Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
sind gute Freunde. Hat er Ihnen vielleicht mitgeteilt, ob er jetzt nach Thoras Tod erfahren hat, wohin diese die Ausflüge mit ihrem Motorrad unternommen hatte. Sie war doch im vergangenen Sommer viermal längere Zeit von Hause abwesend –“
Lotte Balnör preßte für einen Moment die Lippen fest zusammen und atmete so hastig und schwer, als müßte sie gewaltsam eine starke Erregung unterdrücken. Dann rief sie klagend:
„Erinnern Sie mich nicht auch noch an diese Schlechtigkeiten meines Mannes, Herr Harst! Viermal war auch er in den Monaten Mai, Juni und Juli des Vorjahres angeblich aus Berufsgründen nach Kopenhagen gereist! In Wahrheit wird er sich mit Thora getroffen haben! – Was Ihre Frage angeht: ja – durch einen Zufall hat Doktor Olavsen im Januar dieses Jahren herausbekommen, daß Thora ihr Motorrad des öfteren von hier mit der Bahn nach Skien befördern ließ. Also wird diese Stadt wohl der Ort der Stelldicheins gewesen sein.“
„Möglich wäre das,“ meinte Harald gleichgültig. „Noch etwas, gnädige Frau. Hat Olavsen Sie in seine Vermögensverhältnisse beziehungsweise in die Art der Anlage seiner Kapitalien eingeweiht. Fischer Brodersen in Söndar erzählte mir heute mittag, daß der Herr Doktor die Absicht gehabt habe, ein kleines, hübsch gelegenes Landgut am Fjord zu erwerben, wo er später fern dem Treiben der Welt wohnen wollte –“
„Olavsen deutete so etwas Ähnliches an, Herr Harst,“ erklärte Frau Lotte und errötete leicht.
„Vielleicht wollte er mit seiner – Gattin sich auf dieses Gut zurückziehen,“ sagte Harald mit jenem gütigen Blick, aus dem seine mitfühlende, alles verstehende Seele so deutlich spricht. „Und sonst, gnädige Frau, – ob Olavsen wohl größere Summen Bargeld im Hause zu haben pflegte?“
Der Reeder mischte sich jetzt ein. „Ich weiß, worauf Sie es abgesehen haben, Herr Harst: Sie möchten feststellen, ob dieses Verschwinden Olavsens etwa mit einem Raube Hand in Hand geht – einem Diebstahl in seinem Hause. Nein, das ist nicht der Fall. Das hat Inspektor Booger bereits untersucht. Booger hat denselben Verdacht gehabt wie Sie: man könnte Olavsen in Söndar ermordet haben, um in derselben Nacht noch in seine Wohnung eindringen und dort stehlen zu können. Er hielt sich ja nur eine ältere Wirtschafterin. Dies scheidet aus, Herr Harst. Booger hat nachgeprüft, ob ein größerer Betrag von Olavsens Vermögen fehlt oder ob in jener Märznacht jemand gewaltsam in die Wohnung eingedrungen ist.“
„Hat Booger ermitteln können, von wo aus jemand angeblich als Fischer Börgersen den Doktor nach Söndar hinauslockte, also von wo damals telephoniert wurde?“
„Gewiß, Herr Harst, gewiß. Von der Villa des Kommerzienrats Schradler aus –“
„Also stimmt auch das!“ sagte Harald leise wie zu sich selbst.
Der Reeder legte plötzlich seine Zigarre auf die Aschenschale. „Herr Harst, wenn Sie soeben vor sich hinmurmelten, es stimme also auch dies, dann – dann stimmt eben noch anderes, dann haben Sie sich bereits eine Ansicht über Olavsens Verschwinden gebildet.“
„Das gebe ich zu, Herr Balnör –“
Frau Lotte rief scheu: „Glauben Sie, daß Olavsen tot ist – ermordet?“ – Aus ihren Augen leuchteten Angst und jene Spannung, die auf eine verneinende Antwort hofft.
„Ich glaube, das er lebt,“ erwiderte Harald bedächtig. „Der Lebende ist so, wie die Verhältnisse liegen, den Entführern wertvoller.“
„Ah – doch entführt!“ meinte Herr Balnör.
„Ja. Aber das bleibt unter uns,“ sagte Harst sehr ernst.
„Und – wer sind die Leute, die ihn gewaltsam weggeschleppt haben?“ fragte Frau Lotte hastig.
„Einer von ihnen ist der, an den Sie jetzt denken, gnädige Frau –“
„Ruperti!“ hauchte das arme Weib und stierte wie betäubt Harst an. „Wirklich Ruperti! Ich – ich habe diesen Verdacht sofort gehabt –“
„Ohne die Gründe für diese Entführung zu kennen,“ meinte Harald. „Nein – diese Gründe sind Ihnen bestimmt fremd – die wahren Gründe! Sie vermuten vielleicht, Ruperti wollte sich an Olavsen rächen, weil dieser damals mich zu Hilfe rief und weil er so die Entlarvung des Täters veranlaßte. Nein, das ist es nicht. Andere Gründe sind hier für Ruperti bestimmend gewesen, Gründe von feinerer psychologischer Beschaffenheit, zum Teil auch wohl – ganz grob materielle –“
„Sie werden Doktor Olavsen jetzt also suchen,“ sagte Balnör da in heftiger Erregung. „Suchen Sie ihn! Und – finden Sie gleichzeitig diesen Schurken, der meine Tochter einst zum Weibe begehrte und doch nur ihr Geld wollte! Eine Viertel Million Kronen hat dieser Lump vergeudet! Mag Lotte auch anders hierüber denken: ich wünsche Ihnen von Herzen vollen Erfolg! Bloßgestellt ist unser Name doch schon! Was tut es da, daß die Öffentlichkeit sich nochmals mit alledem beschäftigt! Soll etwa dieser Mörder straffrei ausgehen?! Niemals!“
Frau Lotte hatte sich erhoben und still das Zimmer verlassen.
Harald schaute ihr mitfühlend nach. „Ich freue mich, daß Ihre Tochter sich hier im Elternhause so gut erholt hat, Herr Balnör,“ meinte er dann. „In Harzburg machte sie den Eindruck einer Schwerkranken –“
„Nur Olavsens Verdienst!“ sagte der Reeder weich. „Er hat Lotte ja von Jugend an geliebt, der brave Mensch! Wäre damals nicht dieser aalglatte Schurke hier erschienen, dann – dann lebte auch Thora heute noch! – Gestatten Sie mir nun aber eine Frage, Herr Harst: wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, daß Ruperti diesen neuen Schurkenstreich verübt haben könnte?“
„Durch eine Dummheit dieses Menschen, eine Unüberlegtheit, durch einen Versuch, mich zu verhöhnen, mich als Detektiv. Schraut kann Ihnen das erklären, denn er hat diese Verhöhnung ermöglicht, weil er ja unsere Abenteuer sehr zu meinem Ärger stets veröffentlicht und dabei meine – „genialen“ Fähigleiten häufig allzu dick unterstreicht –“
Ah – nun ging mir ein Licht auf: das Stück Druckseite aus Band 68!
Ich sagte daher: „Herr Balnör, in der Villa Schradler wurde in einem von ungebetenen Gästen benutzten Schlafzimmer ein Stück Papier gefunden, das den Anfang eines Kapitels eines unserer Probleme enthielt und darin auch einige Bemerkungen über meines Freundes seltenes Talent, selbst die schwierigsten Kriminalfälle zu enträtseln. Harald glaubt nun, Ruperti kann dieses Stück Druckseite dort zurückgelassen haben in der Überzeugung, daß Harst eben nie ermitteln würde, wer die Jacht Albatros gestohlen und in der Villa genächtigt hat –“
„Ja – das glaubte ich, das glaube ich noch. Und hier erhielt ich ja den Beweis, daß Ruperti in der Villa war: er hat von dort nach Christiania telephoniert! Er raubte die Jacht: er entführte mit der Jacht Sigurd Olavsen, verschleppte ihn irgendwohin, damit – Doch hierüber will ich mich erst später äußern. – Herr Balnör, noch eine Frage, bevor wir uns verabschieden: Ruperti lernte Ihre Tochter hier kennen. Hatte er hier Bekannte?“
„Nur einen, ebenfalls einen Rechtsanwalt von recht schlechtem Ruf. Er heißt Granjelm.“
„Lebt dieser Granjelm noch hier in Christiania?“
„Nein. Er ist im Februar nach Bergen übergesiedelt.“
„So – nach Bergen! Und in der Nähe dieser großen Hafenstadt wurde die herrenlose Motorjacht gefunden!“
„Ah – Sie meinen, daß Granjelm –“
„– der Spießgeselle Rupertis ist. – Das meine ich allerdings! – Ruperti allein konnte diese Entführung nicht bewerkstelligen. Es gehörten mindestens zwei dazu. – So, jetzt müssen wir Ihnen lebewohl sagen, da wir morgen früh weiterreisen wollen –“
„Nach Bergen – zu Granjelm?“
„Ich gehe stets sicher, Herr Balnör. Ob wir in Bergen bei Granjelm Rupertis Spur finden, ist ja nicht ausgeschlossen. Aber – ebenso gut finden wir sie vielleicht anderswo. – Auf Wiedersehen, Herr Balnör. Empfehlen