Göttersommer. Sascha Kersken

Göttersommer - Sascha Kersken


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Lautsprecher, „aber schicken Sie sie herein.“

      Durch eine weitere Tür, auf die der Leutnant wies, betraten sie das Büro des Generalmajors. Andreas hatte ihn bisher nur einmal gesehen, beim ersten Appell seines Rekrutenjahrgangs. Evangelidis schien ein ruhiger, vernünftiger und sogar etwas humorvoller Mann zu sein. „Ich weiß, dass die meisten von euch nicht gern hier sind“, hatte er gesagt, „und dass ihr den Tag eurer Entlassung kaum erwarten könnt. Mir ging es nämlich so ähnlich, als ich meinen Wehrdienst antrat – aber kaum hatte ich geblinzelt, waren dreißig Jahre vergangen“.

      Sein Büro war bescheiden eingerichtet. Hinter einem einfachen Schreibtisch, auf dem Telefon und PC standen, befand sich ein niedriges Regal mit Aktenordnern und einigen Büchern. Oben auf dem Regal standen diverse Panzer- und Flugzeugmodelle sowie kleine Kriegerstatuen aus verschiedenen Jahrhunderten und Weltgegenden. Darüber hingen verschiedene Schwerter, Degen und Säbel an der Wand. Immerhin war das Büro klimatisiert, was Andreas nach dem stundenlangen Wachestehen in der Sommerhitze sehr angenehm fand.

      Der Generalmajor blickte auf; Andreas und Panos salutierten. Sein graues Haar war sehr kurz rasiert und er trug einen akkuraten Schnäuzer.

      „Rührt euch!“, sagte er zu ihnen. Dann wanderte sein Blick interessiert zu Ares. „Faszinierend“, meinte er. „Spartanisch, fünftes Jahrhundert vor Christi, würde ich sagen. Hervorragend getroffen. Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“

      „Du kennst deine Militärgeschichte, das ist erfreulich“, sagte Ares. Dann kam er ohne Umschweife zum Zweck seines Besuchs: „Ich brauche deine ganze Garnison, Aristidis. Ich verspreche, dass ich auf sie aufpasse, denn ein guter Feldherr gibt auf seine Männer acht, und dir alle zurückbringe – lebendig und mit mehr Ruhm, als sie je zu gewinnen hofften, oder ihre Leichname, falls sie ehrenhaft auf dem Schlachtfeld ihr Ende finden.“

      Alle Belustigung wich aus dem Gesicht von Evangelidis, sein Kopf wurde rot, und er sagte sehr leise, aber offenbar sehr wütend, wobei er jede einzelne Silbe betonte: „Verlassen Sie augenblicklich mein Büro!“, Etwas ruhiger fuhr er fort: „Ich bewundere die Genauigkeit dieser Uniformnachbildung, aber wenn Sie in einer Minute noch nicht verschwunden sind, bekommen Sie beide vier Wochenenden Arrest. Und Ihr Vater oder Onkel oder wer auch immer er ist, verlässt auf der Stelle das Gelände!“

      Wieder zog Ares sein Kurzschwert und ging damit auf den Generalmajor zu. Dieser sprang zurück und nahm das erstbeste Schwert von der Wandhalterung, ebenfalls ein Kurzschwert, allerdings aus einer bedeutend späteren Ära der Weltgeschichte. Er lief schnellen Schrittes auf den Kriegsgott zu und wollte gleich den ersten Schwerthieb landen, aber Ares parierte geschickt und mit wenig Mühe.

      In den nächsten Minuten entbrannte ein wilder Schwertkampf, bei dem die beiden Kämpfer zeitweise sogar über Fensterbänke und Tische liefen. „Du bist gut, Sterblicher!“, sagte Ares. „Kaum ein Mensch konnte mir jemals einen ernsthaften Kampf bieten.“

      „Sterblicher?“, fragte der Generalmajor etwas außer Atem, während er einige Tiefschläge seines Gegners parierte. „Sie sind genauso sterblich wie ich, und wenn ich erst mit Ihnen fertig bin, werde ich Ihnen das gern demonstrieren.“

      „Zu schade, dass wir keine Zeit haben“, antwortete der Schlachtenlenker. „Ich amüsiere mich gerade wie schon lange nicht mehr. Die meisten Trainingsgegner auf dem Olymp kenne ich in- uns auswendig und sie mich; es geht immer unentschieden aus. Nur Athene vermag mich bisweilen zu überlisten.“

      Mit diesen Worten landete er einen besonders gezielten Treffer, der Evangelidis das Schwert aus der Hand schlug. „Also schön, ich ergebe mich“, meinte dieser. Daraufhin berührte Ares auch seine Wange mit dem Schwert, und der Blick des Offiziers loderte feurig auf. „Na dann, auf in die Schlacht!“, rief er begeistert. „Ich versetze die Garnison in Alarmbereitschaft“.

      6

      Komplexe Zusammenhänge hatten Apostolos Karydakis noch nie interessiert. Er war ein Mann der einfachen Wahrheiten. Dieses ganze Gerede von Euro- und Wirtschaftskrise interessierte ihn nicht. Man brauchte doch nur durch die Stadt zu gehen oder Nachrichten zu schauen, dann wusste man, was das Problem war: Fremde kamen in Horden in sein Heimatland, bettelten, waren kriminell und kosteten den Steuerzahler ein Vermögen. Sie nahmen anständigen Griechen die Arbeitsplätze weg, belästigten ihre Frauen, heirateten sie womöglich noch.

      Wegen all dieser Herumtreiber und Wegelagerer war er, Apostolos, in seinem eigenen Vaterland seit drei Jahren arbeitslos, bekam kaum Unterstützung, und seine Freundin hatte ihn für einen Rumänen verlassen. Einen Rumänen! Der Typ konnte nicht einmal anständig Griechisch; die beiden unterhielten sich auf Englisch, wie Apostolos einmal mitbekommen hatte, als er sie händchenhaltend in einem Straßencafé sitzen sah. Er selbst konnte nicht gut Englisch, und das war ihm auch egal. Dass er mit der griechischen Rechtschreibung ebenfalls auf Kriegsfuß stand, war auch nicht weiter schlimm – seine Freunde im Internet verstanden ihn, und er verstand sie.

      Seine Erkenntnisse über die wahren Schuldigen der ganzen Misere waren Apostolos nämlich nicht selbst in den Sinn gekommen. Zwar hatte er schon lange ein dumpfes Gefühl der Ablehnung verspürt, wenn er Afrikaner, Araber, Bulgaren und andere Ausländer in der Stadt herumlungern sah, wie er sich auszudrücken pflegte, aber erst im Internet hatte er eine Gruppe gefunden, die seine Ansichten in Worte fassen konnte und teilte: die Goldene Morgenröte.

      Jeden Freitagabend ging er zum Treffen seiner Ortsgruppe. Dort gab es echte Kameradschaft, von Griechen für Griechen, und außerdem reichlich Bier, Wein und Ouzo. Und wenn sie sich ordentlich Mut angetrunken hatten, gingen sie oft hinaus und sorgten für Ordnung in ihrem Viertel. Erst neulich hatten sie mit zwanzig Mann drei Afrikaner davongejagt, die auf einer Decke in der Fußgängerzone saßen und Modeschmuck verkauften. Den langsamsten von ihnen hatten sie auch ordentlich vermöbelt; Apostolos hatte ihm noch ein paarmal mit seinen schweren Lederstiefeln in die Rippen getreten, als er schon am Boden lag.

      Dann waren sie weggerannt, denn die verdammten Bullen wussten es überhaupt nicht zu schätzen, dass die Morgenröte ihnen die Arbeit abnahm. Im Gegenteil: ein großer Teil der Parteiführung saß im Gefängnis! Politische Gefangene, pflegte sein Ortsgruppenleiter Theodoros Michailow zu sagen. Schläger, Diebe und Betrüger, höhnte die verlogene Systempresse.

      Es war 18:30 Uhr. Er verließ sein kleines Zimmer in der WG, die er mit zwei Parteikameraden bewohnte, und wollte auch die Wohnung verlassen, um zum Treffen zu gehen. Aber Takis, einer der beiden Mitbewohner, musste ihn gehört haben und rief nach ihm. Takis war ein immer korrekt gekleideter Jurastudent, der sich stets eine Glatze rasierte und zu einer Studentengruppe der Morgenröte gehörte. Unwillig änderte Apostolos die Richtung und ging in die Küche.

      „Apostolos“, meinte der, „bevor du gehst, eine Frage: wann wolltest du mir eigentlich deinen Mietanteil geben? Ich habe schon letzte Woche überwiesen.“

      „Ach, verdammt noch mal, du weißt doch, dass es bei mir im Moment nicht gut läuft“, meinte Apostolos aufbrausend. „Ich zahle, sobald ich Kohle habe. Vertrau mir, Kameraden der Morgenröte lassen einander nicht im Stich!“

      „Von deiner Kameradschaft kann ich mir aber auch kein Abendessen leisten“, erwiderte Takis. „Bis Montagabend hast du Zeit, aber dann will ich das Geld haben. Ist das klar? Wenn nicht, kannst du dir eine andere Bleibe suchen.“

      „Ja, geht klar“, sagte Apostolos. „Tut mir leid. Ich muss jetzt los zum Ortsgruppentreffen.“

      „Aber komm bloß nicht wieder um drei Uhr morgens grölend nach Hause geschwankt. Letzte Woche hat ein Nachbar die Bullen gerufen, weil du hier herumkrakeelt hast, und während du deinen Rausch ausgeschlafen hast, musste ich sie beruhigen. Übrigens hast du morgen Küchendienst, vergiss es nicht wieder!“

      „Nein, natürlich nicht. Bis später.“

      „Und sag dem verlausten Bulgaren, dass er mir auch noch einen Zehner schuldet!“, rief Takis ihm hinterher. Mit dem „verlausten Bulgaren“ war der Ortsgruppenleiter Michailow gemeint, dessen Vater aus Bulgarien stammte. Apostolos hielt ihn dennoch für den Inbegriff des Hellenentums.


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