Germanias Vermächtnis. Swen Ennullat

Germanias Vermächtnis - Swen Ennullat


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wie er das Gitter wieder schloss und mit einigen Zweigen und Laub tarnte. Sein Rucksack schien mir jetzt prall gefüllt zu sein. Er zündete sich eine Zigarette an und machte sich offensichtlich gut gelaunt auf den Rückweg zu seinem Auto.

      Ich folgte ihm wieder genauso vorsichtig und mit einigem Abstand. Wenig später sah ich, wie Meador, nachdem er seine Beute im Kofferraum verstaut hatte, gemeinsam mit Carl wegfuhr. Als ich mir relativ sicher war, dass sie nicht doch umdrehten, lief ich zum Lüftungsschacht zurück.

      Dort angekommen, gelang es mir mit viel Mühe, das Gitter aufzudrücken. Ich blickte in die Dunkelheit, und mir schlug kühle und leicht modrige Luft entgegen, die mich frösteln ließ. Ich wollte unbedingt wissen, was dort unten war. An Ungeheuer und Monster glaubte ich sowieso nicht – nicht nach diesem Krieg – und Meador war wieder weggefahren. Vor wem sollte ich also Angst haben? Und so kletterte ich langsam die in die Felswand getriebenen Eisensprossen hinunter, die schon mit einer Rostschicht überzogen waren, immer darauf bedacht, auf dem nassen Metall nicht auszugleiten.

      Es war ein schöner Frühlingstag Anfang Mai, sodass mir die mittlerweile hoch am Himmel stehende Sonne halbwegs Licht spendete. Außerdem sagte ich mir, sollte es zu dunkel werden, würde ich eben einfach umdrehen. Aber ich hatte Glück, als ich nach etwa zehn Metern wieder festen Boden spürte, stieß ich mit meinem Fuß an einen Gegenstand, der mit einem leisen, metallischen Klicken zur Seite rollte. Ich tastete danach und konnte es kaum fassen. Es war eine Taschenlampe! Meador musste sie zurückgelassen haben, vielleicht für seinen nächsten Besuch.

      Sie funktionierte, und so konnte ich mich umsehen. Der Gang, in dem ich mich befand, war nur wenig größer als der Schacht über mir. Einige der Flächen erschienen unnatürlich glatt. Wahrscheinlich hatte man für die Belüftung der Höhlen, um sie als Bunker zu benutzen, einfach einen Felsspalt vergrößert. Der Gang verlief nahezu waagerecht und führte mit einer Rechtsbiegung von mir weg, sodass ich nur die ersten Meter ausleuchten konnte.

      Selbstverständlich war ich unglaublich aufgeregt. Aber Umdrehen kam für mich damals nicht in Frage, zu groß war meine Neugier, was sich am Ende des Ganges verbergen könnte. Ich wollte es unbedingt wissen! Also drang ich mit Hilfe der Taschenlampe immer tiefer in die Höhle vor.

      Ich war etwa dreißig Meter gegangen, da vernahm ich Geräusche. Ich schaltete das Licht so schnell ich konnte aus und hoffte, dass mich bislang niemand bemerkt hatte. Plötzlich fiel mir ein, dass es Meador sein könnte, der doch noch einmal zurückkehrte und sich mir nun von hinten näherte. Ich stellte mir vor, wie er längst das geöffnete Abdeckgitter und die fehlende Taschenlampe entdeckt hatte und jetzt den Eindringling mit gezogener Waffe jagte, bereit ihn zu töten. Schon spürte ich seinen starken Griff an meinem Hals. Ich bekam trotz der Kühle unter der Erde einen Schweißausbruch und Panik stieg in mir hoch. Was sollte ich nur machen? Er würde mich sicherlich jeden Moment ermorden, weil ich sein Geheimnis entdeckt hatte.“

      Frieda Kern machte erneut eine Pause, blickte ihre Besucher an und fragte: „Noch etwas Tee?“

      Torben prustete regelrecht los, so musste er lachen: „Tee? Sie fragen an der spannendsten Stelle der Geschichte, ob wir noch etwas Tee trinken möchten? Ich wage kaum zu atmen, damit ich alles, was Sie erzählen, auch ganz genau höre! Sie sind einfach unglaublich, meine Liebe!“

      Frieda Kern lächelte und antwortete mit einem Augenzwinkern: „Ich weiß! Ich wollte ja nur feststellen, ob Sie mir noch zuhören.“

      „Natürlich tun wir das. Und nun erzählen Sie schon, was passierte weiter?“, forderte Torben sie auf.

      „Da ich vor Ihnen sitze, liegen Sie mit Ihrer Vermutung richtig, dass es nicht Meador war, der sich gemeinsam mit mir in der Höhle befand.“

      Sie nippte erneut an ihrer Tasse und Torben lächelte in sich hinein. Ihre Gastgeberin verstand es wirklich, sich ihre Aufmerksamkeit zu sichern. Er hätte sie gern in jüngeren Jahren kennengelernt. Er konnte sie sich gerade sehr gut als verwegenes dreizehnjähriges Mädchen vorstellen.

      Sie sprach nun doch endlich weiter: „Da kein nach Blut lechzender Meador in der Dunkelheit auftauchte, beruhigte ich mich langsam und konzentrierte mich auf die Geräusche, die ich hörte. Sie kamen weder näher noch aus Richtung meines Einstiegs. Ihre Quelle lag also vor mir. Kurzerhand steckte ich mir die Taschenlampe in den Hosenbund, damit ich sie nicht aus Versehen gegen die Felsen schlug und tastete mich danach langsam und vorsichtig in der Dunkelheit weiter nach vorn. Nach einiger Zeit konnte ich die Wände und Konturen des Schachts wieder schemenhaft erkennen. Vor mir gab es also eine Lichtquelle. Außerdem wurden aus den unverständlichen Geräuschen langsam aber sicher mehrere Stimmen und kratzende beziehungsweise schlagende Laute.

      Da ich wieder mehr sah, kam ich auch schneller vorwärts, und nach wenigen Minuten stieß ich auf eine geräumige Höhle. Sie lag etwa zwei Meter unterhalb meines Spalts, der durch einen Vorsprung in der Wand von unten sicherlich kaum zu erkennen war.

      Ich legte mich auf den Bauch und kroch zum Ende meines Ganges. Vorsichtig spähte ich nach unten.

      Ich sah dutzende große und kleine Kisten, provisorisch aus alten Brettern oder neuem, unbehandelten Bauholz gefertigt, die in der Mitte einer wahrlich riesigen Höhle lagerten. Ich wusste sofort, dass ich auf den Schatz der Quedlinburger Kirchen gestoßen war. Als durch die Bombenangriffe der Engländer die ersten historischen Gebäude in Deutschland brannten, hatten unsere Stadtoberhäupter nämlich beschlossen, vorsichtshalber alle wertvollen Gegenstände auszulagern, damit uns nicht das Gleiche widerfahren konnte. Nur wenige Eingeweihte wussten damals, wo die Sachen deponiert worden waren.

      Wir Kinder träumten natürlich davon, zufällig auf diesen Schatz zu stoßen und plötzlich unermesslich reich zu sein. Mir war es offensichtlich gelungen! Und Meador auch! Plötzlich wurde mir klar, dass er nach und nach wie ein Grabräuber im alten Ägypten die historischen Artefakte plünderte.

      Aber es gab auch noch andere, die von dem Aufenthaltsort wussten, denn von meiner vermutlich sicheren Position aus konnte ich zwei mir nicht bekannte Frauen beobachten, die sich im Lichte einer Petroleumlampe ebenfalls an einer der Kisten zu schaffen machten.“

      Torben machte sich eifrig Notizen, und Frieda Kern wartete kurz, damit er mit dem Schreiben hinterherkam.

      „Die ältere von beiden, sie trug eine zu große Männerjacke und eine graue Schirmmütze, gab Anweisungen, und die jüngere durchkramte den Behälter. Ab und an hielt sie einen funkelnden Gegenstand hoch. Doch jedes Mal schüttelte die Alte den Kopf. Das jeweilige Objekt wurde danach wieder sorgfältig in Papier, Lumpen oder Holzspäne verpackt.

      Beide Frauen waren sehr erregt, und ich hörte, wie sie offensichtlich über jemanden schimpften, ihn gar fast schon verfluchten. Sie sprachen von dem ‚elenden Hund, der das Kreuz und den Flakon‘ mitgenommen hätte. Sie sagten, dass es besser gewesen wäre, ihn gleich zu töten. Außerdem wäre es ‚eine verrückte Idee‘ gewesen, die Hinweise in den Gegenständen zu verstecken. Ich nehme an, dass sie Meador meinten.“

      „Moment, bitte nicht so schnell! Wenn Sie erlauben? Ich habe gleich an dieser Stelle ein paar Nachfragen“, unterbrach der Professor, und Frieda Kern reagierte mit einem kurzen Kopfnicken.

      Professor Meinert setzte an: „Sie haben also vermutlich in der Altenburger Höhle, in der der ausgelagerte Domschatz lagerte, zwei Frauen überrascht?“

      „Genau, das sagte ich.“

      „Aber, wie kamen die beiden in die Höhle?“

      „Sie wussten offensichtlich genauso wie Meador von den Belüftungsschächten. Ich sah, wie sie die Höhle etwas später durch einen anderen auf der gegenüber liegenden Seite verließen.“

      „Also gab es mehrere davon?“

      „Offensichtlich!“

      „Ist Ihnen an den beiden Frauen irgendetwas Besonderes aufgefallen? Sprachen Sie sich mit Namen an?“, erkundigte sich der Professor weiter.

      „Ihre Gesichter konnte ich kaum erkennen. Die Ältere war vielleicht um die sechzig. Die andere halb so alt. Sie trugen Hosen. Aber das war nichts Ungewöhnliches. Das taten schon damals viele Frauen,


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