Franz Grillparzer. Группа авторов
den er zum Sündenbock einer nicht mehr beherrschbaren Entwicklung machen will: „Der freche Sohn der Zeit. – Die Zeit ist schlimm, / Die solche Kinder nährt, und braucht des Zügels. / Der Lenker findet sich, wohl auch der Zaum.“ (V. 1345ff.). Die Logik des Bildbereichs weiterführend, könnte man daraus folgern, dass Rudolf auch in Bezug auf die Probleme der Zeit die Vaterschaft besitzt. Diese Vaterschaft wird aber sowohl der Zeit als auch seinem Sohn gegenüber verleugnet, so wie er sich weigert, die Rolle des „Meisters“1 auf sich zu nehmen, weil sich lieber er als „Schüler“ der Weisheit des Alls versteht. Aber der Versuch, den Sohn als Gegner zu entäußern und ihn als die Verkörperung des Bösen zu dämonisieren, wird auch durch eine Reihe anderer Strategien im Text dekonstruiert, die den Parallelismus im Gegensatz zwischen den beiden etablieren und somit eine supplementäre Logik der gegenseitigen Abhängigkeit aufdecken.2 Überhaupt dient die Don-Cäsar-Handlung als Vehikel der Dekonstruktion des von Rudolf präsentierten Herrscherkonzepts. Der von Grillparzer erfundene illegitime Sohn ist sozusagen in die Welt gebracht, um die Legitimität der paternalistischen Machtausübung in Frage zu stellen und um die Schwächen in Rudolfs Idee eines Staates aufzuzeigen, der auf der ewigen Ordnung der Natur beruht. Zu dieser gehört die sich durch Generationen reproduzierende Ordnung der Familie, die „heilgen Bande, / Die unbewusst, zugleich mit der Geburt, / Erweislos, weil sie selber der Erweis.“ (V. 1617ff.)
Rudolf entfaltet seine im Naturrecht begründete, absolutistische Staatsideologie in langen Monologen, die immer wieder die Aufmerksamkeit der Interpreten auf sich gezogen haben und oft als das konservative Vermächtnis Grillparzers gelesen wurden, die aber schon als Selbst- und Weltauslegungen keiner stringenten Logik folgt. Vor Erzherzog Ferdinand im 1. Akt spricht er von Don Cäsar als „Schüler“ einer Zeit, dem „Achtung für der Väter Sitte“ (V. 328) verloren gegangen ist, bzw. als einem von den „Keime[n] […] der Verkehrtheit“ angesteckten, die „ihm geliehn so wildverworrne Welt.“ (V. 343f.) Der in seiner Denkweise ganz anders geartete Ferdinand greift diese Metapher mit der Aufforderung auf: „Die Zeit bedarf des Arztes und ihr seids“, worauf Rudolf sofort diese einfache Gegenüberstellung unterläuft: „Ein wackrer Arzt, der selber Heilung braucht!“ (V. 356f.) Für Ferdinand besteht, ja muss eine Übereinstimmung bestehen zwischen Gesinnung, Wort und Handlung, sowie zwischen Status, Autorität und Macht. Diese Einheit wird aber sowohl durch Rudolf als auch vom Drama als Ganzem in Frage gestellt. Nur aber durch das Extreme seines Charakters unterscheidet sich Rudolf von den übrigen Figuren, die wie er zusammengesetzt und unkoordiniert sind und in mancher Hinsicht ebenso blind sein können, wie sie in anderer Hinsicht weit- und klarsichtig sind. Es gilt somit für alle zentralen Figuren, dass ihre Aussagen manchmal auf die tatsächliche Lage im Drama zutreffen und daher Anspruch auf allgemeine Geltung erheben können, manchmal aber auch in ihrer Subjektivität isoliert dastehen. So drückt Rudolf eine Wahrheit des Dramas aus, wenn er Ferdinand gegenüber den Unterschied im Lauf der Sterne vom Lauf der Menschenwelt erklärt: „Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus, / Hier unten eitle Willkür und Verwirrung“. (V. 428f.) Diese Einsicht entspricht dem unheilvollen Mangel an Rationalität und Durchsichtigkeit im Stück, der nicht zuletzt an Rudolf selbst exponiert wird. Andererseits erscheint Konsequenz und Logik, wenn sie in den Säuberungsmaßnahmen des Religionsfanatikers Ferdinands – der St. Just der Gegenreformation – auftritt, als ein Schreckgespenst der Zukunft. Rudolfs Einwand Ferdinand gegenüber, dass der „vielverschlungene Knoten der Verwirrung“ nicht mit einem Streich gelöst werden kann, und sein Erschrecken über die unmenschliche Vertreibung von zwanzigtausend Protestanten „an einem Tag“, mit dem Ferdinand in der Steiermark, in Krain und Kärnten „ausgetilgt den Keim der Ketzerei“ (V. 476f.), zeigt Rudolf als den Humanisten, der sich v.a. in der Optik des Fernen, Visionären und Allgemeinen um das Ganze bemüht – mit einem Blick der Inklusion. Das Tragische besteht aber in diesem Stück darin, dass die Idee des Humanen und gesellschaftlich Guten in eine inhumane Barbarei umschlägt – wie in Dantons Tod. Rudolfs Aufopferung seines Sohns entbehrt dabei den tragischen Sinn, den das Opfer in der klassischen Tragödie der Goethezeit innehatte.3 Der Tod Don Cäsars hat mit dem ausbrechenden politischen Chaos nichts zu tun, das natürlich durch sein Opfer auch nicht gebannt wird. Im Zusammenhang des Stücks wird Don Cäsar in einem der Perspektive Rudolfs ganz entgegengesetzten Sinne zu einem Stellvertreter der vielen Menschen, die im Namen der Ordnung umgebracht werden. Wie in Dantons Tod wird der tragische Konflikt nicht durch den Tod Don Cäsars oder Rudolfs beendet, sondern eher beschleunigt bzw. mündet im Bewusstsein des historisch versierten Zuschauers in einen furchtbaren, langjährigen Krieg.
Im Vordergrund von Grillparzers komplexer dramatischer Reflexion geschichtlicher Erfahrungen im Hinblick auf eine bedrängte Gegenwart und die Alpträume der Zukunft steht aber die Auseinandersetzung mit dem Absolutismus à la Habsburg angesichts der Forderungen nach Demokratie und Bürgerrechten in der Folge der Französischen Revolution. Die allbekannte Ambivalenz Grillparzers in dieser Frage stimmt mit der offenen Struktur dieses Dramas und der polyphonen und zugleich transpersonalen Reflexion überein, vor allem aber mit der Tatsache, dass das Habsburgische System durch die extrem heterogene Figur Rudolfs sowohl von innen, durch die vielen Selbstwidersprüche, als auch von außen, durch die Forderungen von schriftlichen Verträgen zur Sicherung individueller Rechte und des kollektiven Friedens, in Frage gestellt wird. Die Indignation Rudolfs über die Forderung der böhmischen Stände nach einer verträglichen Sicherung jener „Freiheit der Meinung und der Glaubensübung“ (V. 1530), die er ihnen de facto zugebilligt hat, setzt die „Schrift“, die „toten Züge einer toten Hand“ dem „lebendig warmen Wort“ gegenüber, das „von dem Mund der Liebe fortgepflanzt, / Empfangen wird vom liebedurst’gen Ohr“ (V. 1653ff.). Dass die Böhmen aber von Rudolf auf diese Weise „der Neigung Pfänder“ fordern, wird angesichts der Entwicklung der Ereignisse nur allzu verständlich. Der Jurist Grillparzer zeigt sich hier, wenn nicht als ideologischer Bannerträger ihrer Forderungen, dann doch indirekt als ihr Anwalt, indem er das „erweislose“ ‚Gesetz‘ Rudolfs, das sich der Logik und der Überprüfung durch eine Erwägung von Sachverhalten entzieht, eine Art Selbstmord begehen lässt. Die duldsame Vaterliebe des Kaisers, die jeden Augenblick in ihr Gegenteil umschlagen kann, erweist sich als Alternative zum positiven Recht ungeeignet. „Zieht nicht vor das Gericht die heilgen Bande“ lautete die Warnung Rudolfs (V. 1617) – eben das tut das Drama aber, indem es die allzu menschlichen Schwächen analysiert, die die Rollen in der Familie und im politischen Feld durcheinanderbringen. Rudolfs privater, jeder rechtlichen Begründung entbehrender Racheakt an seinem illegitimen Sohn – seinem supplementären Stellvertreter – dient dabei dazu, den ‚Selbstmord‘ der Theorien Rudolfs durch seine Inversion in einen rachsüchtigen Barbaren anschaulich vorzuführen.
Im 3. Akt hatte Rudolf seine Theorie einer humanen Ordnung mit dem Bild der Familie vorgeführt, die im Gegensatz zu Ferdinands Idee der Reinheit des Glaubens und des Staates auf Liebe baut, die aber mit Ambivalenz einhergeht:
Du ehrst den Vater – aber er ist hart;
Du liebst die Mutter – die beschränkt und schwach,
Der Bruder ist der nächste dir der Menschen,
Wie sehr entfernt in Worten und in Tat;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragst du nicht ob sie der Frauen Beste,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge scheint Musik,
Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Ist ein: ich weiß nicht was für alle andern;
Du liebst, du hoffst, du glaubst. Ist doch der Glaube
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir selbst,
Das Zeugnis, daß du Mensch nach beiden Seiten:
Als einzeln schwach, und stark als Teil des All.
Daß deine Väter glaubten, was du selbst,
Und deine Kinder künftig treten gleiche Pfade
Das ist die Brücke, die aus Menschenherzen
Den unerforschten Abgrund überbaut,
Von dem kein Senkblei noch erforscht die Tiefe.
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