Frauenseelen. Gabriele Reuter

Frauenseelen - Gabriele Reuter


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Blick, mit dem er sie anschaute, mitleidig, freundlich und bittend. Wie erwachsen der Blick bei dem Kinde, wie kindlich er bei dem Manne wirkte. Und immer hatte Friedrich sie so angeschaut, wenn er etwas von ihr verlangte, was ihr furchtbar erschien ...

      »Du bist gewiß erstaunt, mich hier zu sehen«, begann er wieder verlegen.

      »Ja – was wünschest du von mir?« fragte sie kalt. Der Ton klang viel herber und feindseliger, als sie beabsichtigt hatte. Denn sie war ja doch auch von dem Haß gegen ihn befreit.

      »Willst du dich nicht setzen?« fügte sie freundlicher hinzu.

      Er nahm einen Stuhl und legte den Hut neben sich auf einen Tisch.

      Sie stand noch eine Sekunde, wollte zum Sofa gehen, um ihm ferne zu sein, und setzte sich plötzlich auf ein Fauteuil, weil die Knie ihr einknickten und es ihr schwindlig wurde.

      »Ja – da ist man nun wieder in den alten Räumen ... Wunderlich, – wunderlich ...«

      Sie hob überrascht den Kopf. Ihr war, als erwache sie aus einem tiefen Schlaf, der ihr Bewußtsein noch halb umnebelte. Es war doch natürlich, daß er hier saß – zum Erstaunen war es nur gewesen, daß er gegangen und so lange fern geblieben.

      »Ich komme nämlich, um eine Angelegenheit mit dir zu erledigen, die uns beiden gleich sehr am Herzen liegen muß«, begann er in seiner etwas pedantischen Weise, und dann lachte er unbehaglich.

      »Wir sind am Ende doch verständige Menschen. Nun alle die unangenehmen Geschichten so lange hinter uns liegen, können wir ja auch wieder ganz gute Freunde werden.«

      »Gewiß«, sagte sie höflich, weil sie sich aufs neue zu der Empfindung durchrang, daß sie von der Liebe und dem Haß zu ihm ja befreit sei.

      »Soll ich nicht die Lampe ...«

      »Ach nein – es bleibt ja jetzt so lange hell.«

      »Ich würde dir eine Zigarre ..., aber ich habe keine im Haus ...«

      »Es macht nichts. Ich kann mich nur kurz aufhalten. Und ich rauche auch fast gar nicht mehr.«

      Dies berichtete er ihr ganz in seinem alten vertraulichen Ton, dem Ton, der sie immer wieder in die Täuschung eingewiegt hatte, er liebe sie doch noch, ohne es selbst zu wissen.

      Jetzt tat es ihr plötzlich weh, daß irgendein anderer Einfluß erreicht, was sie so oft und vergebens versucht hatte: ihm das unmäßige Rauchen abzugewöhnen.

      »Du siehst übrigens gut aus«, bemerkte er. »Ganz frisch und verjüngt!«

      »Du auch, Friedrich.«

      »Es ist mir lieb, wenn du das findest«, rief er lebhaft.

      »Warum sollte es mich nicht freuen?« fragte sie heiter.

      »Ja – es gibt nichts Besseres, als auseinander zu gehen, wenn man seiner gegenseitig überdrüssig geworden ist.« Und er streckte sich behaglich in seinem Stuhl.

      »Da hast du wohl recht«, antwortete sie träumend.

      »Siehst du? Ich wußte ja, daß du schließlich auch zu der Erkenntnis kommen mußtest. Du bist doch im Grunde eine gescheute und großdenkende Frau, wenn nur das unglückselige weibliche Gemüt dir keine Streiche spielt.«

      Sie dachte, während er sprach, sie müsse ihn einmal genau betrachten. Neugierig fragte sie sich, wie er ihr wohl erscheinen würde, nun er ihr nicht mehr als ein Feind, sondern als ein gleichgültiger Mensch gegenübersaß. – Sie sah die gekrümmte rote Narbe an seinem linken Auge, die sie so oft im Scherz geküßt hatte. Und die eingedrückten Schläfen, die Furche, die auf dem schmalen, nervösen, geistreichen Männergesicht von der Nase bis zum Munde herunterlief, die seinen, witternden Nüstern, der spitze, blonde Bart um das vorgestreckte Kinn, der sich beim Sprechen ein wenig auf und nieder bewegte. »Man kommt schließlich auch dahin, das weibliche Gemüt zu überwinden«, sagte sie und wußte dabei, daß sie irgend etwas ganz anderes hatte sagen wollen.

      Aber es freute ihn augenscheinlich, daß sie gerade dies aussprach.

      Er beugte sich zu ihr und antwortete herzlich:

      »So ist's recht. Dann werden wir uns schnell verstehen.«

      Sie sprach nicht, sondern blickte in Gedanken versunken vor sich nieder.

      »Ja – ja ...«

      Eine Pause.

      »Es geht mir gut, Walborg. Denk' nur, ich habe die Absicht, mich wieder zu verheiraten ... –Ja – ja ... so ist das Leben …« –

      *

      »Ich habe nun eine Bitte an dich. Fahre nicht gleich auf und schrei' nicht nein, sondern höre mich ruhig an ...

      Sie schrie ja gar nicht. Sie saß ganz still. Sie hätte nicht einen Finger rühren können vor Schrecken.

      *

      Verheiraten ...? Er wollte sich verheiraten ... Nicht eine Geliebte – eine Ehefrau ... Ihr Mann – Ja freilich – sie waren geschieden – das hatte sie vergessen. Und sie ... Jetzt fiel ihr alles wieder ein ... Und doch, doch so eine fürchterliche Enttäuschung? Hatte sie denn trotz allem, was geschehen war, immer noch die wahnsinnige Hoffnung festgehalten, Friedrich könne zu ihr zurückkehren? Hatte sie es nicht im verborgenen Grunde ihres Gefühls vor einer Stunde noch gehofft? – Das war ja grauenhaft ... Nein – nein – es konnte ihr vollständig gleichgültig sein, daß Friedrich sich wieder verheiraten wollte. Im Gegenteil, sie mußte es freudig begrüßen. Sie war um so freier. Es war ja nun wirklich alles aus zwischen ihnen beiden ... Ihr äußeres Ohr hörte dabei immer, was Friedrich weitersprach.

      »Also das Mädchen ist wirklich ein reizendes Geschöpf. Voll Humor und Lustigkeit. Gerade was ich brauche. Das glücklichste Gegengewicht. Diese unverwüstliche gute Laune! – Weißt du, Walborg – mir ist in letzter Zeit ganz klar geworden, was uns getrennt hat. Wir machten beide fortwährend zuviel Ansprüche aneinander. Das hält auf die Dauer kein Mensch aus. Das erbittert und geht einem auf die Nerven. Ich habe da auch manches Unrecht an dir begangen. Aus der Entfernung lernt man gerechter urteilen. Ich verlangte ein Wesen von dir, das dir die Natur doch nun einmal nicht gegeben hat.«

      »Vielleicht wenn ich glücklicher gewesen wäre«, sagte sie mit großer Selbstüberwindung. »Es waren doch Fähigkeiten zur Lebensfreude da. Ich fühlte nur vom ersten Tage an, daß irgend etwas in mir dich irritierte. Schon in der Brautzeit. Und das machte mich unsicher ...«

      »Das hätte eine andere Frau eben den Mann nicht merken lassen«, belehrte er sie überlegen. »Ich bin gar nicht so schwer zu behandeln, und auch im Grunde nicht schwer zu gewinnen. Man muß es nur auf die rechte Weise anfangen. Du warst nie harmlos unbefangen – nie ...«

      Walborg blieb stumm.

      Sie lauschte dumpf gespannt, mit kaltem, starrem Entsetzen nach innen: Wie ein Gefühl, das sie abgestorben glaubte, sich wieder meldete. Während er redete, kam und ging es ruckweise, dann als beginne er behutsam ein Messer in ihre Brust zu bohren, anfangs nur ein taubes, wehes Empfinden ... und plötzlich der rasende Schmerz – –

      Er lachte mit einemmal laut und ärgerlich. »Warum reden wir nur über die alten abgetanen Geschichten. Kaum bin ich mit dir zusammen, fängt's schon wieder an!«

      Er sprang auf und ging im Zimmer umher. Bei seinem Wandern nahm er eine Vase vom Schreibtisch und betrachtete sie.

      »Schade – gekittet. War so ein hübsches Ding! Man sollte Sachen, die zerbrochen sind, wegtun.«

      Walborg dachte an den Morgen, als er sie zur Überraschung auf den Frühstückstisch gestellt hatte – die ganze Stube war voll Sonnenschein gewesen – und er so lieb –. Die Erinnerung an einen der wenigen warmglücklichen Tage in ihrem Verhältnis – und sie hätte sie wegtun sollen ...

      »Erni hat sie an die Erde geworfen«, murmelte sie entschuldigend. »Er weinte so, daß ich ihn nicht strafen konnte ...«

      Friedrich schüttelte den Kopf und stellte das Glasgefäß gleichgültig


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