Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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der Fall Thora Olavsen doch vielleicht ganz anders liegen, als wir bisher vermutet hatten?! Spielten hier vielleicht doch weit ernstere Dinge mit?!

      Um halb acht betrat dann der Kapitän der Preußen den Wartesaal.

      „Ah – finde ich Sie endlich!“ meinte er atemlos. „Ich wußte doch, daß Sie noch hier in Trelleborg bleiben würden, lieber Bließke. Ich habe eine Depesche für Sie – bitte.“

      „Nanu?!“ kopfschüttelte der Wachtmeister. „Depesche?! Her damit!“

      Er riß sie auf, las.

      Und sein Gesicht erstarrte förmlich.

      Dann winkte er mir zu. „Einen Moment, Herr Schraut –“

      Wir gingen in den Vorraum.

      „Lesen Sie!“ sagte er dumpf.

      Ich nahm die Depesche. Ich ahnte, was darin stehen würde, – und ich hatte mich nicht geirrt.

      „Weibliche Leiche in Männerkleidung mit durch Schläge unkenntlich gemachtem Gesicht bei Binz an Land gespült. Bitte womöglich mit Harst sofort zurück. – Gemeindevorstand Saßnitz.“

      „Das ist Thora Olavsen,“ sagte Bließke leise.

      Ich nickte nur. Ich war, obwohl ich dies vorausgeahnt hatte, doch völlig sprachlos vor Entsetzen.

      Also doch ein Mord! – Und – wo war Harald?! Wo war er gerade jetzt, da wir ihn so nötig brauchten?!

      Bließke schaute mich ängstlich an. „Ob wir’s dem Doktor noch verschweigen, Herr Schraut?“

      „Ja. Wir –“ – Mir blieb das Wort im Munde stecken, denn – durch die Haupttür war soeben Harald eingetreten, der sich auf einen schwedischen Polizeibeamten stützte und um die Stirn einen weißen Verband trug.

      Ich eilte ihm entgegen.

      „Es ist nichts!“ beruhigte er mich. Aber seine Stimme klang sehr matt. „Wirklich nichts – nur ein Streifschuß, nichts weiter –“

      „Du warst mit dem Rade hinter dem Auto –“

      „Ja – hinter dem Auto her, das vor der Stadt abbog. An einer Biegung verlor ich es aus den Augen. Als ich die Biegung erreicht hatte, kam es mir entgegen. Aber – der Chauffeur war verschwunden, und das Weib steuerte, raste auf mich los, schoß dreimal, und ich sank vom Rade. – Wir haben schon festgestellt, daß das Auto durch eine Depesche von Saßnitz aus hier bei einem Autoverleiher bestellt worden war. Das Weib hat dann dem Chauffeur hinter der Biegung zu halten befohlen, hat ihn niedergeschlagen und ist entkommen. Nun sind jedoch bereits alle Ortschaften in der Nähe telephonisch verständigt. Thora Olavsen wird sehr bald gefaßt werden.“

      Da gab ich Harald die Depesche, die Bließke erhalten hatte.

      Er las, stierte auf das Papier, murmelte:

      „Also nicht er – sie mußte sterben! Welch ein Verbrecher!“

      „Was sollen wir nun Olavsen sagen?“ meinte ich zögernd.

      „Er ist Arzt. Er wird die Wahrheit vertragen.“

      Ja – er war Arzt. Aber – wie mußte er seine Schwester geliebt haben, daß er so völlig fassungslos sich seinem Schmerze hingab und wie ein Kind weinte! –

      Um neun Uhr abends fuhren Harald und ich nach Malmö und dann weiter nach Kopenhagen, wo wir um Mitternacht eintrafen. Wir begaben uns sofort zum Hafen, fanden auch die Liegestelle des Dampfers Haugesund und ließen den Kapitän durch die Deckwache wecken.

      Boomlund kleidete sich notdürftig an und holte uns dann in seine Kajüte.

      „Sie müssen uns genau erzählen,“ begann Harald sehr ernst, „weshalb Sie gegen Thora schon längere Zeit Mißtrauen hegten und was in Trelleborg von Ihnen beobachtet wurde. Ich will Ihnen die traurige Wahrheit nicht verhehlen: Thora Olavsen ist ermordet worden!“

      Holger Boomlund bedeckte die Augen mit der rechten Hand und saß eine lange Zeit völlig regungslos da.

      Dann ließ er die Hand sinken. Sein wetterbraunes, hübsches und doch so männliches Gesicht war zur Maske tiefsten Seelenschmerzes erstarrt.

      „Sie sollen alles erfahren,“ sagte er leise. „Thora war mir von Anbeginn unserer Bekanntschaft ein Rätsel. In Christiania ist sie unter dem Namen „Thora mit dem Spleen“ fast – berüchtigt. Und doch – ich verliebte mich in sie, weil ich merkte, daß auch sie Gefallen an mir fand. Wir verlobten uns. Und damit begannen für mich die seelischen Martern. Heute war sie von wilder Zärtlichkeit, morgen von verletzender Kälte. Das wechselte wie Regen und Sonnenschein – grundlos, ganz plötzlich. Dieses widerspruchsvolle Verhalten machte mich sehr bald stutzig. Ich bin kein Jüngling mehr und kenne das Leben und die Menschen. Ich beobachtete Thora schärfer und gelangte so allmählich zu der Überzeugung, daß sie eine andere Liebe in ihrem Herzen trage und daß ich ihr helfen solle, diesen Anderen zu vergessen. Ich deutete dies ihr gegenüber auch an. Sie leugnete nicht, gab aber auch nichts zu, sondern umklammerte mich und flüsterte: „Rette mich, Holger, – rette mich vor mir selber!“ – Sie tat mir jetzt leid, Herr Harst, und in letzter Zeit änderte sich auch ihre Unausgeglichenheit, besserte sich. Dann sah ich sie vier Tage vor ihrer Abreise, wie sie aus dem Hauptpostamt in Christiania kam. Sie war leichenblaß und schritt wie eine Schlafwandlerin dahin. Am Hafen setzte sie sich auf eine Bank und zog einen Brief aus ihrem Handtäschchen –“

      Er schwieg einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

      „Sie ist ja nun tot. Ich brauche nichts mehr zu verheimlichen. Ich will jedoch alle Einzelheiten fortlassen. Diese Erinnerungen sind so peinvoll für mich. – Sie zerriß den Brief, nachdem sie ihn gelesen hatte, und streute die Schnitzel ins Wasser. Ich habe vier Papierstückchen herausgefischt. Sie bewiesen mir, daß der Brief von einem Manne herrührte, der Thora mit „Du“ anredete und sie –“

      „Eine Zwischenfrage,“ fiel Harald ihm ins Wort. „War der Brief in deutscher Sprache abgefaßt?“

      „Ja.“

      „Besitzen Sie die Schnitzel noch?“

      „Nein. So etwas hebt man sich nicht auf.“

      „Schade. – Diese Brieffetzen verrieten Ihnen, daß Thora sich mit dem Manne in Trelleborg treffen wollte?“

      „Ja. Es stand da: „Wartesaal Trelle–“ Das andere fehlte. Aber ich reimte mir das Richtige zusammen und –“

      „– und wurden Zeuge der Begrüßung zwischen den beiden –“

      „Thora flog dem Manne an die Brust –“

      „Wie sah der Mann aus?“

      „Er hatte einen dunklen kurzen Vollbart, trug eine Hornbrille mit grauen Gläsern und war elegant gekleidet. – Ich hatte die Tür des Wartesaales nur ein wenig geöffnet, schloß sie sofort wieder und kehrte in einer sehr, sehr traurigen Gemütsverfassung in die Stadt zurück. Ich hatte Thora aufrichtig geliebt. Nun – nun war alles aus zwischen uns. Mein Verdacht hatte sich bestätigt: ihre wahre Liebe war der Andere!“

      „Mehr können Sie über diesen Mann wohl nicht angeben?“

      „Nein. Ich sah ihn ja nur halb von der Seite und ganz flüchtig.“

      Holger Boomlund bat Harst nun, ihm mitzuteilen, was bisher über Thoras Tod bekannt sei.

      Harald berichtete ihm alles: von Doktor Olavsens Besuch bei uns und von unserem Abenteuer in Saßnitz, von dem Überfall durch die Grauhaarige in Trelleborg und dem letzten Telegramm, das die Auffindung der weiblichen Leiche mit dem durch Schläge unkenntlich gemachten Gesicht meldete.

      Der Kapitän hatte wieder die Augen mit der Hand bedeckt. Sein Gesicht zuckte vor mühsam zurückgedrängtem Schmerz.

      Dann fragte er leise:

      „Werden


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