Vergiss mein nicht!. Kasie West

Vergiss mein nicht! - Kasie West


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Schon vergessen? Im Moment darf ich alle Beziehungen in Zweifel ziehen, mich fragen, ob es wahre Liebe überhaupt noch gibt, und mir schwören, ein Leben im Zölibat zu führen.«

      »Gehst du gerade jedes Klischee durch?«

      »Ja. Weil ich nun mal gezwungen bin, eine Scheidung mit durchzumachen, sollte das Ganze sich am besten auch so abspielen wie in den Büchern und Filmen.« Ich fange an, die wichtigsten Punkte an den Fingern abzuzählen. »Eltern versuchen ihre Tochter mit Bestechungsgeschenken auf ihre Seite zu ziehen, Tochter entwickelt Ängste, Freunde bemitleiden sie, Tochter traut niemandem mehr ...«

      »Außer ihrer besten Freundin.«

      »Klar. Und dann wird ihren Eltern klar, dass sie einen großen Fehler gemacht haben, und sie hilft ihnen, wieder zusammenzukommen, wenn sie reif genug ist oder einen Aha-Moment hat oder was auch immer.« So weit habe ich alle fünf Finger an meiner Hand ausgestreckt und ich halte sie hoch, als ob das meine Argumentation verdeutlichen würde.

      Laila lacht. »Hast du dir allen Ernstes einen Plan gemacht, wie du mit der Scheidung umgehen willst? Was für Filme hast du dir überhaupt angeschaut? Ein Zwilling kommt selten allein?«

      Meine Brust wird eng und ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen sehe ich über Lailas Schulter, ein paar Leute bewerfen die Mauer mit Steinen, die Gebirgsillusion verwischt an der Stelle. »Nein. Jede Menge Filme und Bücher enden so. Muss ja wohl irgendetwas Wahres dran sein.«

      »Deine Eltern kommen nicht wieder zusammen. Und du liest viel zu viel. Das ist nicht gut für deinen Kopf. Ich verbiete dir hiermit alle Bücher.«

      Ich schaue nach unten, um die Tränen in meinen Augen zu verbergen.

      »Oh Gott«, sagt Laila jetzt, plötzlich ernst. »Du hast echt geglaubt, dass deine Eltern vielleicht wieder zusammenkommen?«

      »Nein, natürlich nicht.« Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, aber sie hat recht. Es wird nicht passieren. Ein Tänzer stößt gegen Laila und sie faucht ihn wütend an, nimmt mich dann an die Hand und zieht mich hinter ein paar Bäume.

      Sie legt ihren Arm um mich. »Es tut mir so leid, Addie.«

      Jetzt erst wird mir klar, wie unwiderruflich das Ganze ist. Mein Herz tut mir weh und mein Hals brennt. »Das ist gut«, sagt sie und streichelt meinen Rücken. »Lass es einfach raus.«

      Ich kann nicht. Es ist, als würden sich all meine Gefühle fest in meiner Brust zusammenballen, gegen meine Lungen drücken und mir das Atmen schwer machen. »Mir geht’s gut, wirklich.«

      »Du wirst das schaffen«, sagt sie. »Ich bin so froh, dass du bei deiner Mom geblieben bist. Ich hab keine Ahnung, was ich ohne dich machen sollte.«

      Hinter mir sagt jemand mit tiefer Stimme: »Störe ich gerade?«

      Ich drehe mich um und entdecke Bobby vor einer Baumgruppe. Er starrt uns beide an. Er sieht ungeheuer zufrieden aus, als wäre er gerade einem Rätsel auf die Spur gekommen. »Hätte ich das gewusst, hätte ich dich nie gebeten, mit mir auf den Ball zu gehen. Du hättest mir einfach sagen sollen, dass du schon vergeben bist.« Er deutet mit seinem Kopf auf Laila. »Macht es euch etwas aus, wenn ich zugucke?«

      Lailas Gesichtszüge verhärten sich, sie schnellt herum und baut sich vor ihm auf. »Hör zu, wir wissen, wie pervers du bist, du brauchst uns das also nicht mehr zu beweisen. Verpiss dich.«

      Er hält die Hände hoch, als wollte er sich ergeben. »Okay, okay. Ich geh ja schon.« Er entfernt sich rückwärts durch die Bäume.

      Laila läuft auf einen Baum zu und tritt gegen den Stamm, als ob sie Bobby irgendwie damit treffen könnte. »Idiot!«

      »Du glaubst doch nicht, dass er wirklich denkt ...« Ich verstumme und lasse meine Hand in der Schwebe zwischen uns beiden.

      »Bitte. Er versucht bloß den Schlag, den du ihm mit deinem Korb verpasst hast, abzuschwächen. Komm schon. Lass uns wieder zurück zur Party gehen.«

      NORMALisierung, die – Reduzierung auf einen normalen Zustand

      Mein Dad kommt Freitagnachmittag kurz nach fünf nach Hause. »Tut mir furchtbar leid, Addie.«

      Ich quäle mich aus meinem Sessel und lande als Häufchen Elend auf dem Boden.

      »So schlimm?«

      Ich drehe mich auf den Rücken. »Ich kenne niemanden, ich hab kein Auto und du lässt mich im Stich.«

      »Hattest du keine Lust auf den Film, den ich ausgeliehen habe?« Er zeigt auf den Fernseher und diesen riesigen Player, den er am Abend zuvor angeschlossen hat.

      »Ich hab’s nicht geschafft herauszufinden, wie man das blöde Ding bedient. Da sind bloß jede Menge Knöpfe mit Drei- und Vierecken.«

      Er lacht. »Tja, der lässt sich nicht einfach mit Stimme aktivieren. Ich zeig es dir später. Ist gar nicht so schwer. Aber jetzt hab ich erst mal ein Friedensangebot.« Aus seiner Hosentasche zaubert er zwei Papierstreifen hervor.

      Ich setze mich auf. »Wofür sind die?«

      »Eintrittskarten. An deiner neuen Schule findet heute Abend ein Football-Spiel statt.«

      Ich bin an dem Punkt angelangt, an dem selbst Football annehmbar klingt. »Wann?«

      »Anpfiff ist um sieben.« Er setzt sich auf das Sofa.

      Ich lasse mich neben ihn plumpsen und stupse mit einem meiner Füße sein Bein an, während er sich ins Polster lehnt.

      Er zieht an meiner Socke, bis sie lose über meinem große Zeh hängt. Dann starrt er mich an und wartet, wie lange ich es schaffe, sie so zu lassen. Ich zähle bis zwanzig und beweise ihm, dass es mich kein bisschen stört.

      »Du nervst«, sage ich und ziehe meine Socke wieder hoch.

      Er lacht und gibt meinem Knöchel einen Klaps. »Wie läuft es mit deiner Vorgeschichte? Wirst du am Montag in der Schule klarkommen?«

      »Ich glaube, ich hab alles im Griff.«

      »Soll ich dich kurz abfragen?«

      »Bitte.«

      Er strafft die Schultern, hebt sein Kinn und nimmt dabei das ein, was er vermutlich für eine Lehrerpose hält. »Willkommen bei uns, Addie Coleman. Von woher kommst du?«

      »Jackson, Texas. Das liegt ungefähr fünf Stunden südöstlich von hier entfernt und eine halbe Stunde von San Antonio. Wenn ihr hinfahren würdet, würdet ihr ein winziges Städtchen vorfinden, das von einer Gebirgskette umgeben ist. Diese Gebirgskette ist allerdings in Wirklichkeit bloß eine Täuschung. Tatsächlich steckt dahinter eine große Stadt voller Menschen mit besonderen geistigen Fähigkeiten.« Ich lache. »Wie wär’s damit?«

      Er verzieht keine Miene.

      »Ach, komm schon. War doch bloß ein Scherz.«

      »Addie. Damit scherzt man nicht. Du darfst niemandem vom Sektor oder von deiner Gabe erzählen. Absolut niemandem. Das Sektor-Sicherheitskomitee unternimmt gewaltige Anstrengungen, die Existenz der Paranormalen geheim zu halten. Und wenn sie jemals herausfinden sollten, dass du …«

      »Ja, ich weiß.« Natürlich wusste ich das. Wir hatten noch ein Konsilium im Tower, bevor wir den Sektor verlassen durften. Aber für mich war das eigentlich mehr Gerede als reale Handlungsanweisung gewesen. Ich hatte nicht erwartet, dass mein Dad so streng sein würde. Natürlich werde ich meine Talente nicht in der Schule herumposaunen, aber dass ich nie jemandem etwas erzählen darf ... wirklich niemals ... dieser Gedanke ist hart. Ich hatte mich bis jetzt noch nie verstellen müssen.

      Mein Dad hat noch immer diesen strengen Blick aufgesetzt. Ich stupse sein Bein mit meinem Fuß an. »Entspann dich. Ich werde niemandem etwas erzählen. Mach weiter mit dem Test. Stell mir noch eine


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