Frauenseelen. Gabriele Reuter

Frauenseelen - Gabriele Reuter


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zutraulich und lebhaft sie war. Als sie aufstand, um zu gehen, grüßte man sie von allen Seiten. Das machte ihr Spaß. Früher hatte sie große Macht über die Menschen besessen – dann war sie unsicher geworden, weil die schöne Herrscherkraft bei dem Einen versagte. Und selbstquälerisch hatte sie beobachtet, wie die vergrämte Frau auch den Freunden gleichgültig zu werden begann.

      Die alten Damen hatten ihr innig die Hand gedrückt. Heiter ging Walborg über den mit bescheidenen Blumenanlagen dürftig gezierten Vorplatz durch die offenstehende Haustür in den breiten, altmodischen Flur. Sie hatte eine Frage an die Wirtin zu richten. Diese, eine behäbige Frau, stand in Unterhandlung mit einem soeben angelangten Radfahrer. Sein Fahrzeug lehnte am Tor. Er glühte vor Hitze. Walborg sah seinen braunroten Nacken, auf dem kleine Tropfen glitzerten. Nein, war der Mann echauffiert! Er blickte sich nach ihr um und lächelte, halb verlegen, sich in diesem Überzug von Staub und Schmutz vor einer Dame zeigen zu müssen. Aber es stand ihm nicht schlecht, denn er war jung und kräftig und seine Augen glänzten lustig. Es strahlte förmlich eine heiße Lebensfreude von ihm aus. Als er Walborg wartend stehen sah, ließ er ihr höflich den Vorrang. Nachdem ihr Anliegen seine Erledigung gefunden, dankte sie ihm mit einer Kopfbewegung und ging durch den Flur auf den Wirtschaftshof hinaus. Sie wohnte im Rückgebäude, das nach dem Walde lag, in der oberen Etage. Man hatte sie hier einquartiert, weil sie um Ruhe gebeten hatte und weil man hier nichts von dem Kommen und Gehen der Tagesgäste spürte. Neben ihrem Zimmer befand sich ein großer, leerer Tanzsaal, der nur einigemal im Jahre benutzt wurde.

      Walborg schloß, in ihrem Zimmer angelangt, die Jalousien, zog ihr Kleid aus und legte sich aufs Bett. Ein unendliches Wohlgefühl durchströmte sie. Im Einschlafen hörte sie Poltern vor ihrer Tür, Stimmen und Schritte, die sich wieder entfernten.

      Von dem Tanzsaal führte eine Glastür auf einen breiten Balkon. Walborg hatte ihn gleich bei ihrer Ankunft entdeckt. Wenn man dort oben saß, schaute man mitten in das Geäst der alten Kiefern hinein. Sie hatte nach der Reise, froh dieser völligen Abgeschiedenheit, stundenlang träumend dem leisen Rauschen der Wipfel gelauscht, und bei dem eintönigen Wogen und Summen war sie schließlich doch wieder dahin gelangt, ihren alten Jammer neu zu zergrübeln.

      Heute durchschritt sie wieder das große, verstaubte Gemach und trat hinaus, als das Abendrot den Wald zu färben begann. Sie sah eine Gestalt am Geländer lehnen, bestrahlt von rötlichem Licht, auch drang der Duft einer Zigarre zu ihr. Sie erkannte den Radfahrer, der am Mittag eingetroffen war. Er grüßte. Sie empfand einen ärgerlichen Verdruß. Es war ihr fatal, daß sie in ihrem Reich nun nicht mehr allein war. Am liebsten wäre sie sofort wieder umgekehrt.

      »Es scheint, man hat uns beide hier oben mutterseelenallein einquartiert«, sagte der junge Mann lächelnd.

      »Ich lege Wert auf völlige Ruhe«, antwortete Walborg kühl, er konnte merken, daß seine Gegenwart ihr lästig fiel.

      »Nun – ich pflege mich nach einer weiten Tour in der Nacht außerordentlich still zu verhalten«, versicherte er eifrig; »ich hoffe also, die gnädige Frau nicht allzusehr zu stören.«

      »Ich glaube, es ist für uns beide Platz in dieser weitläufigen Etage«, bemerkte Walborg liebenswürdiger.

      Auf ihren freundlichen Ton hin redete er noch ein wenig und erzählte ihr, daß er beabsichtige, am nächsten Tage mit seinem Rade weiter zu gehen.

      Und dann verstummten sie.

      Von der schwindenden Sonne gesandt, wandelte das Abendglühen durch den Wald und glitt an den braunen Stämmen und Ästen empor, daß ihre Rinde sich rot und röter zu färben begann, bis ein purpurnes Leuchten überall, so weit das Auge reichte, aus dem dunklen Nadelwerk hervorstrahlte.

      Und immer höher stieg der feurige Schein. Ein mächtiges, ein geheimnisvolles Leben in den alten Kiefernkronen. Als bräche die Glut, die sie den Tag über in ruhiger Kraft bezwungen und an sich gehalten, nun aus ihrem Innern hervor. Gleichsam von einer gewaltigen Leidenschaft entzündet, heiß, stark und innigglühend stand der Wald.

      Und plötzlich war alles vorüber: das Leuchten – die Farbe – die Form – das Leben der Bäume. Mit einem Schlage. Starr, kalt, tot, in unbestimmten Massen verschwanden sie im fahlen Grau der aufsteigenden Dämmerung.

      Der Mann neben Walborg wendete ihr sein Antlitz zu. »So möchte man leben und so sterben«, sagte er. »Wenn das Glück uns faßt, sich ganz durchflammen lassen und dann – kein Sehnen und Zappeln und Sperren und Haltenwollen ... Aus – und vorbei!«

      »Wohl dem, der die Kraft hat, so zu fühlen«, antwortete Walborg.

      »Ha, – man kann sich dazu erziehen«, rief der Radfahrer fröhlich. »Glauben Sie mir, gnädige Frau, nur dann hat man was und manchmal sogar recht viel vom Leben.«

      »Das mag wohl sein«, erwiderte sie ausweichend.

      Er berichtete ihr nun plaudernd von seinen Abenteuern den Tag über, und ließ harmlos, mit einer Art von kindlich-liebenswürdiger Eitelkeit merken, wie er auf seinem Rade der eigenen Gewandtheit und Geschicklichkeit froh werde. Walborg konnte das ganz gut verstehen, und die Offenheit, die Natürlichkeit, mit der er sich zeigte, wie er war, gefiel ihr. Nebenbei bemerkte sie, daß eine angenehme Frische von seinem Körper ausging. Er hatte also gebadet. Das gab ihr gleich ein gutes Vorurteil für ihn.

      Als sie sich zurückzog, schüttelten sie sich die Hände.

      Nachdem Walborg ihre kleinen Halbschuhe vor die Türe gesetzt hatte, während sie den Riegel vorschob, wurde sie plötzlich in der Einsamkeit ihres Zimmers ganz rot. Es war ihr ein wunderlicher Gedanke durch den Kopf gegangen.

      »Gnädige Frau,« sagte der Kellner, »ich habe Ihr Frühstück auf den Balkon getragen.«

      »'s ist recht, Georg.«

      »Es wird heut sehr schwül. Jetzt geht die Luft noch ein wenig. Der Herr, der gestern angekommen ist, sitzt auch schon draußen.«

      Walborg stutzte.

      Ach Unsinn – sie war doch kein Kind mehr. Warum sollte sie nicht mit diesem Fremden eine halbe Stunde schwatzen, da sie sich doch gut unterhielten ... Mit schmerzhafter Wehmut ergriff sie das Bewußtsein: sie war eine freie Frau – sie hatte nach niemand zu fragen.

      Er stand auf, als sie heraustrat, wischte sich eilig den Bart mit dem kleinen Serviettchen und verbeugte sich. Seine Blicke liefen an ihrer Erscheinung hinab, und ein leises Lächeln, halb, schelmisch, halb bewundernd, zuckte um seine Nasenflügel.

      Sie setzte sich und schenkte Tee aus dem kleinen, neusilbernen Kännchen in die Tasse. Er klagte etwas über die Hitze. Heut sei kein Tag, an dem man radeln könne. Zerstreut stimmte sie zu.

      »Nein, wie verwandelt der Wald ist«, sagte sie ... »Gestern abend die tiefen, satten Farben: Purpur, Braun, Schwarzgrün – heut alles hell, zart, duftig. Der feine Glanz der Nadeln gegen den blauen Himmel – und jetzt, wo der Wind durch die Kronen weht, das silberig-grüne Flirren und Flimmern ...«

      Er betrachtete sie, nicht die Baumkronen, während sie sprach, und lächelte wieder.

      »Wundervoll«, sagte er leicht ironisch.

      »Sie haben ja gar nicht hingesehen.«

      »Was wollen Sie – ich bin kein Naturschwärmer.«

      »O –!«

      »Ja – ich habe mich nach der Richtung hin geprüft ... Sie mögen mich nun verachten, ich fühle positiv nichts. Eine hübsche Gegend ist mir nur wichtig als Rahmen für sonstiges Gute: für den Sport – für die Liebe!«

      »Sie übertreiben – gestern abend zum Beispiel ...«

      »Das war ein Sensationsstück, das die Natur uns vorspielte – man betrachtet es, wie man sich eben ein gelungenes Theaterstück ansieht. Aber die geheimen, wundersamen Entzückungen ... Ich denke oft: da steckt auch ein rechtes Stück konventionelle Heuchelei.«

      »Viele Menschen empfinden sie in Wahrheit.«

      »Viele –? Einzelne!«

      »Nun


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