Germanias Vermächtnis. Swen Ennullat

Germanias Vermächtnis - Swen Ennullat


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      Torben gefiel nicht, wie der Professor die alte Dame regelrecht vernahm. Er schaltete sich wieder ins Gespräch ein: „Frau Kern, machen Sie sich darüber keine Gedanken. Was Sie uns erzählt haben, hilft uns wirklich weiter. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, suchten die beiden Frauen nach zwei Gegenständen, die Sie ‚Kreuz‘ und ‚Flakon‘ nannten. Wurden sie noch fündig?“

      „Nein, und das verärgerte sie ungemein. Sie beratschlagten, was sie tun könnten. Ich hörte, dass sie darauf hofften, dass die Gegenstände vielleicht irgendwo zum Kauf angeboten würden. In ihren Augen könnte der Soldat – sie kannten Meadors Namen ja nicht – die ganzen Sachen nicht ständig mit sich herumtragen.“

      „Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass er sie per Feldpost nach Hause schicken würde“, brummte der Professor.

      „Vermutlich“, pflichtete ihm ihre Gastgeberin bei.

      „Und diese beiden Gegenstände, von denen wir gerade sprechen, Sie meinen, das könnten die beiden noch immer verschollenen Artefakte des Domschatzes sein?“, fragte Torben.

      „Nach allem, was ich gelesen habe, fehlt noch immer von einem Bergkristallreliquiar in Form einer Bischofsmütze – das könnte der ‚Flakon‘ sein – und einem aufklappbarem Kruzifix – also nichts anderem als einem Kreuz – jede Spur! Meine Antwort lautet also: Ja!“ Torben bohrte nach: „Und Sie haben ganz genau gehört, dass in diesen Artefakten Hinweise versteckt gewesen sein sollen?“

      „Ja, mein Sohn! Das sagte ich bereits!“, antwortete Frieda Kern freundlich und lehnte sich zufrieden zurück.

      Mit der Bemerkung „Unglaublich“ tat Torben das Gleiche.

      Professor Meinert hatte jedoch noch weitere Fragen und wandte sich nochmals an Frau Kern: „Haben Sie sich die Kisten genauer angeschaut?“

      „Nein, das habe ich nicht. Ich hatte Angst, dass ich es vielleicht nicht schaffen würde, an der glatten Wand wieder in meinen Schacht hochzuklettern.“

      „Meador ist es doch auch gelungen?“, wandte der Professor ein.

      „Ja, er war aber auch ein erwachsener Mann und ich nur ein halbwüchsiges Mädchen!“, konterte ihre Gastgeberin. „Ich wartete noch einige Minuten in der Dunkelheit, bis die beiden Frauen, die wirklich unglaublich wütend darüber waren, dass ausgerechnet diese beiden Stücke ebenfalls entwendet worden waren, in ihren Felsspalt verschwanden. Danach trat ich ebenfalls den Rückweg an und kletterte nach einer knappen Viertelstunde aus dem Loch ins Freie.

      Die Taschenlampe hatte ich zuvor selbstverständlich wieder an die Stelle gelegt, wo ich sie gefunden hatte, damit Meador bei einer eventuellen Rückkehr keinen Verdacht schöpfte. Das Lüftungsgitter schloss ich ebenfalls und tarnte es wieder mit Moos und Ästen. Als ich zu meinem Fahrrad ging, hielt ich nach den beiden Frauen Ausschau, schließlich mussten sie kurz vor mir an die Erdoberfläche zurückgekehrt sein, wenn auch an anderer Stelle. Sie hatten allerdings offenbar einen mir unbekannten Weg eingeschlagen, denn ich konnte sie nirgends entdecken.

      Als ich endlich wieder auf meinem Rad saß, folgte ich einer spontanen Eingebung und radelte den Weg noch einen halben Kilometer weiter. Dabei umrundete ich quasi den Altenburger Berg. Plötzlich tauchten vor mir in einiger Entfernung ein Fahrzeug der US-Armee und zwei Armeezelte auf. Ich sah, dass einige GIs gelangweilt im Schatten einiger Bäume Karten spielten oder schliefen. Im Hintergrund konnte ich eine Felswand erkennen. Zufrieden, dass ich jetzt den Haupteingang zum Höhlensystem gefunden hatte, der tatsächlich wie vermutet von den Alliierten bewacht wurde, drehte ich um und kehrte nach Hause zurück.“

      „Haben Sie damals irgendjemandem von Ihren Erlebnissen berichtet?“, wollte Torben wissen.

      „Um Himmels willen, nein, natürlich nicht!“, lachte Frieda Kern. „Was glauben Sie denn, was mein Vater mit mir gemacht hätte? Er hätte mich für meinen Leichtsinn grün und blau geschlagen! Ich habe es schön für mich behalten und bin auch nie wieder dorthin gefahren.

      Im Laufe der Zeit habe ich das Erlebte einfach vergessen. Andere Sachen in meinem Leben waren wichtiger. Familie, Beruf, Freud und Leid. Erst als der Schatz wiederentdeckt wurde und nach Quedlinburg zurückkehrte, erinnerte ich mich daran. Als dann auch noch von zwei fehlenden Gegenständen berichtet wurde, die just in meine Geschichte passten, erschien mir das sehr ungewöhnlich, sodass ich mit Verwandten oder Freunden – so wie jetzt mit Ihnen – darüber gesprochen habe.

      Vorher hatte ich dies nicht ein einziges Mal getan. Damals genügte mir mein Wissen, dass Carl nicht Meadors Liebhaber war.

      Er hatte ihn wahrscheinlich lediglich zur Höhle oder den Belüftungsschächten geführt. Vielleicht kannte Carl die Gegend von den Kriegsspielen und Manövern, die die Hitlerjugend immer dort abgehalten hatte und bei denen er möglicherweise zufällig auf die Zugänge gestoßen war.

      Ach, eines fällt mir gerade noch ein: Ein paar Tage später sah ich die alte Frau aus der Höhle, wie sie sich in den Gasthäusern am Marktplatz herumdrückte und versuchte, mit den GIs ins Gespräch zu kommen. Allerdings wenig erfolgreich, weil denen anscheinend eher nach jungen Mädchen der Sinn stand.“

      „Und haben Sie sie später noch einmal wiedergesehen?“, fragte Torben.

      „Nein, weder davor noch danach! Nur dieses eine Mal in der Höhle und das andere Mal bei den Bier trinkenden Soldaten.“

      Torben begriff, dass sie von der alten Dame alles erfahren hatten, an das sie sich noch im Zusammenhang mit der Altenburger Höhle, Meador und dem Domschatz erinnern konnte. Eher aus persönlicher Neugier fragte er jedoch noch: „Und was wurde aus Ihnen und Carl?“

      „Eine Frieda und einen Carl gab es nie. Carl wurde wegen seiner Kontakte zu den Amerikanern bei den größeren Mädchen interessant, was mir natürlich das Herz brach. Aber ein, zwei Jahre später, die auch meiner körperlichen Entwicklung gut taten“, Frieda Kern blinzelte ihm verschwörerisch zu, „gab es andere Carls und irgendwann meinen Willi.“

      Torben sollte sich noch Tage später daran erinnern, wie zärtlich sie bei den letzten Worten über den Rahmen der alten Fotografie strich.

      Darin waren sich Torben und der Professor einig: Frieda Kern hatte sich für ihre Sache als Glücksfall erwiesen. Wie so viele Male zuvor, hatten sie eher zufällig eine interessante Geschichte ausgegraben, die womöglich mit dem Orden in Verbindung stehen könnte. Jetzt hieß es, die Spur weiter zu verfolgen. Zwar war die seit Jahrzehnten erkaltet, aber an solche Herausforderungen hatten sie sich längst gewöhnt.

      Als erstes trafen sie sich wieder mit den beiden Frauen und setzten sie kurz über das Gespräch mit Frieda Kern in Kenntnis.

      Julia und Anna waren selbst nicht untätig gewesen und hatten die Zeit genutzt, um St. Servatius noch weiter zu besichtigen, einschließlich der Krypta in der höchstwahrscheinlich statt eines deutschen Königs eine junge Hexe beerdigt lag. Dadurch konnten sie mit eigenen Erkenntnissen glänzen.

      Und so berichtete auf dem Spaziergang zurück zum Hotel zuerst Annabell: „Der Name des Doms geht auf einen der drei Eisheiligen, den Servatius von Tongern, zurück. Zwar vermischen sich in dieser Heiligenfigur vermutlich zwei historische Gestalten zu einer einzigen; besondere Verehrung in Deutschland erfuhr der Heilige Servatius aber, weil er den Einfall der Hunnen circa 450 nach Christus vorhergesagt haben soll.

      Damals befand er sich der Legende nach auf einer Wallfahrt in Rom. Dort soll ihm der heilige Petrus erschienen sein, der ihm diesen bevorstehenden Angriff verkündete. Er reiste sofort ab und warnte die Bürger, die sich entsprechend wappnen konnten.“

      „Die göttliche Erscheinung wird wohl viel eher auf die Hinweise der päpstlichen Spione zurückzuführen sein, die in der ganzen ihnen bekannten Welt unterwegs waren und der Kurie jede nur noch so unwichtige Information zukommen ließen“, vermutete der Professor.

      „Das nehme ich auch an“, stimmte Anna ihrem Vater zu.

      Torben, der so mutig gewesen war, Julias


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