Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
Felsgrates dicht am Gletscher –“
„Ein Maler?“ fragte Harald, erstaunt tuend.
„Ja – ein deutscher Maler. Raupach heißt er. Ein Sonderling, aber ein liebenswürdiger Herr –“
„So. Und der wäre beinahe unter die Lawine geraten?“
„So ist’s – beinahe! Er klopfte noch bei mir an und ließ sich eine halbe Flasche Wein geben. – Doch nun werde ich erst mal den Herren etwas zu essen besorgen –“
Wir waren in der kleinen Stube allein.
„Ruperti hat für eine Art Alibi hier sorgen wollen,“ meinte Harald leise. „Nun werden die beiden Spießgesellen auf ihren Lorbeeren ausruhen. Ihre schlimmsten Feinde sind ja tot – denken sie! – Wenn wir uns etwas gestärkt haben, werden wir ihnen unsere Morgenvisite machen, ohne vorher anzuklopfen. Es wird dort an der Hütte wohl kaum Fensterladen geben. Wir schlagen eine Scheibe ein und –“
Ich saß mit dem Gesicht nach dem Fenster hin. Das Fenster ging nach Nordwest hinaus. Und dort wohnte Ruperti; und von dort kam jetzt ein Mann den schmalen Pfad daher, der sich durch das Geröll und Gestrüpp auf das kleine Wirtshaus zuschlängelte.
Ich hatte Harald zugewinkt. Er schwieg, wandte den Kopf.
„Das muß Granjelm sein, mein Alter –“ – Und Harst faßte in die Schlüsseltasche und holte die Clement hervor, entsicherte sie und legte sie auf den Tisch unter eine Zeitung.
„Ja – er kommt hierher,“ meinte ich in wachsender Erregung.
„Wir hätten ihn auch kaum vorbeigelassen. – Schnell – ich habe mir’s anders überlegt. Wir werden den Wirt ins Vertrauen ziehen. Ich möchte wissen, was Granjelm hier will –“
Er nahm die Pistole und seine Sportmütze. Wir gingen rasch in die Küche hinüber. Der Wirt, der im Sommer hier ganz allein hauste, war zum Glück keiner von jener denkträgen Sorte Mensch, denen man alles ganz genau auseinandersetzen muß. Er begriff im Augenblick, was wir beabsichtigten, verließ die Küche und betrat das Gastzimmer, dessen Tür er hinter sich nur anlehnte.
Da erschien Granjelm auch schon, rief dem Wirt einen Guten Morgen zu und reichte ihm die Hand. Der Wirt kannte ihn ja bereits als häufigen Gast des Gletschermalers.
„Raupach ist soeben mit seinem Malgerät zu einem dreitägigen Ausflug in die Schneefelder aufgebrochen,“ sagte Granjelm dann. „Ich wollte mich nur wieder verabschieden. Ich fahre mit dem Mittagsschiff nach Bergen zurück. Ich habe von dieser verteufelten Gegend vorläufig genug. Raupach erzählte Ihnen ja, daß er beinahe erschlagen worden wäre. Ich lag derweil in seiner Steinhütte und schlief, ahnte nicht, wie dicht der Tod ihn gestreift hatte. Oh – er war noch ganz blaß, als er dort oben erschien. Er hat die halbe Flasche Rotwein fast auf einen Zug hinabgegossen. – Leben Sie wohl. Ich komme nach einer Woche wieder her, dann vielleicht für längere Zeit.“
Harald stieß die Tür auf.
Granjelm hatte sich tadellos in der Gewalt. Sein Zusammenschrecken war so unmerklich, daß es kaum auffiel.
„Sie werden vorläufig noch hier bleiben müssen, Herr Granjelm,“ sagte Harst und brachte die Clement zum Vorschein.
Granjelm blickt Harald prüfend an.
„Ich habe für solche Scherze kein Verständnis, mein Herr,“ erklärte er eisig. „Wer sind Sie und was wünschen Sie, wenn ich fragen darf –“
„Ich wünsche, daß Sie sofort beide Arme nach vorn strecken und sich von meinem Freunde fesseln lassen, falls Sie nicht gerade Lust haben, sich gewaltsam die Hände binden zu lassen. Wer ich bin, wissen Sie. Und der Wirt hier weiß es auch –“
„Mein Herr, ich sehe Sie zum ersten Male, und –“
„Arme hoch!“ rief Harald drohend. „Ich denke, Sie sollten genug von mir gehört haben, um auf derlei Winkelzüge zu verzichten!“
„Wie Sie wollen –“ – Und der blondbärtige Granjelm hob die Arme.
Ich hatte aus der Küche bereits ein Stück Waschleine mitgebracht. Der Anwalt war nun wehrlos.
„Setzen Sie sich dorthin!“ befahl Harald.
Granjelm lächelte. „Bitte! – Sie werden mir im übrigen nicht viel anhaben können, Herr Harst. Ich vermute, daß Sie Ruperti verfolgen. Ruperti ist mein alter Freund und hat mir versichert, er sei weder Thoras Mörder noch –“
„Schweigen Sie!“ sagte Harald scharfen Tones. „Wo ist Ruperti jetzt?“
„Nach Norden über die Schneefelder unterwegs –“
4. Kapitel
Würdige Genossen
Harald musterte Granjelm durchdringend.
„Was haben Sie dort unter Ihre blaue Jacke geknöpft, die rechts und links an den inneren Brusttaschen weit absteht?“ fragte er dann.
„Geld,“ erwiderte Granjelm ruhig. „Banknoten sind’s 172 000 Kronen, die ich im Auftrage Rupertis anonym der Polizei in Christiania zusenden soll. Ruperti will dieses Geld, das er in Thora Olavsens Koffer fand, nicht länger bei sich aufbewahren. Er sagte mir heute früh, daß er sich außerdem nach seiner Rückkehr von dem Ausflug der Polizei selbst stellen wolle.“
„So – so! Sehr verständig von ihm! – Sie werden uns jetzt nach der Steinhütte begleiten –“
„Gern, Herr Harst –“
Dieser Mann mußte Nerven wie die Ankertaue haben: dieser Mann war mindestens ebenso gefährlich wie Ruperti. –
Wir nahmen ihn in die Mitte. Als wir die niedrige Hütte mit den vier kleinen Fenstern und der schweren Holztür dicht vor uns hatten, sagte Granjelm: „Den Schlüssel hat Ruperti mitgenommen –“
„Das macht nichts. – Schraut, schlage eine Scheibe ein!“
Ich hielt dies für reichlich unvorsichtig. Ich war ja überzeugt, daß Ruperti sich in der Hütte befand.
Auf meinen fragenden Blick fügte Harst hinzu:
„Ruperti ist nicht zu Hause! Sei unbesorgt. Er wollte weder die 172 000 Kronen der Polizei zusenden lassen, noch sich der Polizei stellen –“
„Das muß ich wohl besser wissen,“ meinte Granjelm fast hochfahrend. „Ich habe Ruperti noch ein Stück begleitet als er bei Morgengrauen aufbrach. Er –“
Harst war plötzlich ganz dicht an Granjelm herangetreten.
„Sie lügen! Sie haben ihn – ermordet! Sie wollten ihn für immer los sein, nachdem in der vergangenen Nacht wir beide, wie Sie hoffen, zwar stumm gemacht worden waren. Sie aber anderseits die Überzeugung gewonnen hatten, daß jede fernere Verbindung mit Ruperti für Sie gefährlich werden könnte, eben weil man Ruperti nun bereits auf den Fersen war. Der für immer stumme Ruperti konnte nicht mehr verraten, daß Sie um seine Verbrechen wußten und an dem letzten sogar teilgenommen hatten – an Doktor Olavsens Entführung!“
Granjelm blieb selbst durch diese Vorwürfe ungerührt.
„Herr Harst, vor der Polizei werde ich alles zu Protokoll geben,“ sagte er wieder in recht anmaßendem Tone. „Ihnen bin ich keine Erklärung schuldig. Ich verlange, daß Sie mich sofort nach Odda bringen.“
Harald wandte sich mir zu. „Bewache ihn hier!“
Dann schlug er eine Scheibe ein, öffnete die Fensterhaken, zog einen Flügel auf und kletterte hinein.
Erst nach einer Viertelstunde erschien er wieder am Fenster.
„Doktor Olavsen ist