Return, Viktoria. Gerhard Wolff

Return, Viktoria - Gerhard Wolff


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und tatsächlich hatte Mary zu schimpfen begonnen. Und so wurde sie von Spiel zu Spiel schlechter.

      Das hatte Viktoria ausgenutzt. So schnell es ging zog sie ihr Aufschlagsspiel, ihre Schwäche, durch, schneller, als sich Mary von ihren Wutausbrüchen erholte, um diese dann ganz sicher mit ihrem Grundlinienspiel auszukontern. So hatte sie zur Überraschung aller den ersten Satz in kürzester Zeit mit 6:2 gewonnen.

      „Weiter so, Vicky! Zeig es dem angeblichen Genie!“, meinte Marc grinsend zwischen den Sätzen zu seinem Schützling, bei dem er auf der Bank Platz genommen hatte, was im Jugendbereich noch üblich war. „Und gib dir wirklich Mühe! Die Leute von Coke sind heute hier und suchen nach jemandem, den sie unter Vertrag nehmen wollen.“ Er zeigte hinauf auf die Tribüne.

      Vicky bemerkte zwei Männer in Anzügen, die neben Marys Eltern saßen und mit ihnen sprachen. Dann sah sie zu Marc und winkte verärgert ab. „Ich bin hier, um mein Hobby so gut ich kann, auszuüben. Was interessieren mich diese Leute.“

      „Richtig, Vicky!“ Marc tätschelte sie auf die Schulter. „Du hast die richtige Einstellung. Geh hinaus und übe dein Hobby so gut aus, wie du kannst!“ Auf seinem Gesicht erschien das breiteste Grinsen, das sie je von ihm gesehen hatte.

      Der zweite Satz begann zunächst schlecht für Vicky. Marys Trainer hatte diese gut eingestellt, hatte ihr Vickys Taktik erklärt, ihr Gegenmittel empfohlen und ihr vor allem klar gemacht, dass sie die Nummer Eins sei und nicht Vicky. Schnell lag sie mit 3:0 vorne.

      „Du musst sie ausspielen!“, zischte Marc ihr in der Pause zu, als sie bei ihm auf ihrer Bank saß.

      Sie nickte und nahm sich vor, es umzusetzen. Ihr kam entgegen, dass Mary Aufschlag hatte, tatsächlich gelang es ihr mehrmals diese unter dem anerkennenden Raunen des Publikums auszuspielen und das Spiel zu machen. Sie erkannte auch, dass Mary wieder verunsichert war, schimpfte, mit dem Schläger auf den Boden schlug. Schnell zog sie ihr Aufschlagspiel durch, an dem Mary kaum Interesse zeigte und es fast kampflos hergab. Marys Trainer stand von der Bank auf, trat nahe an das Spielfeld und wollte ihr Ratschläge geben, wurde ermahnt, es kam zu einer kleinen Auseinandersetzung, die Mary ablenkte, dann zu Kopfschütteln zwischen ihr und dem Trainer, sie war nicht bei der Sache.

      Wieder nutzte dies Vicky. Es gelang ihr wieder, Mary spektakulär auszuspielen, die Menge tobte, Mary verzweifelte, Vicky gewann das Spiel. Schnell zog sie ihr Aufschlagspiel durch, spielte die Gegnerin bei deren Aufschlagspiel gekonnt aus, dies wiederholte sich mehrmals bis es 5:2 stand und Mary Aufschlag hatte. Man konnte sehen, dass sie nicht nur verärgert, sondern auch unsicher war. Der erste Aufschlag landete im Netz.

      „Ein Vorteil für mich, der zweite Aufschlag wird nicht so hart kommen, weil sie mit Vorsicht aufschlagen wird“, dachte Vicky und tat ein paar Schritte nach vorne. „Ich werde ihr den Ball um die Ohren schlagen!“

      Auch Mary bemerkte Vickys Bewegung, ahnte was sie vorhatte, wusste, dass sie beide sich in Vickys Lieblingsposition befanden. Da entschloss sie sich zu einem zweiten harten Aufschlag – und beging einen Doppelfehler. Der Ball landete im Netz, Vicky hatte gewonnen, Jubel brach los, Vicky begriff noch gar nicht, was geschehen war, sie sah, wie Mary zusammenbrach und auf dem Boden schluchzend liegen blieb. Gleich darauf stürzten sich die Fotografen auf sie, Musik ertönte, die Vorbereitungen zur Siegerehrung begannen in Sekundenschnelle. Sie selbst stand immer noch fassungslos da.

      „Du hast gewonnen!“, rief ihr Marc plötzlich zu und riss sie aus ihrer Erstarrung und ihrem Staunen.

      Sie lächelte ihm ungläubig zu.

      „Und schau mal, wo die Colatypen jetzt sind!“ Er zeigte hinauf auf die Tribüne, aber nun dahin, wo Vickys Eltern saßen.

      Tatsächlich hatten die beiden Herren in den Anzügen neben ihren Eltern Platz genommen und redeten wie wild auf diese ein.

      „Das bedeutet Geld, meine Kleine, viel Geld!“, wusste Marc.

      Vicky stand nur fassungslos da und versuchte zu verstehen, was geschehen war.

      12

      Viktoria war inzwischen 15 Jahre alt geworden, sie hatte in den vergangenen Jahren immer wieder von sich Reden gemacht, hatte Turniere und ihre Ligaspiele gewonnen, war dann wieder in das Nationalteam in ihrer Altersklasse berufen worden, gewann selbst dort gegen internationale Konkurrent und war in den Medien als neuer Shootingstar gefeiert worden. Immer wieder wurde von der Presse die Frage aufgeworfen worden, wann Vicky im Tennis der Seniorinnen auftauchen würde, wann sie in den Tenniszirkus aufgenommen werden würde.

      Nun stand sie im Finale des Nachwuchsturniers von Los Angeles, das jährlich im März ausgetragen wurde und kämpfte wie ihre Gegnerin gegen den Smog der Großstadt. Trotzdem zeigte sie, wie das ganze Turnier über, bestes Tennis, es gelang ihr alles. Auch in diesem Finale klappte alles, wie am Schnürchen.

      „Geraldine Anderson sitzt bei deinem Vater!“, hatte ihr Marc noch vor dem Spiel mitgeteilt.

      Viktoria wusste, was das bedeutete. Geraldine war die Organisatorin der Liga-Tour der Seniorinnen. Die Teilnehmerinnen dieser Verbandsspiele wurden zwar von den Vereinen geschickt, aber Geraldine nahm gerne unter dem Gesichtspunkt der Attraktivität der Mannschaften und damit zum Wohle des Tennissports auch einmal Einfluss auf deren Aufstellung und die Vereine hörten auf sie. Ihr Urteil und ihre Erfahrung zahlten sich für alle aus. Sie suchte nicht nur nach den besten, sondern auch nach interessanteren Spielerinnen, vor allem auch im Nachwuchsbereich, legte aber Wert darauf, dass die Mädchen mindestens sechzehn Jahre alt waren. „Besser ist 18, aber 16 geht schon“, meinte sie. „Ich gehe gerne auf Nummer Sicher!“, war ihr Dauerargument, das sie bei jeder Gelegenheit mit ihrer tiefen, fast männlichen Stimme und ihrer derben Art anbrachte. „Das vermeidet rechtlichen Ärger. Wenn die Mädchen Mist bauen, dann ist es ihr Problem und nicht mehr meins!“ Sie grinste dabei stets über das ganze Gesicht. Ihre Gesprächsbeiträge bestanden aus einer Ansammlung von Weisheiten, die sie ihr Leben gelehrt hatte.

      „Der Sport zeigt den wahren Charakter eines Menschen“, meinte sie zu Frank, während Vicky ihrer Gegnerin die Bälle um die Ohren schlug und sie ein ums andere Mal ins Leere laufen ließ. „Und Vicky zeigt sehr gute Eigenschaften.“ Sie zeigte auf das Feld. „Sieh nur ihren Kampfgeist, Frank, ihre Ausdauer und ihren Willen.“

      Frank nickte stolz. „Ganz die Mutter!“, scherzte er.

      „Erfolg ist 1 Prozent Talent und 99 Prozent Schweiß!“, wusste Geraldine. Dann zeigte sie wieder aufs Feld, wo Vicky ihrer Gegnerin gerade den Aufschlag abgenommen hatte. „Der Sport gibt auch dem Menschen die Chance, sich zu erkennen. Und nur wer sich erkannt hat, kann sich schämen und sich ändern und verbessern.“

      Frank nickte und überlegte, wo er das schon einmal gehört hatte. Dann brach er jedoch in Jubel aus, weil Vicky ihre Gegnerin ans Netz gelockt hatte und dann nicht, wie diese annahm, passierte, sondern sie mit einem gefühlvollen Lob ins Eck ausspielte.

      Die Menge raunte, ob der technischen Fertigkeiten Vickys.

      „Unglaublich, unglaublich!“, rief Geraldine begeistert aus.

      Auf dem Spielfeld begegneten sich zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Auf der einen Seite Viktorias Gegnerin, deren Spiel das Ergebnis aus Kraft, Temperament, Impulsivität, aber auch schneller Frustration und Verzweiflung war und auf der anderen Seite Viktoria, das sichtbare Konglomerat aus Ausdauer, Kampfgeist, überragender Technik, Rationalität, Planung und exakter Ausführung sowie Unnachgiebigkeit und Unbeeindruckbarkeit.

      „Ihre Tochter ist nicht nur ein Tennisgenie, das ist ihre Gegnerin auch“, wandte sie sich wieder an Frank. „Sie ist ein Charakter, sie ist schon jetzt, in ihrer Jugend ein echter Charakter. Wenn in ihrer Entwicklung nichts dazwischenkommt, dann kann sie eine ganz Große werden.“

      „Da passe ich schon auf!“, versicherte Frank.

      „Viel Glück dabei!“, grinste Geraldine.

      Frank sah sie fragend an.

      Geraldine erklärte nichts, grinste nur.

      Da beendete Vicky


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