Andersfremd. Hans-Henning Paetzke

Andersfremd - Hans-Henning Paetzke


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nach einer nur wenige Wochen dauernden Liaison zurück in mein spärlich möbliertes Zimmer in der Puschkinstraße 38, wo ich zur Untermiete wohnte. Nicht nur Kriemhild, auch ich empfand die Trennung als befreiend. Dabei wüsste ich nicht viel Schlechtes über die Beziehung zu sagen, es sei denn, die nachlässige Haushaltsführung, die Berge still vor sich hinschimmelnden, nicht abgewaschenen Geschirrs hätten mich gestört. Kriemhild störte der Schmutz, in dem wir fast umkamen, nicht. Mich dagegen schon. Allerdings nicht so sehr, dass ich es für nötig befunden hätte, mich selbst der, wie ich damals meinte, eines Mannes unwürdigen Beschäftigung anzunehmen. Von Zeit zu Zeit bat ich die Nachbarsfrau, sich gegen Bezahlung der lästigen Arbeit anzunehmen. Spät in der Nacht kehrten wir von den Abstechern zurück, die uns auf die Bühnen der noch tieferen Provinz geführt hatten, wo ich manchmal in langen Unterhosen in der Garderobe stand und von eindringenden kleinen Mädchen um ein Autogramm gebeten wurde.

      Bei Kerzenschimmer philosophierten Kriemhild und ich über das Mysterium unseres Seins, um unmerklich in der tosenden Brandung der Körper zu versinken. Erst am nächsten Morgen bei Tageslicht trübte der Schmutz den Blick des Verliebten.

      Wieder allein, bemächtigte sich meiner Fantasie das Verlangen nach hinsinkender Weiblichkeit. In der Kleinstadt als junger Schauspieler bekannt wie ein bunter Hund, hatte ich es nicht schwer, als Trophäenjäger erfolgreich zu sein. In einer Bar spannte ich einem sowjetischen Offizier aus lauter Jux die bereits sicher gewähnte nächtliche Braut aus. Später hörte ich, dass ein ähnliches Abenteuer für den deutschen Rivalen tödlich geendet hatte.

      Beim Schwof machte ich die Bekanntschaft einer jungen Lehrerin aus Pasewalk, die schon von mir gehört und mich im Weihnachtsmärchen auf der Bühne gesehen hatte.

      Mit ihr waren meine Aussichten auf schnelles und kurzes Glück weniger gut. Zwar besuchte sie mich an einem Wochenende, Bedingung dafür aber war ein Hotelzimmer, das ich ihr besorgen müsste. Das versuchte ich auch, allerdings ohne Erfolg. Unter Aufwendung all meiner Überredungskunst brachte ich sie dazu, bei mir zu übernachten. Sie schlief in meinem Bett, ich auf dem Fußboden. Ich spürte, dass es besser sein würde, sich ihr nicht zu nähern, denn als ich versucht hatte, sie zu streicheln, zitterte sie wie Espenlaub und bat mich, ihr Zeit zu lassen. Eines Tages werde sie mir erzählen, weshalb sie das, was zwischen Mann und Frau normal sei, vielleicht nie werde tun können.

      Beim nächsten Tanzvergnügen hatte ich mehr Glück, lernte ein Mädchen kennen, das als Bankangestellte arbeitete, ein Jahr älter war als ich und, wie sie mir erklärte, nur darauf gewartet habe, sich mir hinzugeben. Schon als Zuschauerin habe sie mich auf der Bühne bewundert und mir ihr Herz geschenkt. So viel Bewunderung zu erfahren, war mir peinlich, wusste ich doch, dass ich in der Schauspielerei ein blutiger Anfänger war und meine zukünftigen beruflichen Erfolge in den Sternen standen.

      Zwei- oder dreimal forderte ich meine Bewunderin noch auf, mich zu besuchen, um ihre Liebesdienste abgeklärt und fast gelangweilt in Anspruch zu nehmen. Mit so viel Hingabe wusste ich nichts anzufangen. Es fehlte ihr an jeglicher Raffinesse. Und wozu leugnen, die Tatsache, dass ich mich mit ihr außer über persönliche Dinge über sonst nichts unterhalten konnte, befremdete mich zusehends.

      Wie sie da vor mir lag wie ein Lamm, brachte ich es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass unsere Beziehung nur ein kleines Abenteuer gewesen sei. Weiteren Treffen wich ich aus, schützte Proben- und Abstechertermine vor.

      Als sie einige Wochen später kam und mir eröffnete, dass sie schwanger sei, verfehlte das seine Wirkung nicht. Auf meinen Schädel fühlte ich einen Paukenschlag niedersausen. Meine Aufforderung, dem Problem nach bewährtem Rezept zu begegnen, lehnte sie ab, erklärte, ich sei ihre große Liebe, und an ihrem Entschluss wolle sie selbst dann festhalten, sollte ich sie verlassen. Es stimme zwar, dass sie schon einmal erfolgreich eine Abtreibung mit Heißwasserkuren und Seifenlauge vorgenommen habe, aber den Jungen, der damals ihr Verlobter gewesen sei, habe sie nicht geliebt. Ich hätte sie von ihm befreit.

      Eine schöne Bescherung. Nun sah ich, gerade erst neunzehn geworden, doppelten Vaterfreuden entgegen. Das Blut wich mir aus dem Kopf. Mich beschlich ein Gefühl der Ohnmacht; das Schicksal nahm seinen Lauf. Die armen Kinder, Fluch der bösen Triebe, die mir unbeherrschbar zu sein schienen. Irgendwie war ich ihnen – fast hilflos schon – ausgeliefert. Sie überlagerten mein klares Denken.

      Vergebens war ich mir meines schändlichen Vorgehens bewusst. Es drängte mich Tag für Tag zu etwas, wovon ich wusste, dass ich ein verlogenes Subjekt war, mich zurückhalten müsste, um nicht andere Menschen, genauer gesagt: andere Frauen, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu etwas zu verleiten, von dem sie sich anderes erwarteten und versprachen als ich.

      Don Giovanni könnte ein Seelenverwandter von mir gewesen sein. Auch ich hetzte von einem Abenteuer zum nächsten, wollte mich immer wieder aufs Neue beweisen. Mehr nicht.

      Ich schämte mich des entstehenden Lebens.

      Als Kriemhild von der Sache erfuhr, schäumte sie vor Wut und verbreitete, ich würde sämtliche Mädchen der Stadt verführen. Diese Behauptung war weit übertrieben, eher nur eine überzogene Vermutung. Doch ich strengte mich nicht an, die Vorwürfe zu entkräften. Es schmeichelte meiner Eigenliebe, solcher Chancen bei den Frauen verdächtigt zu werden.

      In stillen Momenten aber, und die kamen trotz des Durcheinanders von Gefühlen, Denken und Handeln gelegentlich über mich, stellte ich mir die Frage, wie so eine gelebte Bewusstseinsspaltung zwischen Anspruch und Wirklichkeit möglich sein kann.

       Frömmigkeit

      Noch vor Prozessbeginn hatte ich per Anhalter eine Rundreise quer durch die DDR unternommen, mit vielen Menschen gesprochen, ihnen von meinen ethischen Vorstellungen erzählt. Viele schüttelten verwundert und ungläubig den Kopf, andere hörten mir, dem gerade erst den Kinderschuhen Entwachsenen, interessiert zu und erklärten, wenn sie in meinem Alter wären, würden sie das Gleiche tun und nicht noch einmal in den Krieg ziehen.

      Warum muss ich immer etwas tun, was Anderen imponiert oder missfällt? Entspringt dieses Verhalten nicht gar einem an Krankheit grenzenden Geltungsbedürfnis?

      Warum setzen sich Menschen feindlichem Kugelhagel aus? Um den Feind zu töten, zu sagen, hier bin ich, erschießt mich, ich bin ein Held? Doch vielleicht bin ich unverwundbar und gelange vom Schlachtfeld als strahlender Held zurück in die Heimat?

      Eigenartig, dass ich auf diesen Fahrten nie Männer traf, die sich dazu bekannt hätten, durch ihre Schüsse Feinde erfolgreich ins Jenseits befördert zu haben. Wie aber hatte es zu den Millionen von Kriegstoten kommen können, wenn doch niemand getroffen haben wollte? Diese mir perfekt vorkommende Verdrängung der Schuld an den Kriegsschrecken, der persönlichen Verantwortung am massenhaften Morden bestärkte mich in der Überzeugung, mich unter gar keinen Umständen im Handwerk des Tötens ausbilden zu lassen.

      Oder war ich einfach nur ein Drückeberger, ein Angsthase, der auf keinem Feld der Ehre sterben wollte? Oder waren es die als Kleinkind erfahrenen Gräuel des Krieges, die sich in mein Unterbewusstes geschossen und für spätere Kriegsspiele untauglich gemacht hatten?

      Ein hoher Offizier, der mich in seinem Wolga von Berlin nach Dresden mitnahm, hörte aufmerksam zu und sagte zum Abschied, mein Denken sei sehr wahr und schön, in die Tat umsetzen allerdings dürfte ich diese Gedanken nicht, denn sie widersprächen den Gesetzen der DDR. Sollte ich mich nicht in letzter Minute eines Besseren besinnen, müsste ich eben die Konsequenzen zu spüren bekommen. Früher oder später würde ich schon noch vernünftig werden und dem Staat geben, was des Staates sei. Ich entgegnete darauf, er werde sich wundern, aber Denken und Tun seien für mich eins.

      In Dresden suchte ich die Adventisten auf. Von ihnen versprach ich mir psychische Unterstützung. Sie waren nett, aber erstaunlich zurückhaltend.

      Vielleicht dachten sie ja, ich sei ein Spitzel, ein Provokateur. Daran musste man in solchen Zeiten denken. Besonders im kirchlichen Raum. Die Spitzel schlüpften in verschiedene Gewänder. Zu erkennen waren sie nur selten. Wie der Pudel, den Faust heraufbeschwört, so konnten auch sie jede beliebige Gestalt annehmen. Trotz des hinter einem freundlichen Gesicht gut verborgenen Misstrauens


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