Andersfremd. Hans-Henning Paetzke

Andersfremd - Hans-Henning Paetzke


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Hoffnungen

       Eigenartige Existenzen

       Zwielichtige Gestalten

       Mulle und Karli

       Chance

       Fest der Liebe und des Friedens

       Geistige Handlanger

       Mangelnde Sensibilität

       Orpheus

       Ratschläge

       Fanatismus

       Konfrontation

       Maulwürfe

       Polyphonie

       Auge in Auge

       Geheimnisse

       Allzu viel Lob

       Überwältigt

       Stein des Anstoßes

       Funkstille

       Verlegenheit

       Omi Mordhorst

       Zerstörerisches Auf und Ab

       Verstrickt in Lügengespinste

       Ein verzweifelt Suchender

       Das Spiel ist aus oder vielleicht doch noch nicht

       Prägende Lebensbilder

       Was tun?

       Schonungslose Offenheit

       Tauschhandel

       Wie zwei Orientalen

       Sprichwörtlich

       Der Sozialismus siegt!

       Enttäuschung

       Flöhe

       Begeisterungsstürme

       Eine auffällige Ungarin

       Spurensuche

       Betonierung

       Vorbehalte

       Unverzeihliches

       Incipit vita nova

       Augensprache und Abschied

      Am 26. September 1963 ging es auf Transport. Im Hof bestieg ich zusammen mit mehreren anderen Strafgefangenen eine grüne Minna. Rechts und links des Mittelgangs winzige Einzelzellen mit einer noch winzigeren löchrigen Rosette zwecks Luftzufuhr. Kerzengerade saß ich mit angezogenen Knien, die an die Tür stießen, in einem rollenden Verlies. Draußen herrschte die sengende Hitze eines wunderschönen Altweibersommers. Die Fahrt zum Haftarbeitslager Rüdersdorf bei Berlin dauerte eine Ewigkeit. Ich glaubte, ersticken zu müssen. Kurz vor einer sich ankündigenden Ohnmacht wurde ich im Kalkwerk Rüdersdorf aus meiner Folterzelle befreit. Ich atmete auf. Wir Strafgefangenen bekamen etwas zu essen und zu trinken. Aber alsbald erfuhren wir, dass wir noch nicht am Ziel angekommen waren. Unsere mit Maschinenpistolen bewaffneten Bewacher befahlen uns zurück ins Auto. Gegen Abend trafen wir im Zuchthaus Cottbus ein. Das Tempo hier war ein anderes als in Eberswalde, meiner ersten Haftstation. Auf dem Flur hieß es Aufstellung nehmen, die Hosen herunterlassen, sich bücken, damit dir ein Hauptwachtmeister, nachdem du bereitwillig die Gesäßbacken auseinandergezogen hast, von hinten in den Magen gucken kann, denn dort könntest du ja verbotene Feilen, Messer, Scheren, Pistolen oder sonstiges Gerät, Dollarnoten, Westmark, Whisky, Zigaretten, westliche Zeitungserzeugnisse, gar einen Rundfunk- oder Fernsehempfänger versteckt haben, alles geeignete Hilfen, einen Ausbruch aus der Haft zu wagen. Im Gefängnis kursierten immer wieder die abenteuerlichsten Gerüchte von gelungenen Fluchtversuchen direkt über die Berliner Mauer in den Westen. Wachsamkeit war angebracht. Das sozialistische Vaterland musste gleichermaßen vor inneren wie äußeren Feinden geschützt werden.

      Noch trug ich Zivilkleidung. In der Zelle klärte mich der eine der beiden Mitgefangenen darüber auf, dass diese Tatsache ein deutlicher Hinweis darauf sei, dass Cottbus nicht mein Endziel sei. Sieben Tage und sieben Nächte brachte ich in dieser Zelle zu. Im Vergleich zu Eberswalde fühlte ich mich wie auf einem Betriebsausflug. Mit beiden Leidensgenossen verstand ich mich ausgesprochen gut. Und das, obwohl der eine, ein Italiener, nach dem Krieg als Achtzehnjähriger in Deutschland hängengeblieben, Deutsch nur radebrechen konnte und nach eigenem Beteuern Italienisch vergessen hatte. Auch seine gemeinschaftlich mit einem Kumpan begangene Tat hinderte mich nicht daran, Mitleid mit ihm zu empfinden. Nach einer Zechtour hatten die beiden Hilfsarbeiter auf dem Heimweg ein junges Mädchen, das ihnen auf der Landstraße entgegengekommen war, im Straßengraben vergewaltigt. Ich glaubte, das Unverstehbare und Unverzeihliche zu verstehen.

      Sprachlosigkeit macht dich zum Tier. Stell dir einen gesunden jungen Mann vor, der es wegen seiner Außenseiterrolle noch nie geschafft hat, eine Frau zu erobern, der die entsprechenden Mechanismen nie erlernt hat,


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