Frauenseelen. Gabriele Reuter

Frauenseelen - Gabriele Reuter


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der Furcht, ihn durch einen unrichtig gewählten Ausdruck, durch Schweigen oder Reden zu reizen und zu kränken.

      »Freude an der Natur ist eben ein Genuß wie ein anderer auch – man muß sich nur nicht einbilden, daß er besser oder edler oder gütiger macht«, sagte sie, und es war ihr dabei angenehm, wie wenig man ihrem leichten Ton die schwere Erfahrung anhören konnte.

      »Wenn Sie es so meinen, bin ich einverstanden«, rief er lebhaft. »Nur der Kultus, den man in Deutschland mit so etwas treibt, ist mir verhaßt, wie jeder Kultus. Deutsche Naturempfindung – deutsches Gemüt – deutsche Treue usw. Das letzte ist auch so ein Kapitel ... Warum bewundern wir eigentlich Treue? Im Augenblick, wo sie bewußt ausgeübte Pflicht wird, vernichtet sie sich selbst und ist in Wahrheit schon gebrochen.«

      »Sie ist eben keine Tugend, sondern eine Eigenschaft. Weh' dem, der sie hat, sie kann zu einem bösen Schicksal werden.«

      »Das ist eine arge Ketzerei, gnädige Frau!«

      Walborg lachte. Rieger sah mit Erstaunen und Interesse, wie ernst ihre Augen blieben, während dieses leise spöttische Lachen ihren Mund umspielte.

      Sie plauderten noch eine Weile so fort. Walborg fand plötzlich ein aufregendes Vergnügen darin, um die Wette mit dem fremden Manne ihre eignen Ideale, die sie so elend gemacht, zu zerpflücken und in alle Winde zu verstreuen.

      An diesem Nachmittag schlief sie nicht. Mit fieberhaft arbeitendem Hirn und pochenden Schläfen lag sie auf ihrem Sofa.

      Wieder der seltsame Gedanke von gestern abend.

      Er ließ sie nicht.

      Und er wuchs und wuchs – nahm Gestalt an ... Hatte je eine Frau den Mut gehabt, solchen Gedanken zu packen, festzuhalten – danach zu handeln? Mit klarer, kalter Überlegung?

      Und wenn sie den Mut besaß?

      Was hatte sie denn zu verlieren?

      *

      Während sie mit Rieger auf der Veranda über Fragen der Literatur und der Kunst disputierte, und lebhafter und kühner wurde, harrte eine tödliche Angst in ihrer Seele – ein Grauen vor dem eignen Wollen. Das Gespräch geriet auf gefährliche Pfade – wie war es möglich, die Liebe zu umgehen?

      »– Wissen Sie wohl, daß ich noch niemals einer Frau begegnet bin, die so rücksichtslos und zugleich so graziös mit ihrem ganzen Seelenvermögen va banque spielen kann?« sagte der Mann. »Alle Achtung!«

      Und da blitzte und funkelte das Lachen auch in ihren ernsten Augen. Mit einem Schlage verwandelten sich Angst und Grauen in eine wilde Lust an jedem Wagnis.

      Am nächsten Morgen auf dem Balkon, wo sie nun schon wie gute Freunde miteinander hausten, teilte Rieger Walborg mit, er warte auf Briefe und müsse deshalb noch bleiben.

      Sie hatte gewußt, daß es so kommen mußte.

      Sie hatte seinen Entschluß ja selbst herbeigeführt.

      Und doch war sie bestürzt und erschüttert.

      Gleich nachdem sie das Frühstück genossen, ergriff sie ihr Buch und ging in den Wald. Rieger hatte gefragt, was sie vornehmen wolle, aber in ihrer unbestimmten Auskunft lag die Antwort, sie wünsche seine Begleitung nicht. Beklommen saß sie auf den knisternden, dürren Nadeln. Die Luft war heiß und still, von Harzgeruch erfüllt, fast betäubend. Walborg saß mit geöffneten, trockenen Lippen, die Hände matt im Schoß; ein atemraubendes Warten zehrte in ihr, wie ein glimmender, noch eingeschlossener Brand.

      Nein – durfte das sein? Was tat sie denn? Liebe war ja doch etwas Furchtbares! Aber sie liebte ihn auch nicht, den Fremden. Es war nur ein toller Siegerstolz, daß sie wieder begehrt wurde.

      Ha – ha –! Sie sprang auf und warf die Arme über den Kopf zurück und reckte sich empor.

      Endlich wieder – endlich wieder ...!

      Sie strich mit den Händen über ihr Gesicht, über Stirn und Haar, als müsse sie die Schmach der letzten Jahre von sich streifen, gleich einer welken Haut.

      *

      Mittags war Rieger zurückhaltender, förmlicher und ernster, als sie ihn noch gesehen. Aber sie wollte ihn nicht wieder lassen. Sie mußte den Triumph auskosten. Hatte Friedrich nicht gesagt, sie gehöre nicht zu den Frauen, in die Männer sich verliebten? Darum könne sie sich nicht wundern – er habe sich eben geirrt, und Freundschaft reiche zur Ehe nicht aus. Wie ihr das Wort als eine ewige Wunde im Herzen brannte –.

      Sie hatte das Mittel gefunden, ihre Seele von dem Gehaßten zu lösen ...

      Nur rücksichtslos, grausam gegen sich selbst – nur kein Schwanken und Zweifeln ...

      Rieger begleitete sie nach Tisch um das Haus, durch den Garten. Er ging stumm neben ihr, und sie schwieg auch.

      Ein trockner, glühender Wind raschelte mit den verdorrten Blättern der Gebüsche und wirbelte kleine Wolken feinen Sandes von den Wegen empor. Die Augen schmerzten Walborg in dem grellen, weißen Sonnenglanz; wenn sie die Lider schloß, sah sie rote Funken durch blaue Finsternis tanzen.

      »Ich will hinaufgehen«, murmelte sie leise.

      »Warum?«

      »Ich bin müde.«

      »Gehen wir in den Wald, Sie können dort ruhen.«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Es ist zu heiß.«

      »Ja, es ist sehr heiß.«

      Sie sahen sich an. Seine Lippen bebten unter dem Bart.

      »Also – auf Wiedersehen ...?«

      Sie standen und sahen sich an. Langsam, schwer hoben sie die Hände und legten sie ineinander. Fest umklammerte er die ihre.

      »Hätten wir uns früher gefunden«, murmelte er.

      Sie ging mit gesenktem Haupte. Er blieb auf demselben Fleck. Sie fühlte seinen Blick, als schreite sie in Flammen.

      – – – – Eine Zeit darauf hörte sie seinen Schritt in dem leeren langen Korridor vor ihrem Zimmer. Sie sprang auf, glitt nach der Tür und lauschte, das Ohr am Holzwerk. Sie war entkleidet und schauderte, die nackten Arme über die Brust zusammengedrückt; sie fror in der Mittagsglut. Sein Schritt zögerte und hielt inne. Sie hatte darauf gewartet. Zitternd tastete sie nach dem Riegel. Ja – er war geschlossen. Ihr deuchte, sie müsse ersticken.

      Der Mann ging langsam weiter. Sie schlüpfte auf ihr Lager zurück, drückte den Kopf in die Kissen und weinte.

      Später entfloh sie in den Wald. Trotz der schwülen Luft ging sie immer weiter zwischen den schlank aufstrebenden, dünnen Stämmen. Und sie ging sehr weit. Unruhe und Fieber trieben sie, doch war sie froh gestimmt. Sie kam bis zu einem See, der flach und grau in einem Ausschnitt des Kiefernbestandes lag. Der Wald war hier für eine Weile zu Ende, man sah über andere Felder. Schweres Dunstgewölk von einer seltsam fahlen, gelbrötlichen Farbe stand am Himmel. Man spürte hier auch wieder den heißen Wirbelwind. Wenn er über das graue Gewässer fuhr, zeichnete er es mit flimmernden Kreisen und Kurven, daß es schien wie eine mit gekräuselten Ornamenten geschmückte Stahlplatte.

      Dort saß Walborg lange in einer Ecke, wo die Bäume sie vor dem Winde schützten. Vor ihr kroch eine Schnecke über ein bestaubtes Klettenblatt. Ihr fiel eine Beobachtung ein, die sie vor Jahren gemacht; wie sie einmal zwei Schnecken zugesehen hatte, die sich einander näherten, schwerfällig und doch für Schnecken erstaunlich eifrig, und sich mit den Fühlhörnern betasteten, als küßten sie sich. Walborg war grausam genug gewesen, die armen Liebenden zu stören, kleine Barrikaden von Hölzern zwischen sie zu bauen, und mit dem größten Erstaunen hatte sie nun bemerkt, wie energisch der Wille der trägen, schleichenden Tiere da wurde, wie sie sich hoch aufreckten und gegeneinander stürmten, wie leidenschaftlich sie sich zeigten. Das Schauspiel hatte sie gespannt und erregt.

      An jenem Maimorgen bei den vernunftlosen, armseligen Tieren war ihr plötzlich der tiefe Zusammenhang klar geworden, der durch die ganze Natur


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