Ein erlesener Mord. Фиона Грейс

Ein erlesener Mord - Фиона Грейс


Скачать книгу
wusste genau, dass ihr Kopf gerade genauso rot anlief wie der Mantel der Frau.

      Und das Schlimmste von allem war, dass der italienische Adonis ihren Faux-Pas ganz klar bemerkt hatte, denn er warf ihr einen mitleidigen Blick zu und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Einige Schaulustige starrten sie ebenfalls amüsiert an.

      Es gab nur eines, was sie tun konnte, um ihre in tausend Einzelteile zerschmetterte Würde wieder zusammenzuflicken.

      Ihren Adonis ignorierend, als hätte sie ihn nicht einmal bemerkt, blickte sie nun direkt auf den älteren Herrn. Sie zwang sich zu einem erneuten Lächeln, eines, das sogar breiter war als das vorige, und winkte überschwänglich.

      „Hallo! Es ist so schön, Sie zu sehen!“

      Schau dich nicht um, redete Olivia sich ein. Wenn sie mit ihrem verzweifelten Versuch, einer lebenslangen Demütigung zu entgehen, erfolgreich sein wollte, musste sie sich jetzt voll und ganz auf diesen Herrn hier konzentrieren, ohne jemand anderen auch nur anzusehen.

      Als sie auf den älteren Mann zueilte und ihn wie einen guten Freund, den sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, begrüßte, hoffte sie, dass niemand bemerkte, wie verdutzt dieser dreinschaute.

*

      Wenige Minuten später verließ sie den Flughafen am Steuer eines kompakten, babyblauen Fiats. Als sie das in Grün gehüllte Terminal hinter sich ließ, fühlte Olivia sich, als würde ihr Abenteuer nun endlich tatsächlich beginnen. Seit Jahren stand Italien auf ihrer Liste von beliebten Reisezielen ganz oben, aber sie hatte nie geglaubt, dass sie jemals die Gelegenheit bekäme, tatsächlich hierherzukommen. Der längste Urlaub, seit sie begonnen hatte, für JCreative zu arbeiten, waren dreieinhalb Tage gewesen. Zudem hatte Matt ihr Interesse an Italien nie geteilt.

      Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihre Obsession mit der Toskana nie mehr als eine Fernbeziehung sein würde, aber jetzt war sie tatsächlich hier.

      Zu ihrer Freude war die Landschaft genauso, wie sie sie sich vorgestellt hatte. Felder in allen Größen und Formen mit säuberlichen Reihen aus Weinreben fügten sich wie Puzzleteile an Olivenhaine und Wäldchen. Sie erspähte ein Farmhaus errichtet aus honigfarbenem Stein und umgeben von Baumgruppen. Unterwegs blickte sie erwartungsvoll zum Horizont, in der Hoffnung, die Küste des Tyrrhenischen Meers sehen zu können.

      Ihr GPS funktionierte einwandfrei und lotste sie zuverlässig durch die pittoreske Landschaft.

      Doch nicht so zuverlässig, korrigierte Olivia, als sie auf einmal rechts in eine schmale Straße abbog, die sie angeblich nach Collina führen sollte, einer Stadt am Fuße eines Berghangs. Stattdessen verlief die Straße jetzt im Zickzack hoch in die Berge hinauf.

      Wo war sie? Sie blickte auf ihre Straßenkarte hinunter, und als sie wieder aufsah, bemerkte sie erschrocken, dass ihr ein eleganter, orange-schwarzer Sportwagen an der Stoßstange klebte.

      Olivia sah erstaunt, dass es ein Bugatti Veyron war, als der Fahrer sie mit einem kehligen Aufheulen des Motors überholte und hinter der nächsten Kurve verschwand. Sie hatte noch nie einen gesehen, aber sie wusste, dass diese Fahrzeuge Millionen kosteten und ihre Leistung für Auto-Fans jeden Cent wert waren. Sie ging davon aus, dass es keine Seltenheit war, solche auf den Straßen eines Landes zu sehen, für das schnelle, stylische Autos ein wesentlicher Teil der Kultur darstellten.

      Sie widmete sich wieder ihrer Straßenkarte, doch ihr Kopf schnellte wieder hoch, als sie bemerkte, dass da ein weiteres Auto hinter ihr war.

      Es war ein Polizeiwagen mit Blaulicht, ganz klar auf einer Mission. Er überholte sie ebenfalls und schoss mit kreischendem Motor den Berg hinauf.

      „Hoffentlich kriegen sie ihn“, rief Olivia ihm unterstützend hinterher, obwohl sie nicht glaubte, dass der Polizist auch nur den Hauch einer Chance hatte. Dieser Bugatti hatte eine mörderische Beschleunigung gezeigt.

      Das GPS hatte sie fehlgeleitet, aber die Route führte sie dafür in ein höchst außergewöhnliches Bergdorf. Es musste einst ein mittelalterlicher Außenposten gewesen sein, mit hohen, kantigen Türmen und schmalen Gebäuden mit winzigen Fenstern, eng an den Berg gedrängt. Das Städtchen selbst war ein wirres Durcheinander aus Straßen. Es gab nicht genug Platz, um zu wenden, und Olivia fragte sich, ob sie jemals wieder daraus hinausfinden würde.

      Konzentriert schielend manövrierte sie das Auto um eine Kurve, die selbst für den kleinen Fiat viel zu eng zu sein schien. Zwischen den hohen Steinmauern blieb Olivia kein bisschen Spielraum. Sie hielt die Luft an und betete, dass ihre Stoßstange diese Herausforderung überleben würde. Sie stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus, als sie und ihr Auto die Engstelle unbeschädigt passierten, und sie die Hauptstraße vor sich liegen sah.

      Ihr GPS berechnete die Route neu und lotste sie den Berg wieder hinab.

      Olivia verlangsamte ihre Fahrt, als sie fasziniert den Bugatti betrachtete, der an der Straßenseite vor dem Polizeiwagen geparkt stand. Die gepflasterten Straßen und der schmale Engpass hatten dem Polizisten anscheinend dazu verholfen, aufzuholen. Was das den Fahrer wohl kosten wird?, fragte sie sich. Doch als sie an den beiden Fahrzeugen vorbeifuhr, kicherte sie amüsiert.

      Der Fahrer und der Polizist standen vor dem Bugatti und waren in eine angeregte und enthusiastische Unterhaltung vertieft. Der Polizist hatte sein Telefon gezückt und schoss Fotos von dem Sportwagen. Das schien der einzige Grund für seine Verfolgungsjagd gewesen zu sein.

      So etwas gibt’s nur in Italien, dachte Olivia, froh, diese Szene erlebt haben zu dürfen.

      Als sie wieder auf die Straße zurückkehrte, sah sie endlich das Schild für Collina. Jetzt musste sie nur noch Ausschau nach der Villa halten.

      Ihr stockte der Atem, als sich die imposante Auffahrt vor ihr ausbreitete, flankiert von hohen, steinernen Torsäulen. Das gusseiserne Tor stand offen, und sie fuhr den gepflasterten Weg zu dem eleganten Steinhaus hinauf. Die Säulen des Portals und die hohen, geschwungenen Fenster waren genau wie auf dem Instagram-Foto, aber der enge Kamerawinkel war dem atemberaubenden Panorama aus sanft wogenden Hügeln und bewaldeten Tälern, dem klaren, azurblauen Himmel und der duftenden Sommerluft nicht gerecht geworden.

      Sie parkte unter einem hölzernen Carport, dessen Pfosten von Weinreben umrankt waren.

      Olivia kletterte aus dem engen Fahrersitz, streckte ihre Arme über dem Kopf aus und atmete tief ein. Sie drehte sich langsam und ließ dabei die einmalige Szenerie, die sie umgab, auf sich wirken.

      Sie hatte es sich wunderschön vorgestellt, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie bei ihrer Ankunft solch ein Gefühl von Frieden empfinden würde. Irgendwie war ihr die Landschaft vertraut und hatte einen beruhigenden Effekt auf sie, obwohl es ihr erster Besuch in Italien war.

      Als sie ihren Koffer aus dem Kofferraum wuchtete, entschied sie, dass das an ihrer jahrelangen Obsession mit dieser Gegend liegen musste. Kein Wunder, dass sie sich schon wie zuhause fühlte.

      Sie ging auf die hölzerne Tür mit den zwei großen Tontöpfen links und rechts zu, in denen leuchtend pinke Geranien wuchsen.

      „Hallo?“, rief sie und klopfte an die Tür. „Charlotte, bist du da?“

      Sie drückte die Türklinke herunter, aber die Tür war verschlossen.

      Olivia runzelte die Stirn und fragte sich, ob das die richtige Villa war. Vielleicht hätte sie den Hügel noch weiter hinauffahren müssen?

      Dann bemerkte sie ein flatterndes Blatt Papier in einem der Blumentöpfe.

      Olivia nahm es in die Hand und faltete es auseinander.

      „Habe verschlafen!“, stand da. „Bin los, um uns Mittagessen zu holen! Schlüssel ist im Blumentopf!“

      Als sie genauer hinsah, sah sie den Schlüssel, halb versteckt unter einem Blatt.

      Sie schloss die Tür auf und trat in die angenehme Kühle des Hauses. Der glatte, gekachelte Fußboden lud ein, seine Schuhe direkt auszuziehen und barfuß darüber zu laufen.

      Einige Hauspflanzen nahe den Erkerfenstern in der Eingangshalle verliehen dem Haus einen erfrischenden Grünton. Die Gemälde an den Wänden mussten von einem lokalen Künstler stammen, denn die


Скачать книгу