Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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aufzustocken, falls es zu einer längeren Belagerung kommen sollte.“

      Damit hatte Vitras nicht gerechnet:

      „Er überlässt uns tatsächlich über dreiviertel seiner Armee!“

      „Außerdem,“ fuhr Brehm fort: „hat der König durch unser Vorgehen ermutigt, die Priesterschaft des Dämons auch aus seiner Stadt gejagt. Sind das nicht hervorragende Neuigkeiten?“

      Vitras musste schmunzeln und legte seine Hand auf die Schulter Brehms:

      „Das sind sie. In der Tat. Allmählich nimmt die Sache tatsächlich an Fahrt auf.“

      „Ich muss die guten Neuigkeiten sogleich dem General überbringen.“

      Gerade als Brehm weiter gehen wollte, hielt Vitras ihn am Ärmel fest:

      „Habt ihr irgendeine Idee, wo Sanara sich aufhält? Dabei fällt mir ein, Meisterin Mai habe ich ebenfalls seit Tagen nicht mehr gesehen.“

      Der alte Zauberer lächelte Vitras verschwörerisch an:

      „Ihr solltet einmal im großen Spiegelsaal, oberhalb der Terrassen vorbeischauen!“

      Dann ging er auf seinen Gehstock gestützt weiter, um den General aufzusuchen. Vitras marschierte nun zum großen Spiegelsaal. Als er ihn betrat, fielen dem Kriegszauberer fast die Augen aus dem Kopf.

      Mai hatte ihre Robe abgelegt und trug ihren schwarzen Lederanzug offen zur Schau. Sie vollführte unzählige Flic Flacs und wirbelte dabei immer wieder um und über Sanara herum. Sanara versuchte derweil ihr geschickt auszuweichen, und sie mit einem Kurzschwert zu erwischen. Vitras kannte seine Enkeltochter nur als sein kleines Mädchen, dass dank Eldars Einfluss, immer Kleider trug. Mai hatte ihr jedoch eine praktische braune Lederhose besorgt, die zu Sanaras Leidwesen nicht so schön schwarz war, wie die von Mai. Dazu trug Sanara eine weiße Bluse und schwarze Stiefel mit flachen Sohlen. Immer wieder rief Mai ihr zu, welche Schritte oder Bewegungen falsch waren. Urplötzlich wurde es Vitras bewusst, dass Sanara kurz davorstand, erwachsen zu werden.

      Als die Kriegszauberin Vitras bemerkte, machte sie sicherheitshalber einige Flic Flacs zurück, um nicht doch noch von Sanaras Waffe erwischt zu werden. Dann gab sie dem Mädchen ein Zeichen sich umzudrehen.

      „Großvater!“ strahlte Sanara fröhlich. Der Kriegszauberer stellte erleichtert fest, dass Sanaras melancholische Stimmung wieder ihrer fröhlichen Art gewichen war.

      „Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse Meister Vitras. Aber ich dachte etwas Training könnte eurer Enkelin nicht schaden. Zumal sie Spaß daran hat.“

      „Was soll daran spaßig sein, jeden Morgen zwei Stunden zu laufen und Dehnübungen zu machen?“ erboste sich Sanara.

      „Das gehört eben dazu!“ stellte Mai trocken fest: „Und wenn du mir noch einmal mit deinem Drachen drohst...“ dabei zeigte Mai auf Filou: „dann laufen wir drei Stunden!“

      Vitras gab seiner Enkeltochter, wie immer zur Begrüßung, einen Kuss auf die Stirn. Dann bat er sie, für einen Moment mit Filou nach draußen zu gehen.

      Nachdem Sanara den Spiegelsaal verlassen hatte, schnippte Vitras mit den Fingern in Richtung der Schwingtüren, die sich daraufhin sofort schlossen. Der Kriegszauberer konzentrierte sich ganz leicht, bis er sicher war, dass sie von niemandem belauscht wurden. Mai, die sich mit einem kleinen Leinentuch den Schweiß von der Stirn tupfte, sah ihn besorgt an. Das Training mit Sanara war nicht nur anstrengend, sondern auch herausfordernd, da das Mädchen eine unglaubliche Auffassungsgabe besaß und sehr schnell lernte:

      „Wir müssen reden Meisterin Mai!“ brachte Vitras schließlich hervor und ging gemächlich auf die Kriegszauberin zu.

      „Wenn es euch missfällt, dass ich mit Sanara...“

      Vitras ließ sie gar nicht erst ausreden indem er indem er einfach nur abwinkte:

      „Nein, das ist es nicht. Macht euch darum keine Sorgen. Ganz im Gegenteil, ich begrüße es sehr wie ihr euch Sanara angenommen habt. Zumal ich gegenwärtig kaum Zeit für sie habe.“ Vitras lächelte die Kriegszauberin freundlich an, woraufhin sie betreten zu Boden blickte.

      „Es ist ja auch kaum zu übersehen, dass die Kleine euch bewundert, ja geradezu anhimmelt. Nein! Ich will euch aus einem anderen Grund sprechen!“

      Mai war einerseits froh, sich unbegründet Sorgen wegen ihres Trainings mit Sanara gemacht zu haben. Trotzdem beschlich sie auf einmal ein ungutes Gefühl.

      „Was wisst ihr über den Geheimbund der Rosendiener?“ fragte Vitras, und schien sie diesmal mit seinen Augen fast zu durchbohren.

      „Ihr meint die rot gekleidete Bruderschaft, die uns am Tag eurer Ankunft gegen diese

      Priester beistand?“

      Vitras nickte stumm, während Mai verlegen einen ihrer Wurfsterne der am Gürtel hing, aus seiner Schlaufe nahm um ihn erneut festzuziehen.

      „Ich fürchte ich kann euch da nicht viel weiterhelfen Meister Vitras. Brehm gründete den Bund vor langer Zeit, kurz nachdem wir unseren Tod vorgetäuscht hatten. Viel mehr kann ich euch eigentlich nicht von der Bruderschaft erzählen.“

      Vitras umschloss mit dem Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand sein Kinn und starrte Mai ungläubig an:

      „Ihr wart nicht nur seine Schülerin und Vertraute, ihr seid die vergangenen Jahre gemeinsam untergetaucht. Ihr müsst doch wissen, warum er diesen Geheimbund ins Leben gerufen hat! Was das für Leute sind oder wie man mit ihnen in Kontakt tritt!“

      Mai wurde das Gespräch mittlerweile äußerst unangenehm. Sie bekam das Gefühl, als ob der Kriegszauberer ihr Vorwürfe machen wollte, niemals Brehms Handlungen hinterfragt zu haben, oder zumindest über sie nachzudenken. Sie hatte blindes Vertrauen zu Meister Brehm. Vitras hingegen hatte ein unfehlbares Gespür dafür, ob man ihn anlog. Mai sagte ihm die Wahrheit. Der Kriegszauberer umrundete Mai, wobei die Absätze seiner Stiefel einen dumpfen Klang, auf dem geschliffenen Holzboden hinterließen. Mai starrte auf die riesige Spiegelwand, die sich vom Boden bis zur Decke über die gesamte Länge der Wand zog. Zögernd sprach sie weiter:

      „Wann immer ich Meister Brehm auf die Rosendiener anspreche, wechselt er das Thema. Vor vielen Jahren erklärte er mir, dass wir ganz auf uns allein gestellt, es niemals überleben würden, sollte Harun Kenntnis von unserem vorgetäuschten Tod erhalten. Ganz davon zu schweigen, dass wir Unterstützung benötigen würden, um Harun Ar Sabahs Plänen entgegenzuwirken.“

      „Das also war der Grund die Rosendiener ins Leben zu rufen? Brehm brauchte ein Netzwerk von Helfershelfern, um im Notfall euer Überleben zu sichern, sowie gegen Harun vorgehen zu können?“

      „Meister Brehm war mein Lehrer!“ schrie Mai ihn unvermittelt an. Dabei liefen ihr Tränen über das Gesicht:

      „Er ist für mich der Vater, den ich nie hatte. Ich vertraue ihm! Was hätte ich denn tun sollen? Wie hätte ich es wagen können irgendeine seiner Handlungen oder Entscheidungen zu hinterfragen?“

      Vitras bedachte Mai mit einem harten Blick, wobei er mit den Schultern zuckte:

      „Ich habe mir bisher von meinen Schülern immer gewünscht, es sogar erwartet, dass sie alles hinterfragen. Das stärkt nämlich die Auffassungsgabe sowie das Verständnis für vielerlei!“

      Mai blickte verlegen zu Boden und wischte sich mit dem Leinentuch die Tränen aus dem Gesicht. Vitras war es plötzlich unangenehm, Mai derart zugesetzt zu haben. Er schritt auf sie zu und legte seinen Arm um sie:

      „Es lag mir fern, euch dermaßen betrüblich zu stimmen. Ich werde Meister Brehm selbst auf diesen Geheimbund ansprechen.“

      Mai atmete erleichtert auf und bedachte Vitras mit einem dankbaren Blick.

      „Wie macht Sanara sich denn so als Kämpferin?“ wechselte er das Thema: „Glaubt ihr, wir können meiner Enkeltochter heute Abend die Robe der Kriegszauberer überreichen?“

      Mai lachte schallend auf. Dann berichtete sie


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