch hier wird die ideologische Legitimierung des Herrschaftskonzepts der Habsburger – „nicht ich, nur Gott“3 – als paternalistische Maske sichtbar, hinter der das harte Gesicht der Gewalt zum Vorschein kommt. In diesem Stück wird aber besonders deutlich, wie genau jene Seite dieses Herrschaftskonzepts, die von der Kaiserrolle als dessen akzidentieller Aspekt ausgeblendet werden sollte, sich auf verhängnisvolle Weise durchsetzt: das Ich. Die Spaltung zwischen Rolle und Spieler bleibt bei Grillparzer zwar erhalten im Prozess der Geschichte, der sich wie ein wildes Pferd von seinem Reiter nicht zügeln lässt, aber die Dynamik geht eindeutig von dem unkoordinierten Wesen des Menschen aus. Die fehlende Autonomie des Subjekts, das weder eigene Impulse noch das intersubjektive Geschehen zu steuern vermag, befreit es somit keineswegs von der persönlichen Verantwortung. Um dies zu erblicken, muss man sich allerdings von der Rhetorik und dem Selbstbild der Figuren befreien – dies gilt nicht zuletzt für Rudolf II, der bald als Stellvertreter Gottes, bald als „schwacher, unbegabter Mann“ (V. 351) argumentiert, um sich bei seiner Machtausübung zu entlasten.
Grillparzer hat Begebenheiten im Jahrzehnt vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zu einer explosiven Mischung verdichtet: Das Drama präsentiert eine Krise in der Geschichte des Habsburgischen Reiches, das von innen durch die Glaubensspaltung bedroht ist und von außen durch den Krieg mit den Türken. Es ist aber auch eine Krise der Herrschaft, wie im 1. Akt demonstriert wird: Rudolf hat sich im Inneren der kaiserlichen Burg in Prag vor der Welt eingesperrt, während Depeschen aus aller Welt sich auf seinem Schreibtisch häufen und Verwandte des Kaisers – sein illegitimer Sohn Don Cäsar, sein Bruder Matthias mit Bischof Klesel und die Neffen Ferdinand und Leopold der Reihe nach mit dringenden Angelegenheiten an sein Ohr und Herz zu gelangen versuchen. So wird offenbar, dass es in der prekären Lage des Reiches de facto keinen Souverän gibt, nicht nur, weil Rudolf sich einbildet, durch absolutes und abstraktes Sein, durch quietistische Weltabgewandtheit und Handlungsabstinenz die zentrifugalen Kräfte des Reiches in Bann halten zu können, sondern auch weil er als Inhaber der Macht eine extreme psychische Labilität aufweist, die allein schon seine selbst erteilte Rolle als stabilisierende Mitte in Frage stellt.
Auch sprachlich bewegt sich Rudolf allein in diesem Akt von einem Extrem zum anderen, von sprachlosen Gesten und einem kindisch-pathologisch anmutenden, affektbetonten Sprachminimalismus zum rhetorisch strukturierten, poetischen Monolog. Was die Sprache des Dramas betrifft, mag Grillparzer, noch den fünffüßigen Jamben der Goethezeit gehorchend, im Ton dem Idealismus näherstehen als Büchner. Dafür übertrifft er aber Büchner in der psychologischen Komplexität und Widersprüchlichkeit seiner Figurenkonzeption, am eindrucksvollsten in der Figur Rudolfs, ein Verwandter des armen Spielmanns Jakob. Wie für Jakob fällt für Rudolf Theorie und Praxis auseinander, auch er grenzt sich von der Welt ab, um eine Verbindung mit dem Absoluten herzustellen, scheitert dafür aber mit seinen Handlungen auf der horizontalen Ebene der Realität. Weniger liebenswürdig, weil mit kaiserlicher Macht und Härte ausgestattet, die bei der Ausübung umso verheerendere Wirkungen haben kann, darf Rudolf aber bei dem Leser ebenso wenig wie Jakob darauf hoffen, nur nach seinen „Absichten“ beurteilt zu werden, und nicht auch nach seinen „Werken“.4 Welche Auffassung soll sich denn der Leser oder Zuschauer schon nach dem 1. Akt von Kaiser Rudolf bilden, nachdem er auf unvermittelte Weise abwechselnd als Kunstliebhaber, als Misanthrop, als paranoischer, unberechenbarer, sich wie ein Kind benehmender alter Mann erscheint, als jemand, der in einer imaginären Welt lebt und wenige Augenblicke danach über die politische Lage durchaus im Bilde ist, als Vater von alttestamentlicher Härte und als liebender Onkel, als potentieller Mörder und als Humanist?
Lukrezia/Lukretia – zwischen libidinösen und revolutionären Energien
Als Zuschauer werden wir vor den Widerspruch gestellt, dass die Figur Rudolfs, die uns die Gesetze willkürlichen Waltens anschaulich vorführt, zugleich jene Instanz ist, die das „Recht“ verbürgen soll. Über eben dieses Recht herrscht von Anfang an Unsicherheit, was zunächst durch die Don-Cäsar-Handlung exponiert wird, mit der das Drama ansetzt. Das Dilemma Don Cäsars besteht aus zwei miteinander verbundenen Problemen: Sein Freund, Feldmarschall Rußworm, der den Nebenbuhler Don Cäsars, Belgijoso, im Streit erschlagen hat, ist verhaftet worden, nach der Auffassung Don Cäsars „ohne Fug und Recht“, wogegen sich die Gerichtsperson auf „Recht und Urteil wie’s der Richter sprach“ beruft (V. 4f.). Lukrezia, die im schwarzen Trauerkleid mit ihrem Vater auftritt, hat in den Augen Don Cäsars die Annäherungen Belgijosos erwidert und wird der Heuchelei bezichtigt. Ohne aber auf diese Anklage einzugehen, wendet sich ihr Vater, der Bürger Prokop, zur Gerichtsperson: „Ist es gestattet Herr, auf offner Straße / Ehrbare Mädchen zu beschimpfen also?“ (V. 54f.) Man wird aber im Text vergeblich nach einem festen Anhaltspunkt suchen, nach dem entschieden werden könnte, ob Lukrezia ein ehrbares Mädchen oder eine Heuchlerin, ob hier Recht oder Unrecht geschehen ist.
Mit dem römischen Lukretia-Stoff, auf den hier – wie in Dantons Tod – angespielt wird, wird nicht nur