Lautlos. Hans J. Muth

Lautlos - Hans J. Muth


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sein Stethoskop auf den Tisch. „Du weißt, wie du mich erreichen kannst. Ich melde mich, sobald ich etwas Genaueres weiß.“

      Als er kurz darauf auf dem beleuchteten Parkplatz des Krankenhauses stand und die frische Luft in seine Lungen sog, verflog ein Teil seiner Müdigkeit. Doch er musste einen Moment überlegen, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Er betätigte den Mechanismus seines Türschlüssels und schritt in die Richtung, in der die Blinkleuchten den Standort des Autos verrieten.

      Kapitel 8

      „Na, Frau Esslinger, was haben Sie herausgefunden? Sie haben doch die Vermisstenfälle der vergangenen Wochen recherchiert?“

      Ich warf die Bürotür hinter mir ins Schloss, schlüpfte aus meinem Mantel und warf ihn über die Lehne eines freien Bürostuhls. Ich wartete nicht die Antwort meiner Kollegin ab, die mich mit großen Augen ansah und offensichtlich krampfhaft nach einer Antwort suchte.

      „Weiblich, vielleicht 30 Jahre, korpulent, dunkelblond, maximal 1,70 Meter groß. Haben Sie da was gefunden?“, schob ich hinterher,

      Die Tür öffnete sich erneut und Laufenberg betrat das Zimmer, den Kopf missmutig schüttelnd. Dass ich ihm die Tür einfach in Gedanken und ohne ihn brüskieren zu wollen vor der Nase zugeschlagen hatte, konnte er nicht ahnen. Er ging an mir vorbei und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

      Simone blätterte indessen ohne hochzusehen in dem Stapel Unterlagen vor sich auf dem Schreibtisch. „Besondere Merkmale?“, fragte sie beiläufig und hob ihren Blick in meine Richtung.

      „Ein zugenähter Mund“, entfuhr es mir, ehe ich die Worte zurückhalten konnte. „Entschuldigung, nein, keine Merkmale“, sagte ich schnell, als ich den Blick Simones auf mich gerichtet sah. Verdammt, was ist mit mir? Ich wollte auf keinen Fall pietätlos wirken und rief mich innerlich zur Raison.

      „Eine Frau, vielleicht dreißig, vielleicht etwas weniger, vielleicht etwas mehr“, sagte ich und ließ mich auf einen der drei gepolsterten Stühle nieder, die für Gäste oder Klienten um einen kleinen Tisch angeordnet waren. „Laufenberg hat Fotos, er soll Ihnen eines ausdrucken.“

      Dann griff ich zum Telefonhörer und wählte die Nummer von Oberstaatsanwalt Philipp Rodermund. Ich hatte ihn auch binnen weniger Sekunden am anderen Ende der Telefonleitung.

      „Thalbach hier, Herr Oberstaatsanwalt. Ich wollte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass wir eine Leichensache haben. Offensichtlich Fremdverschulden. Eine Frau, um die dreißig, Identität noch unbekannt. Sie wurde aus der Mosel gefischt. Die Umstände sind allerdings etwas makaber.“

      „Eine Frau? Gibt es bei Ihnen irgendwelche Vermisstenfälle, die ein Feststellen der Identität ermöglichen?“, fragte er.

      Oberstaatsanwalt Philipp Rodermund war einer derjenigen, die sich richtig in eine Sache reinhängten. Manchmal verbiss er sich sogar so sehr, dass er wieder ein Stück zurückrudern musste. Dennoch, auf seine Unterstützung konnten wir stets hoffen, das konnte man nicht unbedingt von allen Staatsanwälten behaupten.

      „Die Frau wurde offensichtlich erstickt. Nein, nicht erwürgt“, gab ich Antwort auf eine Zwischenfrage.

      „Ich vermute, man hat ihr eine Plastiktüte über den Hals gezogen. Aber da ist noch was.“

      Ich zögerte kurz und sah zu Simone hinüber, deren Aufmerksamkeit sich mir nach dieser Aussage zugewandt hatte. „Man hat ihr … man hat ihr den Mund zugenäht.“

      „Haben Sie Anhaltspunkte, warum so etwas geschehen ist? Scheinen mir doch sehr perverse Motive zu sein.“

      „Nein, ein Motiv ist noch nicht erkennbar. Wir stehen ja auch erst am Anfang der Ermittlungen. Außerdem wissen wir nicht einmal, wer die Frau ist. Unsere Recherchen laufen auf Hochtouren. Ich wollte … es geht um die Obduktion.“

      „Ja, natürlich, ich kümmere mich darum. Sie haben Glück. Der Obduzent, Professor Habermann, hat eine Leichenöffnung in Idar-Oberstein. Ich veranlasse, dass er herkommt. Sie werden informiert. Schätze, dass er in zwei Stunden hier sein kann.“

      Rodermund gab mir noch einige Ratschläge, derer es nicht bedurft hätte und ich legte den Hörer auf die Gabel. Ich sah auf meine Uhr und wandte mich an Laufenberg.

      „Beeilen Sie sich. In spätestens zwei Stunden ist der Termin in der Gerichtsmedizin. Wir haben Glück. Oberstaatsanwalt Rodermund nimmt Kontakt mit dem Obduzenten auf. Der hat gerade heute in Idar-Oberstein eine Autopsie und wird vermutlich anschließend die Frau aus der Mosel im Sektionsraum der Stadtklinik obduzieren. Rodermund wird dafür sorgen, dass es klappt.“

      „Wer ist es denn?“

      Es klang wiederum beiläufig, denn Simone blätterte immer noch in den Akten, auf der Suche nach einer Vermissten der vergangenen Tage.

      „Professor Habermann“, antwortete ich. Wer sollte es sonst schon sein. Habermann obduzierte immer in Trier. In seltenen Ausnahmen kam ein Pathologe aus Homburg. Habermann praktizierte als Pathologe an der Mainzer Universität und gerne griff man auf Kräfte aus dem eigenen Bundesland zurück.

      Mein Rücken fühlte sich verspannt an und ich dehnte die gestreckten Arme bis zum Anschlag nach hinten.

      „Bin ja gespannt, ob er noch mit dem gleichen Gehilfen zusammenarbeitet, diesem … der mit dem polnischen Namen.“

      „Paulsen? Ist doch ein deutscher Name“, kam es erstaunt aus der Ecke Laufenbergs.

      „Wladimir ist sein Vorname“, belehrte ihn Simone. „Und der ist polnisch.“

      „Ich halte ihn eher für russisch, aber egal“, gab ich meinen Senf dazu. „Frau Esslinger, es wäre toll, wenn Sie innerhalb der nächsten Stunde etwas herausfinden könnten. Bezüglich der vermissten Personen, meine ich. Die Presse muss noch informiert werden und eine Statusmeldung an das LKA sollte auch baldmöglichst geschehen.“

      Simone sah stirnrunzelnd kurz zu mir herüber und blätterte dann mit einem leichten Kopfnicken in ihren Akten weiter.

      Das Läuten des Telefons auf dem Schreibtisch Laufenbergs drängte sich in die entstandene Stille. Er hob ab, hörte kurz zu und wandte sich mir zu, während er mit der freien Hand die Sprechmuschel zuhielt.

      „Der Dauerdienst. Kollege Endres sagt, ein Mann wolle seine Frau als vermisst melden. Ein Arzt, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Endres dachte dabei an die Tote aus der Mosel. Was soll ich ihm sagen?“

      Ich überlegte kurz, dann sagte ich: „Er soll ihn kommentarlos zu uns bringen.“

      Dann wandte ich mich Simone zu. „Verdammter Mist. Mein Gefühl sagt mir, dass Sie nicht mehr weitersuchen müssen.“

      Kurz darauf stand er vor uns, ein kräftiger, leicht untersetzter junger Mann, dessen blasses Gesicht sich von den dunklen Haaren deutlich abhob. Er sah uns erwartungsvoll an.

      Ich stand auf und ging ihm entgegen. „Kommen Sie, nehmen Sie Platz. Der Kollege sagte, Sie wollten eine Vermisstenanzeige aufgeben? Sagen Sie uns, wer Sie sind und was Ihr Anliegen ist.“

      „Das hier ist doch die Kriminalpolizei. Warum schickt man mich zur Kriminalpolizei? Ist etwas mit meiner Frau? Ist etwas …?“

      Ich schüttelte den Kopf und gab dem Mann ein Zeichen, auf einem der Gästestühle Platz zu nehmen.

      „Natürlich ist das hier die Kriminalpolizei, Herr …“

      „Brunner, Dr. Frederik Brunner, entschuldigen Sie, ich vergaß mich vorzustellen, aber …“

      „Sie wollen eine Vermisstenanzeige aufgeben. Das ist nun mal Angelegenheit der Kriminalpolizei, Herr Dr. Brunner. Worum geht es denn?“

      Ich stellte die Frage in bewusst ruhigem Ton, denn ich wollte den jungen Mann erst einmal aus seinem Erregungszustand befreien. Das Gespräch würde Erkenntnisse darüber geben, ob es sich bei der Toten eventuell um die Person handelte, die Brunner als vermisst melden wollte.

      „Vera,


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