Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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      2.5. Der Verrat

      Außer Harun Ar Sabah ahnte niemand in Kushtur etwas von der Anwesenheit des Dämons, tief unterhalb des Palastes der Magier. Der Präsenz des Dämonengottes legte sich jedoch wie ein unheilvoller Schleier über die prächtige Stadt. Angst und Furcht begannen die Bewohner Kushturs zu beherrschen. Gewaltverbrechen waren mittlerweile an der Tagesordnung. Friedliebende Bürger, die für ihre freundliche, hilfsbereite Art bewundert und geachtet wurden, zeichneten sich seit geraumer Zeit durch fürchterliche Wutausbrüche aus, die sie sogar zu Mördern werden ließen. Andere die ein zufriedenes, glückliches Leben führten, wählten ohne erkennbare Gründe den Freitod. Selbst die Tierwelt war betroffen da sich Vorkommnisse häuften, das friedfertige Hunde sich wie von Sinnen auf ihren Herrn stürzten oder Pferde urplötzlich wild ausschlugen und so manchen ihrer Besitzer mit den Hufen erschlugen.

      Harun Ar Sabah interessierte sich für derartige Belanglosigkeiten nicht im Geringsten. Er stand am Geländer einer der vielen Dachterrassen des Palastes und ließ seinen Blick über Kushtur schweifen. Die späte Abendsonne tauchte die Stadt mit ihren unzähligen glänzenden Türmen und deren spitz zulaufenden Dächern, in ein atemloses Lichtermeer aus orangen roten Farben. Der Kriegszauberer hatte auch für solche Dinge nichts übrig. Mit den schlanken Fingern der rechten Hand zupfte er seine Robe zurecht, drehte sich herum und schritt gedankenverloren durch die wundervolle Gartenanlage zurück in den Palast. Täglich inspizierte er die ständig steigende Truppenzahl vor den Toren der Stadt. Zudem besprach er sich oft stundenlang mit den Heerführern, die ihn von den Fortschritten der Kämpfe unterrichteten, die er in die umliegenden Königreiche und Fürstentümer getragen hatte. Zu tausenden wurden neue Sklaven aus den eroberten Gebieten in die Minen außerhalb der Stadt geschickt oder zum Verkauf in weit entfernte Länder verschifft. Der Erlös wurde augenblicklich in den Aufbau neuer Einheiten, dem Bau schweren Kriegsgerätes sowie den Sold bestehender Truppen gesteckt.

      Jeden Tag stieg Harun hinab in die Tiefen und drang bis zur Höhle des Dämons vor. Doch ES schlief nun schon seit mehreren Wochen. Harun konnte es kaum erwarten das ES wieder erwachte, da er davon überzeugt war, dem Dämon etwas Begeisterung entlocken zu können, sobald er ihn über die Fortschritte des Armeeaufbaus in Kenntnis setzen konnte. Haruns Augen bekamen einen harten Glanz als er an die ersten Siege zurückdachte. Die Truppen Kushturs waren auf dem besten Wege den gesamten Süden zu überrennen. Der Dämonengott musste ihm endlich den Respekt zollen, der ihm gebührte. Von der Dachterrasse aus gelangte Harun in einen großangelegten Raum, in dessen Mitte sich ein überdimensionaler Sandkasten befand. In dem Kasten befand sich ein Modell der gesamten bekannten Welt. Bunte Holzklötzchen symbolisierten die verschiedenen Truppen Kushturs, die sich im Süden immer weiter ausbreiteten. Zufrieden schaute Harun auf das Modell herab, als ein Diener den Raum, von wo aus Harun die Truppen befehligte, betrat.

      „Eure Majestät, der Bote aus Diran ist eingetroffen!“

      Harun drehte sich herum und starrte auf den jungen Burschen. Bevor er antwortete, ließ er seinen Blick durch den großen Saal schweifen. Am Eingang, sowie in den Ecken standen je zwei Wachen. Mit den Rücken zu den Wänden standen mit gewaltigen Krummsäbeln und Speeren bewaffnete Sarelier. Hünenhafte muskulöse schwarz häutige Krieger mit nackten Oberkörpern. Diese Männer verabscheuten schwere Rüstungen, die sie im Kampf nur behinderten. In den letzten Jahren hatten es fünf Blutwölfe geschafft in den Palast der Magier einzudringen. Jedes Mal entging Harun nur mit knapper Not dem Tod. Die Sarelier waren Söldner, aber seitdem Harun ihre Dienste in Anspruch nahm, tauchte kein Blutwolf im Palast mehr auf. In ihrer Gegenwart fühlte Harun sich sicher. Zufrieden mit der Anzahl an Wachen, die ihn schützten, wandte der Kriegszauberer sich an den Diener:

      „Schick den Mann rein! Und zwar schnell!“

      Der Diener verbeugte sich mehrmals und verließ eilig den Saal. Kurz darauf betrat ein Mann, komplett in Rot gekleidet, den großen Raum. Furchtlos schritt er auf Harun zu und ließ sich kurz vor ihm auf sein linkes Knie fallen. Dann neigte er sein Gesicht zu Boden:

      „Die Rosendiener grüßen euch, großer König und Kriegszauberer von Kushtur!“

      „Du bringst Nachrichten aus Diran?“ herrschte Harun den Rosendiener an.

      Der Rosendiener holte einen versiegelten Umschlag aus einem ledernen Beutel hervor. den er um den Hals trug, und reichte ihm dem Kriegszauberer. Mit einer abfälligen Handbewegung bedeutete Harun dem Mann zu gehen. Der Rosendiener erhob sich, vollführte eine erneute Verbeugung, drehte sich herum und verließ den Saal. Harun brach das Siegel, faltete das Papier auseinander und begann zu lesen. Die stets finstere Mine des Zauberers schien sich zu erhellen.

       An Eure Majestät Harun Ar Sabah,

       König und Kriegszauberer von Kushtur!

       Eure Anweisung, meinen Tod und den meiner Schülerin vorzutäuschen, trägt nun endlich Früchte. Eure Priester entdeckten am dritten Tag des großen Weinfestes den Verräter Vitras, in Begleitung einer jungen Frau am Haupttor der Stadt.

       Ich ließ die Priester zunächst gewähren, um in letzter Sekunde zu verhindern, dass sie den Verräter töten. Es fügt sich alles wunderbar. Der Verräter vertraut mir voll und ganz. Selbst meine Schülerin hegt nach all den Jahren noch immer nicht die geringsten Zweifel an mir.

       Wie ich erfuhr, handelt es sich bei der jungen Frau um die Enkeltochter des Verräters. Darüber hinaus, ist sie eines der Zwillingskinder der Prophezeiung. Ich warte auf Eure Anweisungen, wie ich mit diesem Kind verfahren soll.

       Ich habe die richtigen Worte gefunden, um den Verräter dazu zu bewegen in Diran zu verbleiben und sich um die Verteidigung der Stadt zu kümmern. Er wähnt sich recht siegessicher, da der König von Keldan ihm Unterstützung zugesagt hat, die jederzeit hier eintreffen kann. Der Verräter Vitras geht davon aus, dass ein Heer von zwanzigtausend Kriegern bald gegen die Stadt zieht. Es wird ihn der Schlag treffen, wenn er gewahr wird, dass die Truppenanzahl mehr als doppelt so groß sein wird. Sobald Eure Kämpfer mit der Belagerung beginnen, werden wir mit dem Zwilling so verfahren, wie ihr es wünscht.

       Ich möchte Euch noch einmal inständig darum bitten, euren Entschluss meine Schülerin zu töten, zu überdenken. Bis zum heutigen Tag ahnt Mai nichts von meiner Verbundenheit zu Euch. Sie ist und bleibt eine wertvolle Unterstützung für unsere Sache.

       Ich verbleibe wie immer Euer treuester Diener

       Brehm

      Harun Ar Sabah überflog die Zeilen des Briefes ein zweites Mal. Die Nachrichten waren einfach überwältigend. Es ergab sich nicht nur die Möglichkeit, Vitras zu vernichten, mit dem Ergreifen eines der Zwillingskinder konnte auch die Prophezeiung abgewendet werden. ES würde gar nicht anders können, als ihn endlich mit der Machtfülle zu belohnen, die ihm versprochen wurde. Harun's Gedanken überschlugen sich. Vielleicht wäre ES auch hocherfreut, diesen verdammten Zwilling höchstpersönlich töten zu können. Der Kriegszauberer wurde von einem Hochgefühl regelrecht übermannt. Sofort ließ er den Boten wieder in den Saal bringen. Als der Rosendiener wieder aufs Knie fallen wollte, hielt Harun ihn mit einer großmütigen Geste davon ab:

      „Kennst du den Inhalt dieses Schreibens?“ erkundigte sich Harun bei dem Rosendiener.

      „Ja Herr! Meister Brehm hat ihn mir diktiert!“

      „Meister Brehm, Meister Brehm!“ wiederholte der Kriegszauberer: „Die Sentimentalität unseres guten Meisters Brehm, fängt an mir Sorgen zu bereiten.“

      Der Rosendiener blickte Harun fragend an, sagte jedoch kein Wort.

      „Ich werde dir eine Nachricht für Brehm mitgeben, die im Grunde genommen völlig belanglos ist. Wir werden sehen, inwieweit Brehm wirklich unserer Sache dient. Wer ist der ranghöchste Rosendiener nach Brehm?“

      „Seran Dolm, Herr!“ antwortete der Mann in Rot augenblicklich.

      „Hör mir gut zu, was ich dir jetzt


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