Frauenseelen. Gabriele Reuter

Frauenseelen - Gabriele Reuter


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und wo war seine Maigefährtin geblieben?

      Die Menschen hatten doch manches vor den Schnecken voraus, dachte Walborg.

      *

      »Wir verstehen uns eigentlich recht gut«, sagte Rieger einmal zu ihr. Walborg schüttelte den Kopf.

      »Sie kennen mich nicht.«

      Sein Wesen, seine Art – der selbstverständliche, heitere Zynismus seiner Lebensauffassung waren ihr fremd, kaum sympathisch, doch erregend.

      Oder schürten nur die eigenen Gedanken, der krampfhaft ergriffene Wille ihn zu erringen, das Feuer in ihr?

      Als er sich einen Stuhl holte und neben sie setzte, abends auf der Veranda, fühlte sie eine bange Freude durch ihren Leib rinnen, den heimlichen Genuß an seiner körperlichen Nahe. Sie sprachen auch kaum noch miteinander – Worte ohne rechten Sinn. Sie lächelten ohne Ursache und fragten sich viel mit den Augen. Aber keines wagte noch die rechte Antwort zu geben.

      Einmal griff er über den Tisch, um Streichhölzer für seine Zigaretten heranzuziehen. Da fühlte sie, wie seine Schulter die ihre berührte, vorsichtig, es konnte auch Zufall sein, so flüchtig war es – die fremden Menschen saßen ringsum und keiner hätte es bemerken können. Aber sie litt und verstand atemlos eine erste, wortlose, verstohlene, fragende Liebkosung.

      Zwei Stunden später, als sie heim wollte, sich vor dem wilden Pochen ihres Blutes – sich vor ihm in ihrem stillen Stübchen zu retten, verabschiedete sich Rieger in Gegenwart der übrigen Gäste förmlich von ihr. Das machte sie sicher. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch ein Stück in den Wald zu gehen. Es war totenstill, beängstigend still, zwischen dem Gewirr der hohen Stämme. Das Mondlicht fiel hell durch die dürren Baumkronen auf den Boden – eine gespenstische Helle, verschleiert von den Schatten der Nadelzweige.

      Walborg drückte beide Hände an das springende, schlagende Herz. Ein unbändiger Jubel war in ihr.

      Er will mich, er begehrt mich ... –!

      Ihr war, als könne Friedrich fühlen, daß ein anderer sie an sich reißen wollte – als müsse es ihm auf eine geheimnisvoll magnetische Weise weh tun. Er war seiner Macht über sie zu sicher gewesen.

      O – sie war stark – viel stärker, als sie selbst gewußt. Sie ballte die Hände und knirschte mit den Zähnen, und ihre Augen glänzten kriegerisch.

      Frei sein – frei und erlöst von all dem Leiden. Neu beginnen – neu genießen ... Und geliebt werden ...

      Geliebt ...

      Ach – sie war auch klug geworden. Sie wollte gewiß nicht wieder nach Seelenharmonie und dergleichen bedenklich schmerzlichen Dingen verlangen ...

      Sie sah Riegers weiße Stirn vor sich, die so scharf von dem sonnverbrannten Gesicht abstach, das kurze, dichte, dunkle Haar, das vergebens versuchte, sich zu kleinen Löckchen zu krümmen, – sie sah seinen kräftigen, verführerischen Mund mit den festen, weißen Zähnen – und sie bebte vor Lust.

      Mit geschlossenen Augen, in taumelnder Müdigkeit schwankte sie weiter – blieb stehen – versuchte sich zu beherrschen. Eilig ging sie zurück. Am Waldrand fand sie Rieger. Er hatte hier auf sie gewartet, unter den Asten einer breiten Kiefer, wo er sie sehen mußte, wann sie daher kam, im Mondschein, der auf dem weißen Wege lag.

      »Warum wollen Sie schon hinein?« bat er. »Es ist ja so schön hier. Und dort ist eine Bank – Sie kennen sie ja. Lassen Sie uns noch ein wenig plaudern.«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »O bitte – bitte –«

      »Nein – ich will nicht.«

      Sie wußte selbst nicht, warum sie das sagte. Sie wollte ja. Aber sie fürchtete sich plötzlich. Eine Feigheit ergriff sie vor dem Sturm in der eigenen Brust. Und ihr schauderte vor dem Manne.

      Schnell und rücksichtslos schritt sie weiter.

      »Was ist denn geschehen«, so hört sie seine Stimme. »Sind Sie mir böse? habe ich etwas getan, sie zu beleidigen?«

      »Nein, nein. Aber es ist ja schon viel zu spät, sehen Sie denn das nicht ein?«

      »Durchaus nicht. Wir sind doch selbständige Menschen.«

      »Ja schon. Ich will nicht.«

      »O – das ist etwas anderes«, sagte er verletzt und kalt.

      Da schämte sie sich wieder ihrer wilden Angst. Vielleicht war alles nur in ihr, und er meinte nichts als Freundlichkeit und harmlose Bewunderung. Ja – sie wünschte, daß es so wäre.

      »Gute Nacht, Herr Rieger, schlafen Sie wohl«, sagte sie mit einem Versuch zu ruhiger Heiterkeit und wendete sich zu ihm zurück, denn sie war schon einige Schritte vorangegangen.

      »Gute Nacht, gnädige Frau«, antwortete er, nachdem er ihr die Hand gedrückt. »Sind Sie mir auch nicht böse?«

      »Nein – warum sollte ich?«

      »Ja – was war denn das eben – der Ton? – Ich bin ganz erschrocken – ich hatte mir wirklich nichts gedacht, als daß es oben erstickend heiß sein würde, und daß wir noch ein wenig plaudern könnten. Dabei ist doch kein Unrecht.«

      »Gewiß nicht. Ich bin müde.«

      »Sie sind nicht müde.«

      Nun wußte sie, daß er eben gelogen hatte. Und sie wurde weich und übermütig zugleich, indem sie schnell weiter schritt und hörte, daß er ihr folgte.

      »Nehmen Sie sich in acht, Herr Rieger, hier sind Stufen.«

      Er war neben ihr und faßte ihre Hand. »Führen Sie mich«, bat er leise.

      »Ob die Tür noch offen ist? Ich möchte nicht wieder über den Hof.«

      »Sie ist offen. Ich habe sie vorhin versucht.«

      Das Haus war schon dunkel. Er zündete ein Streichholz an und leuchtete ihr durch den Flur und ein Stück Treppe hinauf.

      »Unser einsames Reich«, murmelte er zärtlich.

      »O – in den Dachstuben hausen die Mädchen und die Knechte«, scherzte sie.

      Die winzige Leuchte verlosch.

      »Ich habe kein zweites«, flüsterte er. »Darf ich Sie leiten?« Er nahm ihren Arm und drückte ihn an seine Brust.

      Aneinandergeschmiegt stiegen sie schweigend die übrigen Stufen empor.

      Oben faßte er sie heftig und suchte ihre Lippen. Sie sträubte sich ein wenig, aber et hielt sie fest und küßte sie, bis ihr Atem und Besinnung verging. Zuletzt riß sie sich doch erschrocken los, lief davon und schloß sich ein.

      Sie wußten beide, daß es nur eine kurze, letzte Pause war, ehe sie sich angehörten.

      *

      In ihrem einsamen Reich, wo niemand sie störte und niemand sich um sie kümmerte, genossen sie ihr jähes Glück und die heißen Sommernächte. Auf dem mondbeleuchteten Balkon, den nur die schweigenden, dunklen, hohen Waldbäume belauschen konnten, in dem weiten, weißgetünchten Tanzsaal mit dem verstaubten Kronleuchter und den aufeinandergelegten Stühlen im erhöhten Orchester tollten sie, und küßten und neckten sich. Es war, als habe Rieger die Macht, ihr von feiner derberen, genußfreudigen Natur zu schenken.

      Am Tage lagen sie mit Büchern, die nicht gelesen wurden, und Zigaretten, die Rieger trotz heftigster Verliebtheit rauchte, im rötlichen Heidekraut am Waldsaum – schläfrig, über die Gluten seufzend, nach Regen und Abkühlung verlangend und doch sehr fröhlich. Oder sie schlenderten durch die Felder, und führten törichte, frivole Gespräche, von denen sie außerordentlich befriedigt waren.

      In Gegenwart anderer Menschen waren sie sehr gesetzt und hüteten ihr Geheimnis sorgfältig. Aber die alten Damen hielten sich jetzt auffällig von ihnen fern, und Wirt und Wirtin zeigten ihnen eine freundliche Protektion.

      Mit kraftvollem Leichtsinn


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