Andran und Sanara. Sven Gradert
Dann schrie er in Richtung des Sternen Firmaments:
„Das nächste Mal, werde ich Dich vernichten. Ich werde euch alle vernichten. Das Singarium wird aufhören zu existieren!“
Kaum hatten die Worte seine Lippen verlassen, zog sich der grüne Glanz aus Haruns Augen zurück, bis er vollkommen verschwunden war. Harun Ar Sabah zitterte am ganzen Körper. Die Muskeln, die Sehnen selbst die Knochen, jede Faser seines Körpers schmerzte fürchterlich. Dann fiel er auf die Knie, hielt eine Hand fest auf seinen Magen gedrückt, und musste sich übergeben.
2.6. Die Belagerung
Die viertausend Soldaten, die der König von Keldan schickte, wurden bei ihrem Einmarsch in die Stadt von einem ohrenbetäubenden Jubel der Bevölkerung Dirans willkommen geheißen. Die Hufe der unzähligen Pferde wirbelten den Staub der trockenen Straßen dermaßen auf, dass ganze Stadtviertel von einer feinen Staubschicht überzogen wurden. Entlang der Route, die die verbündeten Soldaten durch die Stadt nahmen, hingen die Menschen Tücher und Laternen in den Farben Keldans, Grün und Gelb, auf. Wie bei einem Triumphzug, einer Schlacht die schon gewonnen war, trabten die Soldaten auf ihren Streitrössern durch die Straßen in Richtung des zentralen Platzes, der extra für den heutigen Tag geräumt wurde. Hier teilte sich die Streitmacht auf. Während sich die Hälfte von ihnen zu den Kasernen begab, schlugen die anderen Soldaten ihr Lager auf dem großen Platz vor dem Palast des Regenten auf. General Kurz betrachtete voller Bewunderung die disziplinarische Ordnung der Truppen, die dem kleinen Restbestand des Diranischen Heeres längst abhandengekommen war. Allmählich war auch ein Ende des Trosses abzusehen als die letzten Planwagen, mit all dem Material das eine Truppe im Feld mit sich führte, transportierte. Feldscher, Pferdejungen, Köche, zwei Schmiede mit besonders großen Fuhrwerken sowie einige Priester des Santhus, dem Schutzgott Keldans, rundeten das Bild ab. General Kurz versuchte verzweifelt den aufgewirbelten Staub und Dreck von seiner opulenten Uniform zu klopfen, bevor er sich auf den Weg machte, den Keldanischen Befehlshaber Gisdern aufzusuchen. Nun galt es die unendlich vielen organisatorische Dinge zu besprechen, auf die Vitras besonderen Wert legte.
Der Kriegszauberer saß seit einer guten Stunde auf einer gemütlichen Bank im großen Spiegelsaal, den Mai zu ihrem persönlichen Übungsplatz mit Sanara auserkoren hatte, um das Training seiner Enkeltochter zu beobachten. Seit ihrer Ankunft in Diran, waren über zwei Monate vergangen. Seitdem trainierten Mai und Sanara täglich. Mit ihren vierzehn Jahren wirkte Sanara noch recht zierlich und schmächtig. Aber Mai verstand es hervorragend, dem Mädchen Stärken bewusst zu machen, die lediglich trainiert werden mussten. Schnelligkeit, Wendigkeit, ein sicheres Auge und vor allem ein klarer Verstand. Wie bei den Magie Übungen mit ihrem Großvater, sog Sanara jedes Wort von Mai in sich auf. Es gelang ihr, bei den Schwertübungen inzwischen sogar Mai gelegentlich zurückzudrängen. Auch den Flic Flac beherrschte Sanara mittlerweile nahezu perfekt. Mit der Handhabung der Wurfsterne, Mais Lieblingswaffen, hatte sie jedoch noch ihre Schwierigkeiten. Sie versuchte die Sterne Kraft ihres Willens ins Ziel zu lenken. Mai bemerkte das sofort und benutzte ihren eigenen Willen, um Sanaras Sterne wieder vom Ziel fernzulenken. Dabei erklärte sie ihr, dass es Orte oder Situationen gab, wo man sich nicht auf die Magie verlassen durfte. Sie musste lernen, auch ohne ihre Magie gewisse Situationen meistern zu können. Seitdem stand Sanara jeden Morgen freiwillig eine Stunde früher auf, um vor dem Laufen und den Dehnübungen mit dieser Art von Wurfwaffe zu üben.
Als Sanara nach einer vorgetäuschten Seitwärtsdrehung, bei Mai einen Volltreffer landete, sprang Vitras auf und klatschte vor Begeisterung. Daraufhin bot Sanara eine kunstvolle Verbeugung in seine Richtung dar, die jedem Schauspieler, der sich bei seinem Publikum bedankte, zu Ehren gereicht hätte. Allmählich setzte die Abenddämmerung ein und zwei Diener erschienen, um die Fackeln im Spiegelsaal zu entzünden.
„Du solltest dich jetzt etwas frisch machen gehen!“ raunte Mai ihrer Schülerin zu: „Ich glaube, dein Großvater möchte mit dir zu Abend speisen.“
„Ausgezeichnete Idee!“ erwiderte Vitras, der jedes Wort verstanden hatte: „Warum speist ihr nicht gemeinsam mit uns Meisterin Mai?“
Sanara war von dem Vorschlag ihres Großvaters begeistert, und Mai willigte gerne ein.
„Bis gleich Mai!“ trällerte Sanara fröhlich und verließ mit Filou den Spiegelsaal. Mai blickte Sanara voller Stolz hinterher. Sie wollte nicht, dass das Mädchen sie mit Meisterin ansprach, um das spielerische ihrer Übungen, so ernst sie auch waren, nicht zu zerstören.
„Ich bekomme so langsam das Gefühl,“ begann Vitras: „, dass sie den Schmerz einen Menschen getötet zu haben überwunden hat.“
„Sie hat gelernt damit umzugehen!“ antwortete ihm Mai: „Eure Enkeltochter ist stärker als ihr ahnt Meister Vitras. Davon abgesehen, besitzt sie eine Auffassungsgabe und einen Willen, wie ich es bisher noch nie erlebt habe.“
Während Vitras und Mai den Spiegelsaal ebenfalls verließen und sich auf den Flur begaben, sprintete Sanara in den Gästetrakt, wo sich ihre Gemächer befanden. Sie rannte hinter Filou her, der urplötzlich in ein fremdes Zimmer rannte, dessen Tür einen Spalt weit geöffnet stand.
„Filou!“ rief sie den kleinen Nager mehrmals, der ihr Rufen ganz offensichtlich ignorierte. Sanara klopfte zweimal an die halb offenstehende Tür, bevor sie eintrat. Es brannten zwar schon mehrere Fackeln in dem fremden Zimmer, es schien aber niemand anwesend zu sein. Der Raum war ähnlich eingerichtet wie ihre Räumlichkeiten, die sie mit ihrem Großvater teilte. Zwei größere Zimmer sowie ein etwas Kleineres, gingen vom Vorraum aus ab. Sie waren jedoch allesamt verschlossen. Dort konnte sich Filou also nicht versteckt haben. Das Frettchen liebte solche Spielchen. Sanara war im Augenblick etwas entnervt, Filou in fremden Gemächern suchen zu müssen, da Mai und ihr Großvater gemeinsam mit ihr essen wollten. Als sie den Schreibtisch umrundete erkannte sie einige der Sachen, die sich auf ihm befanden. Sie befand sich in den Räumlichkeiten von Meister Brehm. „Verdammt!“ dachte sie: „Das werden Mai und Großvater ganz bestimmt nicht witzig finden!“
Sie blickte sich überall um, dann entdeckte sie Filou. Er hatte sich im schweren Vorhang rechts vom Balkon festgekrallt und schwang ganz offensichtlich amüsiert hin und her. Erbost schritt sie zu dem Vorhang, nahm das Tier vorsichtig in den Arm und wollte sich gerade anschicken, den Raum zu verlassen, als sie von draußen Stimmen hörte.
„Verflixt!“ schoss es ihr durch den Kopf. Um eventuellen Ärger zu vermeiden, versteckte sie sich hinter dem Vorhang und hielt Filou dabei fest an sich gedrückt. Meister Brehm und ein weiterer Mann betraten die Gemächer und schlossen die Tür. Brehm, den sie sofort am klacken seines Gehstockes erkannte, kam sehr nahe an den Vorhang heran, hinter dem sie sich versteckte. Als die Männer mit ihrem Gespräch begannen stockte Sanara der Atem. Was sie zu hören bekam war so ungeheuerlich, dass ihr die Schweißperlen von der Stirn liefen.
„Ich bringe euch die Antwort von Harun Ar Sabah!“ hörte sie die Stimme des anderen Mannes, die sie nicht einordnen konnte.
„Her damit!“ gab Brehm ungeduldig zur Antwort: „Konntet ihr in Erfahrung bringen, wann wir endlich mit dem Erscheinen unserer Truppen rechnen können?“
„Ich gehe davon aus, dass es höchstens noch eine Woche dauern wird, bis die Bataillone die Mauern der Stadt erreichen. Der König von Kushtur wird euch, in diesem Brief, sicherlich mit allem informieren, was ihr wissen müsst.“
Brehm ließ sich in den bequemen Stuhl hinter seinen Schreibtisch fallen, öffnete den Brief und las ihn sorgsam durch. Dann stand er auf, ging zur gegenüberliegenden Wand und entzündete das Papier an einer der Fackeln:
„Also ist es an Seran Dolm,“ begann Brehm zu sprechen, wobei er den verkohlten Brief auf den Steinboden fallen ließ und zertrat: „sich um den Zwilling zu kümmern, sobald unsere Truppen erscheinen!“
„Wir werden uns der Enkelin des Kriegszauberers sofort bemächtigen, sobald die ersten Kampfhandlungen beginnen. Seran geht davon aus, dass der Alte dann zu abgelenkt ist, um sich um den Zwilling zu kümmern.“
Während Filou anfing, an Sanaras Arm zu kratzen, da er herunter wollte, begann sich um das Mädchen herum alles