Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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ist mir jetzt völlig gleich.“

      Bevor Manith auch nur ansatzweise protestieren konnte, packte der Hüne sie oberhalb der Hüften, hob sie mühelos empor und drückte ihr links und rechts einen Kuss auf die Wangen. Andran freute sich diebisch über Maniths perplexen Gesichtsausdruck.

      Dann setzte sich Gulinor auf sein Pferd und trabte mit dem Zweitpferd im Schlepp davon. Dabei drehte er sich immer wieder um und winkte ihnen zu, bis er außer Sichtweite war. Manith hielt ihre Löwenkralle in den Händen und drehte sie permanent mit ihren Fingern in alle Richtungen:

      „Ich kann es ja selbst nicht glauben!“ brachte sie hervor: „Aber ich denke, ich werde ihn vermissen. Andran blickte sie an, wobei sich seine Mundwinkel leicht spitzbübisch verzogen:

      „Ich vermute, jetzt haben wir ein richtiges Problem?“

      Manith schaute fragend zu ihm herüber.

      „Das wir die Prüfung gemeinsam gemeistert haben, wird uns deine Mutter schon irgendwie verzeihen. Aber dass du einen Barbaren Prinzen heiraten willst... das wird übel.“

      „Was?“ Manith riss ihre Augen weit auf, rannte auf Andran zu und versuchte ihm in den Hintern zu treten. Dabei fielen sie sich in die Arme und begannen schallend zu lachen. So unbeschwert fröhlich waren sie seit dem Tag auf dem Balken nicht mehr. Gemeinsam mit Rotauge traten sie den Heimweg an und erreichten bald wieder die Ausläufer des Schwarzen Waldes.

      ***

      Um die Wölfin zu schonen, die noch immer an ihrer schweren Prellung litt, legten Andran und Manith kein schnelles Tempo vor. Mehrmals am Tag machten sie längere Pausen bei denen sich Rotauge hinlegte und schlief. Während sie Rast machten, werkelte Andran beständig mit dem Messer an seinem Köcher herum. Der Köcher war mit langen dünnen Lederschnüren verziert, die sich durch das Leder zogen. Endlich gelang es ihm, zwei der Schnüre, ohne sie zu beschädigen herauszuziehen. Er befestigte an jeder Schnur, eine der Löwenkrallen, die sie von Gulinor erhalten hatten. Dann hängte er Maniths Kralle um ihren Hals, bevor er sich seine umlegte. Gedankenverloren hielt die junge Amazone ihre Kralle mit der linken Hand fest umschlossen:

      „Glaubst Du, dass wir jemals Gulinors Angebot annehmen werden?“ Fragte sie: „Das wir eines Tages über den Pass durchs Drom Gebirge bis ins Land der Barbaren ziehen und Gulinor um Hilfe bitten?“

      Andran zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht Manith!“ Sein Gesicht bekam einen ernsten Ausdruck: „Aber es ist ein gutes Gefühl, da draußen einen Freund zu haben!“

      „Wie war es als du Gulinors Pferde gesucht hast. Es kam mir so vor, als ob es dir immer einfacher fällt, einen Teil deines Geistes loszulassen um in denen der Tiere einzufahren!“

      „Die Kopfschmerzen sind inzwischen kaum noch spürbar,“ antwortete ihr Andran: „Ich kann mich neuerdings immer schneller in den Geist der Tiere versetzen. Nur bei einigen ist es noch sehr schwer.“

      „Du meinst Rotauge?“

      Andran lächelte gequält, bevor er antwortete: „Nein, Rotauge meine ich nicht. Sie ist etwas ganz Besonderes. Ich verstehe es selber nicht, aber Rotauge ist das einzige Tier, bei dem mir das noch nie gelungen ist.“

      „Wann wirst du es den anderen erzählen? Ich meine, meiner Mutter, Zara oder überhaupt unseren Schwestern.“

      „Kannst du mir versprechen, dass sie es alle gut aufnehmen? Ich habe es bisher nicht einmal Elze anvertraut. Nur du weißt davon Manith. Bitte lass es uns zunächst dabei bewenden.“

      Manith musterte ihn mit einem sorgenvollen Blick:

      „Du gehörst zu uns Andran. Zu unserem Stamm. Ich werde niemandem auch nur ein einziges Wort von deinem Geheimnis verraten. Aber ich finde, du solltest unseren Schwestern mehr Vertrauen entgegenbringen.“

      Manith bemerkte, wie sehr Andran das Thema bedrückte. Er musste von selbst darauf kommen, dass der Stamm ihn nicht für die wunderbare Fähigkeit, mit den Tieren kommunizieren zu können, verurteilen würde. Aber es konnte ihrer Meinung nach nicht schaden, ihn ab und an in die richtige Richtung zu schubsen.

      „Komm jetzt!“ sagte sie, erhob sich und reichte ihm die Hand: „Rotauge ist wieder aufgewacht, lass uns weitergehen.“

      Sie benötigten für den Rückweg erheblich länger, als für ihre Reise hin zu Murlogs Höhle. Doch die Umgebung des Schwarzen Waldes schien der Wölfin gut zu tun. Bald konnten sie mit dem Tier sogar wieder längere Strecken schneller laufen. Am späten Nachmittag, des achten Tages, nachdem sie sich von Gulinor getrennt hatten, erreichten sie endlich ihr Dorf. Die wachsamen Augen der Amazonen auf den Wachtürmen entdeckten sie sofort. Sie brauchten einen kurzen Augenblick um zu realisieren, dass Andran, Manith und die Wölfin tatsächlich lebend zurückkehrten. Als Andran nach einer Woche von seiner Prüfung nicht zurückkehrte und auch von Rotauge jede Spur fehlte, schickte Rowena sofort Späherinnen in den Wald, um nach dem Jungen zu suchen. Schnell wurde den Kundschafterinnen klar, dass Andran Manith gefolgt war.

      Eine der beiden Kriegerinnen des rechten Wachturms blies in ein großes Signalhorn, während die andere hinabstieg und zu den Hütten lief, um das Unfassbare zu verkünden. Als Andran, Manith und Rotauge das Tor des Dorfes erreichten, hatten sich schon gut hundert Amazonen am Durchgang des Palisadenzaunes eingefunden. Die Kriegerinnen starrten andächtig auf die gewaltigen Reißzähne des Murlogs, von denen Andran und Manith je einen in die Höhe hielten, als sie das Dorf betraten. Langsam schritten sie auf die große Ratshütte zu, vor der Rowena, Zara, Elze und die Schamanin Aufstellung bezogen. Die meisten Stammesschwestern freuten sich inständig und jubelten. Einige schauten jedoch mit finsteren Gesichtern drein. Andran beschlich sofort das Gefühl, dass die beiden Reißzähne allein, sie nicht vor gewaltigem Ärger bewahren würden. Die Gefühlswelt der Königin war mit Worten unmöglich zu beschreiben. Sie war überglücklich, ihre Tochter aber auch Andran lebend wiederzusehen. Allerdings hatten sie beide mit der Tradition gebrochen. Die Schamanin bebte vor Wut. Zara legte beruhigend ihre Hand auf Elzes Schulter. Die rothaarige Amazone kannte Andran so gut wie kaum jemand anderer. Daher war sie davon überzeugt, dass dem Enkel von Vitras etwas einfallen würde – auch wenn sie nicht wusste wie er das bewerkstelligen wollte. Manith bemerkte inzwischen ebenfalls, dass nicht alle Schwestern jubelten. Besorgt warf sie Andran einen Blick zu. Andran lächelte fröhlich und schaute zum Himmel. Ganz kurz geriet er ins Wanken, fing sich jedoch sofort wieder und ging ganz normal weiter. Dabei hielt er seinen Reißzahn weiterhin hoch. Manith blickte ebenfalls kurz nach oben und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Sofort wandte sie ihren Blick wieder stur nach vorn, in Richtung der Ratshütte, die immer näherkam. Von den Amazonen völlig unbemerkt, versammelten sich hunderte von Raben auf den Baumkronen der großen Bäume rund ums Dorf. Immer mehr von ihnen besetzten allmählich auch die Bäume, die sich innerhalb des Dorfes befanden. Dabei schienen sie auf irgendetwas zu warten. Kurz bevor sie Die Ratshütte erreichten, sprang die Schamanin wütend auf Andran und Manith zu.

      „Frevel!“ schrie sie erbost und zeigte dabei mit ihrem Stock, an dem eine Vogelkralle befestigt war auf die beiden Jugendlichen. Ihr Haar wehte durch ihre ruckartigen Bewegungen wirr durch die Luft und ihre Augen hatten einen eigenartigen Glanz. Die Pupillen der Schamanin wirkten unnatürlich groß:

      „Ihr habt gegen das heilige Gesetz verstoßen! Ihr habt euer Leben verwirkt!“ Die Stimme der Schamanin steigerte sich dabei in ein regelrechtes Kreischen. Niemand brachte einen Laut hervor. Zara war die erste, die Andrans freches Grinsen bemerkte und atmete beruhigt tief durch. Andran nahm Manith den Reißzahn aus der Hand und hielt jetzt beide Zähne über seinen Kopf:

      „Bin ich ein Mitglied dieses Stammes?“ brüllte er mit einem Mal aus Leibeskräften. Dabei drehte er sich im Kreis und fixierte all die Kriegerinnen die um sie herumstanden. Lediglich ein unterschwelliges Gemurmel, sowie das Kopfnicken vieler Kriegerinnen war zu vernehmen. Wieder brüllte er:

      „Bin ich ein Mitglied dieses Stammes?“

      „Was hat er denn jetzt schon wieder vor?“ Flüsterte die Königin Zara ins Ohr.

      Diesmal wurde das Gemurmel lauter, bis die ersten „Ja!“ Stimmen ertönten, die rasch zunahmen. Daraufhin


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