Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters. Reinhard Pohanka

Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters - Reinhard  Pohanka


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und seine Suche nach Wahrheit und Bekehrung beschrieb, die erste Autobiografie der Literaturgeschichte.

      Zwischen 413 bis 426 verfasste er sein bedeutendstes Werk »De Civitate Dei« (Vom Gottesstaat) als Antwort auf die Eroberung Roms durch die Vandalen im Jahre 410. Hier postulierte er den Unterschied zwischen dem weltlichem und dem kirchlichen Reich und sah den göttlichen Heilsplan auch durch den Fall Roms nicht in Gefahr. Seiner Ansicht nach ist die Weltgeschichte ein stetig fortlaufender Prozess, der nur ein Ziel haben kann, die Vollendung in Gott. In weiteren Werken beschäftigte er sich mit dem freien Willen des Menschen, mit der christlichen Lehre, mit der Dreieinigkeit Gottes, mit der Taufe, der Erbsünde, der Hölle und dem Fegefeuer sowie mit seinem Kampf gegen die Donatisten.

      In der Philosophie ist die Selbstgewissheit des Denkens sein Ausgangspunkt. Selbst wenn ich an allem zweifle, so kann ich nicht bezweifeln, dass ich zweifle, also bin ich. Die Wahrheit liegt für ihn in den ewigen Ideen in Gottes Geist, verfügbar für den Menschen wird sie nur in der vermittelten Erkenntnis des Geistes durch Gott. In der Religion lehnt er die Unterordnung Christi unter Gott Vater ab. Für ihn ist Jesus Gott und Mensch zugleich, der Geist kommt aus Vater und Sohn hervor. Damit steht er im Gegensatz zur griechischen Lehre, bei der der Geist aus dem Vater durch den Sohn hervorgeht. Für ihn besteht Gott aus drei gleichrangigen Personen, in jeder Person ist der ganze Gott anwesend.

      Für die Dauer der Welt rechnete er mit einer Zeitspanne von 1000 Jahren zwischen Jesus und dem Jüngsten Gericht, was im Jahre 1000 zur europaweiten Furcht vor dem Ende der Welt führte und danach von der Kirche mühsam uminterpretiert werden musste.

      In seiner Lehre von der Prädestination ist der Mensch zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis von Gott vorbestimmt. Der einzelne Mensch kann für ihn nur durch Gehorsam der Kirche gegenüber der Hölle entfliehen. In dieser Interpretation verschaffte er im Mittelalter der Kirche ungeheure Macht über das Leben der Gläubigen.

      Augustinus ist der Erfinder der Erbsünde, die von Geburt aus auf den Menschen übertragen ist und der man nur durch die Hilfe der Kirche entkommen kann. Alle anderen, auch diejenigen, die versuchen, christlich zu leben, ohne der Kirche angeschlossen zu sein, sind zur ewigen Verdammnis verurteilt. Damit verknüpfte er die Lehre von einer Hölle, in der man endlose Qualen erleiden muss, und er dachte sich das Fegefeuer aus. Augustinus ist Antijudaist, für ihn sind die Juden bösartig, wild und grausam, sie sind Sünder und Mörder. Er legt ihnen als erster Theologe die Schuld am Tode Christi zur Last, ein Gedanke, der das ganze Mittelalter durchzieht und immer wieder in den Begründungen für Judenhass und Pogromen erscheint.

      Gegen Häretiker und Schismatiker erlaubt er die Anwendung von Gewalt und empfiehlt die »Bekehrung durch heilsamen Zwang«. Dies war eine willkommene Rechtfertigung für die Handlungen der späteren Inquisition und auch der Eroberungen und Zwangstaufen der Konquistadoren und Kolonialisatoren des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Seine Lehre vom »gerechten Krieg«, den die »Guten« gegen die »Bösen« führen dürfen, wurde bis in jüngste Vergangenheit als Rechtfertigung für Kriege herangezogen.

      Neben seinem theoretischen Werk schuf er die ersten Regeln für das Klosterleben, die später durch die Regeln des Benedikt von Nursia ersetzt wurden, aber noch im Hochmittelalter bei den Bettelorden und den Augustiner Chorherren Beachtung fanden.

      Augustinus blieb zeit seines Lebens vom Manichäismus beeinflusst, überall in seinem Werk herrscht der Dualismus von Gut und Böse, alles ist ein Kreislauf. Für ihn ist die Masse der Menschen von Geburt an verdammt. In seinem Gottesbild herrschen Strafen und Verdammnis vor. Gott ist grausam und nicht verzeihend, Christus ist nicht der »Freund der Sünder«. Seine Meinung, dass es ohne Kirche kein Heil geben kann und man dieses Heil auch gewaltsam den Menschen vermitteln kann, darf und muss, haben Millionen Menschen mit Qualen und dem Tode bezahlt.

      Dennoch ist Augustinus eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die das Mittelalter beeinflusst haben. Ohne ihn ist die mittelalterliche Kirche mit ihren Lehren, ihrem Machtanspruch und ihren Konflikten mit der Weltlichkeit nicht erklärbar.

      ROGER BACON

      (1214–1292)

      Die römische Kirche und ihre klösterlichen Orden hatten ihre eigenen Methoden, Mitglieder, die sich nicht an den von der Kirche vorgegebenen Weg des Wissens und der Lehre halten wollten oder konnten, zum Schweigen zu bringen. Das hat auch Roger Bacon erfahren, der zweimal in seinem Leben in ein Kloster verbannt wurde, weil sich seine Lehren und Ansichten, besonders seine Erkenntnisse auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, nicht mit der kirchlichen Doktrin vereinbaren ließen.

      Roger Bacon wurde 1214 als Sohn einer reichen englischen Familie bei Ilchester in Somerset geboren. Einer seiner Brüder wurde Ritter, ein anderer Lehrer. Bacon selbst gibt an, dass er, bevor er dem Orden der Franziskaner beitrat, etwa 2000 Pfund für Bücher und Experimente ausgegeben hat. Das war eine gewaltige Summe zu seiner Zeit, man kann also annehmen, dass seine Familie reich gewesen ist. Wenngleich sie es nicht für immer sein sollte, denn in der stürmischen und bewegten Regierungszeit von Heinrich III. von England mit den Auseinandersetzungen zwischen den Baronen und dem König um die Macht verlor sie einen Großteil des Besitzes, und zahlreiche Familienmitglieder wurden in die Verbannung geschickt.

      Roger Bacon studierte in Oxford, das sich unter dem Einfluss von Robert Grosseteste zu einer der führenden Universitäten in Europa entwickelte, blieb aber beim Studium der freien Künste und beschäftigte sich kaum mit der Theologie, welche die besten Karrierechancen versprach. Er verachtete die Theologie, weil sie sich kaum mit der Philosophie und den Wissenschaften beschäftigte, die seiner Meinung nach notwendig waren, um die Theologie als Ganzes zu verstehen.

      Bacon wirkte bis 1241 als Lehrer in Oxford, dann ging er an die Universität Paris, wo er über Aristoteles lehrte, den man damals in Paris kaum kannte. Um 1250 kehrte er nach Oxford zurück und trat 1252 in den Orden der Franziskaner ein. Dies muss als eine seltsame Entscheidung eines Freigeistes wie Bacon betrachtet werden, der kaum an die strenge Disziplin der Mönche gewöhnt war. Aber für ihn mögen das ruhige Leben in einem Orden und die Möglichkeit, mit Robert Grossetestes Bibliothek in Oxford arbeiten zu können, den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben haben.

      Roger Bacon ging nun daran, eine Zusammenschau aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zu schaffen, was seit Aristoteles niemand zuvor gewagt hatte. Er lernte dazu Griechisch, vertiefte sich in Mathematik, Physik, Chemie und Alchemie, beschäftigte sich mit Geografie und führte chemische, physikalische und optische Experimente durch. Sein Ziel war es, mit all dem gesammelten Wissen die Theologie zu reformieren, vielleicht hatte er, beeinflusst von Joachim von Fiore, auch Angst, dass der Antichrist bald auf der Welt erscheinen würde, und sah seine Studien als Weg, der Kirche ein neues Arsenal an wirksamen theologischen Waffen in die Hand zu geben. Er verachtete seine theologischen Kollegen wie den berühmten Franziskaner Alexander von Hales, die allein theoretisch arbeiteten und deren Schriften er als wertlos und ignorant bezeichnete.

      Bis zu einem gewissen Punkt konnten die Franziskaner mit seinen Meinungen mitgehen, aber Bacon wagte sich zu nahe an die Häresie heran. 1257 verbannte man ihn in einen Franziskanerkonvent bei Paris und unterwarf seine Werke einer strengen Zensur. Bacon durfte ohne die Genehmigung der Kirche nicht mehr publizieren.

      Roger Bacon gab aber nicht auf. Er bekam Kontakt zu Kardinal Guy le Gros de Foulques, der sich für seine Ideen interessierte und ihn bat, eine Zusammenschau all seines Wissens zu verfassen. Bacon zögerte zunächst, aber 1265 wurde der Kardinal zum Papst Klemens IV. gewählt und forderte Bacon auf, das Publikationsverbot der Franziskaner zu umgehen und heimlich seine Bücher für ihn zu schreiben.

      1267 sandte Bacon sein erstes Werk, das »Opus Maius«, an den Papst, in dem er sich mit den Wissenschaften auseinandersetzte. 1268 folgte das »Opus Minus« und 1269 das »Opus Tertium«, das aber den Papst, der kurz vorher gestorben war, nicht mehr erreichte.

      Bacon sah ein, dass sein Versuch, eine umfassende Enzyklopädie zu schreiben, nicht mehr realisierbar war, einen zweiten Papst Klemens, der sein Vorhaben unterstützte, würde er nicht mehr finden. Er einigte sich mit seinen Ordensoberen, durfte nach England zurückkehren und weiter lehren und forschen. 1278 fiel er abermals in Ungnade und wurde


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