Layla. Stephan Lake
hallten durch das Treppenhaus.
„Du musst nur mal deine Klamotten wechseln, so nass, wie die sind, die riechen.“
„Ich weiß.“
„Das sind jetzt deine.“ Adams hielt einen Bund mit drei Schlüsseln hoch. „Der hier ist für die Eingangstür unten, der dicke ist der Kellerschlüssel, und der hier ist für deine Haustür.“ Er hielt Elijah den Bund hin. „Du solltest deine Haustür jetzt absperren.“
Sie standen vor der Tür zu seiner Wohnung, seine Vermieterin war wieder das Geländer entlang nach unten gehumpelt zu ihrer eigenen Wohnung. Eine sehr nette Frau, die Frau Rommelfanger, sie hatte mit Elijah gesprochen, sich die Hände an der Kittelschürze abgewischt und sich dann gestreckt und ihm die Wange getätschelt und gesagt, Ja, der Junge kann hier wohnen.
Elijah lächelte. Du solltest deine Haustür jetzt absperren.
Er steckte den Schlüssel in die Tür und drehte zweimal nach rechts und zog den Schlüssel ab und steckte den Bund in die Hosentasche.
Es fühlte sich gut an. Sein eigener Haustürschlüssel zu seiner eigenen Wohnung.
Er hatte es geschafft.
Zwei Monate zuvor erst war er wieder einmal beim Jugendamt gewesen und hatte erstaunt geguckt, als er die Tür zu der Schneider aufmachte und einen Kerl auf ihrem Platz sitzen sah, kaum zehn Jahre älter als er selbst.
„Komm rein, keine Angst, komm.“
Elijah hatte gegrüßt und seinen Namen genannt und gefragt, wo denn die Frau Schneider wäre.
„Andere Abteilung. Ich bin jetzt für dich zuständig. Ich heiße Peter. Adams. Mach die Tür zu, Elijah. Ich hab schon von dir gehört.“
Adams hatte ihm dann erklärt, dass er ihm helfen wollte, er wüsste von seinen Eltern, von den Aufenthalten im Heim, und Elijah könnte Peter zu ihm sagen.
„Warum bist du denn heute hier?“
Elijah hatte sich gesetzt und gesagt, er würde ja jetzt bei seinen Eltern wohnen, aber er wollte wieder zurück ins Heim, bitte. Und er würde lieber weiter Herr Adams zu ihm sagen.
Adams hatte ihn angeguckt.
Adams hatte sich dann zwei Stunden mit ihm unterhalten, eine Stunde mehr als die Schneider in den vergangenen zwei Jahren.
Ja, und nun standen sie hier, und Elijah hielt den Schlüssel zu seiner eigenen kleinen Wohnung in der Hand.
„Verlier die Schlüssel nicht. Die nachzumachen, kostet viel Geld. Und keine Sache mehr wie neulich mit dem Moped. Hast du mich verstanden? Ohne Führerschein fahren, Moped nicht angemeldet, und ein Bier hattest du auch noch drin. Das mag für dich ein Scherz gewesen sein, aber so fangen Karrieren an. Lass dir das gesagt sein von mir, wie oft hab ich gesehen, dass Jungs so anfangen und dann kommen Schlägereien dazu und mehr Alkohol und Diebstahl, der erste Bruch und Raub, und dann gehts schnurstracks in die Gottbillstraße.“
Elijah war still.
„Die JVA ist in der Gottbillstraße, Elijah.“
„Das weiß ich, Herr Adams.“
„Weißt du auch, dass das hier deine Chance ist? Deine Riesen- und vielleicht deine einzige Chance auf ein anderes Leben? Du bist schlau, du bist fleißig, das sagen alle deine Lehrer, und ich weiß das auch. Und du bist ein guter Kerl, auch das weiß ich, sonst wären wir jetzt nämlich nicht hier. Du musst nur von deinem Viertel wegbleiben, deinen Freunden dort-“
„Ich habe keine Freunde dort, Herr Adams. Da sind ein paar Jungs, aber mit denen hab ich nicht viel zu tun.“
„Ihr werdet gelegentlich zusammen gesehen.“
„Zufall.“
„Dass ihr zusammen gesehen werdet? Mag sein, aber-“
„Nein, Zufall, wenn ich mit denen zusammen bin, Herr Adams. Wir laufen uns gelegentlich über den Weg, mehr nicht. Glauben Sie mir, ich würde das gerne vermeiden.“
„Das kannst du ab jetzt. Hierher kommen die nicht. Das ist ein gutes Viertel, weit genug von denen weg. Hast du noch einmal mit deinem Vater und deiner Mutter gesprochen?“
Elijah nickte. „Heute Morgen. Sie wissen Bescheid.“
Elijah war ins Wohnzimmer gegangen, wo sie beide in den Sesseln lagen, der Tisch voll mit Flaschen Bier und Apfelschnaps und klebrigen Rändern auf der Platte, die Aschenbecher quellten über. Die Luft war grau vom Zigarettenqualm, der Fernseher lief ohne Ton, ein Sexvideo auf dem neuen Videorekorder, und Elijah hatte sich vor den Fernseher gestellt und gesagt, dass er ausziehen würde. Seine Mutter hatte gelallt, warum er sich denn ausziehen wollte, was sollte das denn jetzt, das wäre doch unanständig, er wäre doch ein anständiger Junge. Er sagte, er würde aus der Wohnung ausziehen, er würde von hier wegziehen, und er würde jetzt gehen, jetzt. Gulli hatte dann geflucht und ihn beschimpft, wie er das immer tat, als Hurensohn und Nichtsnutz und Penner, aus dem nie etwas werden würde, und er würde sich noch umgucken. Dann hatte Gulli eine Flasche Bier nach ihm geworfen, aber Elijah machte einen Schritt zur Seite und die Flasche war gegen die Wand geknallt, ohne kaputt zu gehen. Die Mutter hatte die Arme nach Elijah ausgestreckt, aber er war stehen geblieben, da hatte sie angefangen zu weinen, still, in sich hinein, und dann die Beine angezogen und gerülpst und zu jammern angefangen, wie es ihre Art war. Sie wusste, dass Gulli das nicht mochte, dass es ihn aufbrachte, und Elijah wusste es auch, und es kam, wie es immer kam, Gulli schob sich aus dem Sessel, und Elijah sah erst jetzt, dass Gullis Hose offen stand und sein Schwanz herauslugte; Gulli sprang hinüber und riss der Mutter an den Haaren und knallte ihr erst eine, die sie mit den Armen abwehren konnte, dann noch eine, mit dem Handrücken, eine weit ausholende Bewegung, die sie mitten ins Gesicht traf. Gulli war dann getorkelt und auf sie gefallen.
Elijah war hin und hatte Gulli weggerissen und am Kragen festgehalten, auf Armeslänge, und ihn angesehen, ihn, dem der Hass aus den wässrigen Augen schoss und dem unten immer noch was aus der Hose rauslugte und der ihn anschrie, „Wat, du Penner, wat willste, hä? Du wirst dich noch umgucken.“ Elijah konnte die Spucke zwischen den gelben Zähnen sehen.
Elijah hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, auch mit dem Handrücken, auch mitten ins Gesicht, und Gulli war mitsamt seinem Geifer und seinem Hass und seiner offenen Hose auf den Boden gerutscht und liegen geblieben.
Elijah hatte sich dann umgedreht, seine Tasche genommen mit allem, was er besaß, und war gegangen. Er konnte nicht mehr für seine Mutter tun.
Adams sagte, „Du hast mit beiden gesprochen?“
Elijah nickte. „Wir haben alles geklärt.“
„Das ist gut. Deine Eltern haben nicht mehr das Sorgerecht, das liegt jetzt beim Staat. Aber es ist immer besser, wenn die Eltern Bescheid wissen und einbezogen sind. Also“, sagte Adams dann, „du hast es gesehen, das Zimmer hat einen Schrank, ein Bett, eine Couch, du hast ein kleines Bad und sogar eine Spüle und zwei Herdplatten und den kleinen Ofen. Du kannst dir also Dosen aufwärmen und alles, Pizza. Das Amt zahlt die Miete direkt an deine Vermieterin, dreihundert Mark inklusive einem Abschlag für Heizung, Strom und Wasser. Der Abschlag ist nicht so üppig, sei also sparsam, okay? Dazu bekommst du das Kindergeld, das bislang an deine Eltern ging. Aber damit-“
„Das will ich nicht haben.“
„Was willst du nicht haben?“
„Das Kindergeld. Ich will nichts von denen.“
„Das Kindergeld, Elijah, gehört nicht deinen Eltern. Es gehört dir. Der Staat zahlt dieses Geld für die Kinder, nicht für die Eltern. Also, du bekommst das Kindergeld, aber das sind nur fünfzig Mark, und die reichen nicht. Du musst selbst etwas dazuverdienen. Wir haben so etwas noch nicht gemacht, einen Minderjährigen aus der Familie rausnehmen und ihn nicht wieder in ein Heim geben oder in eine Pflegefamilie, sondern ihm stattdessen eine eigene Wohnung finanzieren und ihn allein leben lassen. Du bist der Erste, Elijah. Eine Art Experiment. Ich hab mich dafür ins Zeug gelegt. Ich hab mich für dich stark gemacht.“