Göttersommer. Sascha Kersken

Göttersommer - Sascha Kersken


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dieser Aphrodite verführen“, scherzte sie. „Nach allem, was man in den alten Sagen so liest, ist sie ganz schön umtriebig, was Männer angeht.“

      „Keine Sorge, Schatz“, erwiderte Kostas. „Ich freue mich darauf, dass du bald wiederkommst. Grüß Irini, Dimitris und die Kinder. Bis später.“

      Christina verabschiedete sich ebenfalls und legte auf.

      „Tut mir leid, dass es hier keine Stühle gibt“, sagte Alexandros. „Also, außer meinem natürlich. Was für ein Abenteuer! Dass ich so etwas auf meine alten Tage noch erleben darf – unglaublich. Ich kann es gar nicht erwarten, meiner Schwester davon zu erzählen! Obwohl die mir natürlich kein Wort glauben wird“, fügte er verschmitzt lächelnd hinzu.

      Dann war es an Aphrodite, ihnen vom Plan der Götter zu erzählen. Sie berichtete von der Ratsversammlung im Olymp, vom Entschluss, den Menschen zu helfen und sich nach über dreitausend Jahren das erste Mal wieder in ihre Angelegenheiten einzumischen. Neben Norbert Voss waren noch Dustin Graham vom IWF und Angélique Dugard von der EZB rekrutiert worden, verriet sie ihnen.

      „Das erklärt einiges“, sagte Kostas.

      „Aber ist diese ganze Mühe nicht vergebens?“, fragte Voss anschließend. „Wir drei sind ja nicht allein in unseren Delegationen, und außerdem sind wir unseren jeweiligen Vorgesetzten Rechenschaft schuldig“.

      Wie auf Kommando klingelte sein Smartphone. „Der EU-Finanzkommissar“, erklärte er, „da werde ich wohl rangehen müssen“.

      „Warum?“, fragte Aphrodite. „Du hast doch Feierabend“.

      „In einer Position wie meiner gibt es keinen Feierabend“, sagte Voss etwas niedergeschlagen.

      „Gib mir mal dein Telefon“, bat die Göttin. Er gab es ihr, und sie machte eine Wischgeste, um den Anruf anzunehmen. „Hallo?“, fragte sie höflich, und fuhr nach einer Pause fort: „Es tut mir außerordentlich Leid, Herr Kommissar, Herr Voss ist zurzeit nicht zu sprechen. Aber falls Sie mir einige Minuten Ihrer wertvollen Zeit opfern würden, könnte ich Ihnen alles erklären“.

      Mit diesen Worten legte sie auf und gab Norbert das Telefon zurück. „Wolltest du ihm nicht etwas erklären?“, fragte dieser.

      „Ja, aber nicht am Telefon“, entgegnete Aphrodite und begann immer transparenter zu werden, bis sie verschwunden war.

      „Selbst, wenn man weiß, wer sie ist, und es akzeptiert“, bemerkte Kostas, „ist so etwas absolut erstaunlich, wenn man es mit ansieht. Und überhaupt – dass es die antiken Götter tatsächlich gibt, kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Warum haben sie dann aber all das Leid in der Welt zugelassen? Das finstere Mittelalter, Pestepidemien, Kolonialherrschaft – und den Holocaust?“

      „Mir hat sie erklärt“, antwortete Norbert, „dass sie sich nach dem Desaster mit Troja und danach mit Odysseus ganz aus der Welt der Menschen zurückgezogen und gar nicht mehr eingegriffen haben. Sie hatten das Gefühl, dass sie die Dinge nur schlimmer machen, wenn sie eingreifen.“

      „Also haben sie einfach aufgegeben?“, fragte Alexandros. „Sie sind doch Götter“.

      In diesem Augenblick materialisierte Aphrodite sich wieder. „Es ist vollbracht“, verkündete sie, „der Finanzkommissar ist auf unserer Seite. Er wird unmittelbar neue Weisungen an die Delegations­teilnehmer herausgeben, in denen er empfiehlt, deiner Linie zu folgen, Norbert.“

      „Schön und gut“, meinte dieser. „Aber der Finanzkommissar ist leider auch nicht der einzige Zuständige in der EU-Kommission. Und so sehr ich euer Engagement auch zu schätzen gelernt habe: ihr könnt doch nicht die ganze Kommission und die anderen Institutionen beeinflussen. Was ist eigentlich mit dem freien Willen?“

      „Seht ihr, das waren genau die Fragen und Debatten, die uns damals dazu gebracht haben, die Menschen ihren eigenen Entscheidungen zu überlassen. Das Problem ist auch, dass wir uns untereinander nur selten einig sind. Aber der Alte meinte, diesmal müssten wir einfach eingreifen, und hat eine große Mehrheit überzeugt.“

      „Der Alte?“, fragte Kostas.

      „Zeus natürlich“, antwortete Alexandros, und Aphrodite nickte zustimmend.

      „Wie ist er so?“, wollte Kostas wissen.

      „Oh, ich will euch jetzt nicht mit unserer langen, komplizierten und auch immer wieder blutigen Familiengeschichte langweilen“, erklärte die Göttin. „Aber sagen wir so: im Laufe vieler Tausend Jahre haben wir uns alle einigermaßen aneinander gewöhnt. Zeus ist weise – aber nicht so weise wie Athene –, aufbrausend, aber kein Vergleich zu Hephaistos, ein legendärer Liebhaber, der in diesem Punkt jedoch zur Selbstüberschätzung neigt, und ehrlich gesagt kein guter Ehemann und Vater, wenn man das mit euren menschlichen Maßstäben messen würde.“

      Sie redeten noch fast zwei Stunden weiter – über Götter und Menschen, Leben und Tod, Politik und Wirtschaft. Aphrodite war ein paarmal sichtlich erstaunt darüber, was es alles über die moderne Welt zu wissen gab. „Wir haben in den letzten dreitausend Jahren ganz schön viel verpasst“, resümierte sie schließlich. „Ich frage mich, ob wir diese komplexe neue Welt wirklich gut genug verstehen, um sie in eine vernünftige Richtung zu lenken“.

      Kostas wurde langsam müde, also verabschiedete er sich schließlich und fuhr nach Hause. In der leeren Wohnung lag er aber noch lange wach und grübelte über das Erlebte nach, bis er schließlich in einen unruhigen Schlaf sank.

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