Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters. Reinhard Pohanka
und die als Basis für sein Heer dienten.
884 konnte er ein dänisches Heer besiegen und nahm London und den südlichen Teil von Mercien in Besitz. Die Bewährungsprobe kam 892, als ein großes dänisches Heer mit einer neuen Taktik landete. Statt sich in Festungen zurückzuziehen, marschierte die dänische Armee schnell und über große Distanzen und tauchte immer dort auf, wo Alfreds Armee schwach war. Alfred konnte die Dänen immer wieder besiegen, aber niemals vernichten, erst 896 konnte er die dänische Armee auflösen.
Alfred starb 899, begraben wurde er in der Kathedrale von Winchester. Er hatte das Reich seines Vaters bewahrt und vergrößert, dennoch wurde bei seinem Tode noch die Hälfte Englands von den Dänen beherrscht, und das Reich Alfreds war in der Defensive und ohne Möglichkeiten, offensiv gegen die Dänen vorzugehen.
Selbst wenn Alfred unter die großen Heerführer jener Zeit einzureihen ist, den Beinamen »der Große« hat er sich auf kulturellem Gebiet verdient. Bis zu seinem 12. Lebensjahr noch Analphabet, lehrte ihn seine Mutter lesen und schreiben, indem sie ihm einen Gedichtband mit schönen Initialen versprach. Erst mit 36 Jahren lernte Alfred Latein und gewann damit den Zugang zum Wissen seiner Zeit. Er wusste auch, dass er die kulturelle Wiedergeburt seines Landes nicht alleine bewerkstelligen konnte und holte Gelehrte aus Sachsen, Gallien und Wales, darunter den Benediktiner Asser, der später seine Biografie verfassen sollte.
Zur Erziehung seiner Untertanen ließ er lateinische Werke übersetzen, schrieb einige selbst oder zumindest das Vorwort dazu. Das erste Buch, das er in Auftrag gab, war das »Liber Regulae Pastoris« des Papstes Gregor des Großen, welches die Pflichten der Bischöfe regelte, jeder Bischofssitz erhielt davon eine Kopie. Das nächste war die Weltgeschichte des Paulus Orosius, eine Geschichte in Annalenform, wobei Alfred zahlreiche Anmerkungen selbst hinzufügte, darunter die Geschichte von Ohthere und Wulfistan über ihre Expedition in arktische Gewässer.
Dann gab Alfred sein Lieblingsbuch in Auftrag, Boethius’ »Consolatio Philosophiae«, geschrieben von einem römischen Staatsmann der Spätantike. Ein Werk in der Tradition der Stoiker mit christlicher Seele: Wie kann man den Widrigkeiten des Lebens entgehen und dabei seine Seele retten? Ein Buch, das das Leben Alfreds widerspiegelt.
Sein letztes Buch, genannt »Blostmann«, ist das persönlichste und von ihm am stärksten beeinflusste Werk. An die »Soliloquies« von → Augustinus von Hippo angelehnt, verfasste er eine Sammlung von Verhaltensmaßregeln für seine Untertanen, aus denen sich jeder das für ihn Nützliche heraussuchen konnte.
Alfred ließ die Gesetze Englands sammeln und zusammenstellen, wobei er sich nicht scheute, auch die besten Gesetze der benachbarten Königreiche in diese Sammlung aufzunehmen.
Alfred war ein großer Bauherr. Neben seinen militärischen Bauten ließ er eine Anzahl von Palästen und Klöstern errichten und förderte durch die dazu notwendige Ansiedlung von Handwerkern und Künstlern die englische Kunst. Daneben wird ihm noch die Erfindung einer Kerzenuhr, wobei die Länge der abgebrannten Kerzen die Stunden anzeigte, und einer geschlossenen Laterne mit Hornfenstern zugeschrieben.
Bei aller menschlichen Größe war er aber auch ein seltsamer Hypochonder. Sein Leben lang klagte er über Schmerzen, die seinen Körper durchzogen. Er hatte stets Angst, blind zu werden, Lepra zu bekommen oder zu verblöden. Als er das Ende seines Lebens erreichte und ihm klar wurde, dass er sterben müsse, verschwanden die Schmerzen plötzlich, Alfred hatte seine letzte Angst überwunden.
Auch wenn Alfred sein ganzes Leben für sein Land in der Defensive gekämpft hatte, konnte er zwei große Ziele erreichen. Die Bewahrung eines Teiles der angelsächsischen Herrschaft über England als Sprungbrett für seine Nachfolger zum weiteren Kampf und die Bewahrung des Christentums gegen die heidnischen Dänen. Neben seinen militärischen Erfolgen und dem Aufbau von Heer und Flotte erneuerte er mit seinen Büchern die angelsächsische Kultur. Seine Fähigkeiten waren im Einzelnen kaum überragend, aber die Summe seines Interesses, die Breite seiner Wissbegierde, was Erfindungen und Neuheiten anging, und seine starke religiöse Überzeugung ließen ihn zu einer der großen Persönlichkeiten werden, die über England hinaus anerkannt wurden. Sein Kampf gegen die Dänen entlastete den europäischen Kontinent und führte langfristig zur Abwehr dieser Gefahr und letztlich zur Annahme des Christentums durch die Dänen.
In seinem letzten Werk hat er sein persönliches Credo in einem einzigen Satz festgelegt: »Töricht erscheint mir jener Mensch und wirklich sonderbar, der nicht versucht, sein ganzes Leben lang mehr zu verstehen und zu wissen, und der niemals das ewige Leben sucht, das alle Fragen beantwortet«.
AUGUSTINUS VON HIPPO
(354–430)
Unter den Kirchenvätern des frühen Christentums ist Augustinus der herrlichste und auch der schrecklichste. Er legte die Grundlagen zum christlichen Glauben, die heute noch gültig sind. Er schuf das Christentum als Instrument der Repression für Andersgläubige und damit die Grundlagen für Religionskriege und die Inquisition.
Augustinus stammte aus einer gemischt-religiösen Familie. Sein Vater Patricius war Bauer und Regierungsbeamter und Anhänger des römischen Götterglaubens, seine Mutter Monnica war strenggläubige Christin. Geboren am 13. November 354 in Thagaste, einer kleinen Stadt in der römischen Provinz Numidien, die sich im 4. Jahrhundert noch immer einer gewissen Ruhe und Wohlstandes erfreute, erhielt er eine gründliche Ausbildung in Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik in Karthago, musste aber sein Studium mit 16 Jahren aus Geldmangel unterbrechen. Ein Jahr später konnte er nach Karthago zurückkehren und ein Studium der Rhetorik beginnen. Hier dürfte er auch eine Beziehung mit einem Mädchen begonnen haben, das für 15 Jahre an seiner Seite blieb und ihm sein einziges Kind, den Sohn Adeodatus, schenkte.
Augustinus kannte die Bibel, fand sie aber primitiv und fühlte sich weit mehr von dem in Mode stehendem Manichäismus angezogen, der eine strenge Teilung der Welt in Gut und Böse lehrte.
Ab 375 unterrichtete Augustinus Rhetorik in Thagaste. In dieser Zeit versuchte er seine Familie zum Manichäismus zu bekehren, wandte sich aber nach einer Begegnung mit dem manichäistischen Bischof Faustus von Mileve, von dem er intellektuell enttäuscht war, davon wieder ab. 383 berief man ihn nach Rom als Professor für Rhetorik. Hier trennte er sich unter dem Einfluss seiner Mutter von seiner Geliebten und lernte den Mailänder Erzbischof Ambrosius kennen, der ihn faszinierte. 386 hatte er ein Erweckungserlebnis, das ihn zum Christentum brachte, als er eine Kinderstimme hörte, die zu ihm »tolle lege« (Nimm und lies) sagte, was er als Aufforderung, sich der Bibel zuzuwenden, verstand.
387 ließ er sich und seinen Sohn Adeodatus in der Osternacht taufen. Augustinus verließ Rom, kehrte nach Thagaste zurück und zog sich für drei Jahre in die von ihm gegründete klösterliche Gemeinschaft der »servi dei« zurück, die als Urform des abendländischen Mönchtums angesehen werden kann. 390 starb sein Sohn Adeodatus. 391 wurde Augustinus zum Priester geweiht und vier Jahre später zum Bischof von Hippo Regius ernannt. Als Bischof, der sich staatlicher Gewalt in der Verfolgung der Manichäer, Donatisten und Pelagisten bediente, betonte er auch der Kirche in Rom gegenüber die Eigenständigkeit der nordafrikanischen Kirche.
In den nächsten Jahren wirkte er als Bischof und schrieb jene religiösen und philosophischen Werke, die ihn zu einem der größten Theologen der Kirchengeschichte machen sollten und die das Bild und die Ideen der Kirche bis heute prägen.
Augustinus starb 430, als Hippo durch die Vandalen, die nach ihrer Vertreibung aus Italien nach Nordafrika übergesetzt waren, belagert wurde. Im 8. Jahrhundert wurden seine Gebeine von den Langobarden nach Italien gebracht. Sie befinden sich heute in der Kirche San Pietro in Ciel d’Oro in Pavia in Norditalien.
Augustinus ist der »Kirchenvater« schlechthin. Seine Lehren wirken in der Kirche nach und hatten wesentlichen Einfluss auf Martin Luther und Johannes Calvin. Seine »philosophische Karriere« ist erstaunlich. Ursprünglich ein Anhänger des Manichäismus, wandte er sich der Skepsis und schließlich dem Neuplatonismus zu, ehe er sich zum Christentum bekehrte, in das er Ideen Platos einbrachte. Man hat ihm auch eine frühe Art des Existenzialismus zugeschrieben.
Als sein bekanntestes