Escape. Petra Ivanov

Escape - Petra Ivanov


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die andern Coaches starrten immer in ihre Richtung. Nur Chris, der die Musikanlage untersuchte, liess sie kalt. Zumindest tat er so.

      Ich fragte mich, warum Nicole Trainerhosen trug. Hatte sie etwa vor mitzuspielen? Obwohl im Midnight eigentlich der Sport im Mittelpunkt stand, schauten die meisten Mädchen nur zu, vermutlich, um ihre Fingernägel zu schonen. Manchmal ging mir das Gekicher an der Seitenlinie ganz schön auf die Nerven.

      Um halb elf war die Halle voll. Ich teilte Darko und Jamal ins gleiche Team ein und hoffte, dass ihnen ein gutes Zusammenspiel wichtiger sei, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Chris drehte die Lautstärke auf, bis der Beat die Aufschläge der Bälle übertönte. Der Sound war so geil, dass ich Nicole für kurze Zeit vergass.

      Bis ich sie spielen sah.

      Sie glitt zwischen den Jungs hindurch wie ein Raubtier. Ein Jaguar eben. Den Ball führte sie eng am Körper, damit ihn ihr niemand wegschnappen konnte. Ihr Ballgefühl war so gut, dass sie nicht einmal nach unten zu sehen brauchte. Vor dem Korb gab sie Gas und sprang in die Höhe, als hätte jemand an einem Controller «jump» gedrückt. Offenbar traf sie auch, denn ich hörte begeisterte Rufe. Ich sah den Wurf nicht, denn als sie sich streckte, rutschte ihr T-Shirt nach oben.

      Neben mir hörte ich einen leisen Pfiff. Steve grinste wie eine betrunkene Comicfigur. Die Wut, die in mir hochkam, überraschte mich selbst. Hätte sich Darko nicht genau in diesem Moment bedrohlich vor Jamal aufgebaut, hätte ich Steve gepackt, Coach hin oder her.

      Ich stürzte mich zwischen Jamal und Darko, der mehr als einen Kopf grösser ist als ich. Beruhigend redete ich auf die beiden ein. Die Worte galten eher mir selbst, doch

      Darko liess seine Faust sinken. Er folgte mir in die Garderobe, wo ich versuchte, zwischen ihm und Jamal zu vermitteln. Wir einigten uns darauf, dass in der Turnhalle Waffenstillstand herrschte.

      Als ich in die Halle zurückkehrte, war Nicole vom Spielfeld verschwunden. Ich entdeckte sie neben einem Kaminfegerlehrling, mit dem sie sich bestens zu unterhalten schien.

      Willst du einen Motor lahmlegen, so mischst du dem Benzin am besten Zucker bei. Der Motor wird zu stottern beginnen und dann widerstandslos verstummen. Das Auto wird garantiert nirgendwohin mehr fahren.

      Genau das passierte mir.

      Ich kannte den Kaminfeger nur flüchtig. Er war 1.90 Meter gross und besass einen Führerschein. Seine Wohnung musste er vermutlich seitwärts betreten, weil seine Schultern so breit waren. Zum Vergleich: Ich messe gerade mal 1.74 Meter und könnte mich durch einen Auspuff hindurchquetschen, wenn es nötig wäre. Ich bin zwar sportlich; aber egal, wie hart ich trainiere, breiter werde ich nicht.

      Nicoles Gesicht glühte. Hoffentlich vom Basketball und nicht wegen des Kaminfegers, obwohl mir das eigentlich egal sein konnte. War es aber nicht. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie ganz normal mit dem Kaminfeger sprach. Mit normal meine ich, dass sie dabei nicht das Kinn in die Höhe reckte wie eine arrogante Zicke. Mit mir sprach sie nie so.

      «Ich will nach Hause», sagte Julie neben mir.

      «Nach Hause?» Ich sah auf die Uhr. «Es ist erst halb zwölf.»

      «Darf ich alleine gehen?»

      Ich schüttelte den Kopf.

      «Bitte.» Julies Unterlippe begann zu zittern.

      «Julie? Was hast du denn?» Auf dem Weg in die Turnhalle war sie fast hüpfend neben mir hergegangen. Pausenlos

       hatte sie alles Mögliche geplappert. Traurig erlebte ich sie so selten, dass es mir jetzt richtig einfuhr.

      «Nichts, ich will einfach gehen.»

      «Ich muss bis Mitternacht bleiben, das weisst du.»

      «Kannst du nicht eine Ausnahme machen?»

      Könnte ich schon, aber dann sähe es aus, als würde ich mich vor dem Aufräumen drücken. Bevor ich sie fragen konnte, ob ihr jemand etwas angetan hatte, rannte sie davon. Zum Glück wusste ich, dass sie keinen Blödsinn machen würde, wie etwa alleine nach Hause zu gehen. Auf Julie konnte man sich verlassen. Ob ich Nicole bitten sollte, nach ihr zu sehen?

      Sie quatschte immer noch mit dem Kaminfeger. Ich knallte einen Ball gegen die Wand.

      Die letzte halbe Stunde kroch im ersten Gang vorbei. Als Chris endlich die Musik ausschaltete, fegte ich die verbliebenen Spieler vom Spielfeld. Julie tauchte wieder auf und begann, Bälle einzusammeln. Auch Nicole half mit, doch meine Schwester wich ihr aus.

      Vor der Halle verabschiedete ich mich von den anderen Coaches.

      «Also, dann mach ich mich auch auf den Weg», sagte Nicole.

      «Alleine?» Wo war der Kaminfeger, wenn man ihn brauchte?

      «Klar.»

      «Ich begleite dich.»

      Der erwartete Protest blieb aus. Nicole interessierte sich mehr für Julie. Offensichtlich wusste sie auch nicht, was mit meiner Schwester los war. Ob sie überhaupt noch Freundinnen waren? Manchmal änderte sich das über Nacht. Aus Mädchen wurde ich einfach nicht schlau.

      Ich hatte keine Ahnung, wo Nicole wohnte. Eigentlich wäre es logischer, zuerst Julie nach Hause zu bringen, aber ich brachte den Mund nicht auf.

      Zu meiner Überraschung ging Nicole in Richtung

      Hardbrücke. Als sie zehn Minuten später vor einer Bruchbude stehen blieb, glaubte ich, sie wolle mich verarschen. Aber sie schloss die Tür auf, murmelte etwas, das wie «Tschüss» klang, und verschwand im Haus.

      Zu Hause schloss sich Julie sofort in ihrem Zimmer ein. Ich ging in die Küche. Mutter stellte Samstagnacht immer eine Mahlzeit bereit, weil ich vor dem Basketball nur wenig ass. Ich häufte Frikadellen und Kartoffeln auf meinen Teller und verschlang sie stehend.

      Der Spalt unter Julies Tür war dunkel. Es sah nicht aus, als käme sie noch einmal heraus. Ich ass ihre Portion ebenfalls auf. Während ich mir die Zähne putzte, zappte ich durch das TV-Programm.

      Normalerweise bin ich nach dem Basketball erledigt. Ich lösche das Licht und schlafe sofort ein. In jener Nacht lief ein ganz anderer Film ab, als ich im Bett war. Kaum schloss ich die Augen, sah ich Nicole: beim Dribbeln, beim Werfen, beim Rennen, beim Passen. Mein Herz schlug immer schneller. Ich sagte mir, dass das nichts mit Nicole zu tun habe. Ich hätte auf jedes Mädchen im engen Turnleibchen so reagiert. Nur stimmte das nicht. Nicht jedes Mädchen bewegte sich so sicher wie ein Junge und sah dabei so … so kurvig aus. Bei der Vorstellung wurde mir fast ein wenig schwindlig. Zum Glück lag ich schon.

      Am nächsten Tag kündigte Mutter Besuch von meinem Onkel und seiner Familie an. Julie musste in der Küche helfen, ihre Laune war noch genau so mies wie am Vorabend. Ich verbrachte den ganzen Nachmittag im Internet, obwohl ich eigentlich einen Aufsatz hätte schreiben müssen. Mir kam einfach nichts zum Thema «Gesundheit am Arbeitsplatz» in den Sinn. Ich wollte mich im Netz inspirieren lassen, aber meine Finger tippten automatisch «Nicole Ritzi» ein.

      Ich fand mehrere Fotos von ihr. Jedenfalls hatte das

      Mädchen auf den Bildern das gleiche Gesicht. Aber sonst stimmte nichts. Diese Nicole wohnte in einem schicken Haus mit Seesicht. Sie sass auf einem Ledersofa, total gestylt. Auf einem anderen Bild war sie in einem Segelboot, klatschnass und braungebrannt. Ich kopierte das Foto mit schweissnassen Händen.

      Unter dem Vorwand, hungrig zu sein, betrat ich die Küche. Julie schnitt Zwiebeln. Hatte sie deshalb Tränen in den Augen?

      Während ich nach einem Teller Kekse griff, fragte ich beiläufig: «Sag mal, ist Nicole schon lange in deiner Klasse?»

      Mutter stellte die Kekse weg.

      «Julie?», bohrte ich.

      Sie sah nicht auf. «Nein.»

      Unglaublich, da hat man das grösste Plappermaul als Schwester, und will man einmal etwas wissen, macht sie ein Geheimnis draus.

      «Sondern?», fragte ich.

      «Sondern


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