STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3). Raymond Benson

STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3) - Raymond Benson


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ich den Schock überleben? Würde mein armes Herz aufhören, weiter Leben durch meine Adern zu pumpen?

      »Martin.«

      Die Stimme war natürlich die ihre. Wie immer.

      Sie wollte, dass ich mich umdrehte, und ich musste mich ihr fügen. Ich hatte keine andere Wahl.

      »Ich werde allen erzählen, wer du bist!«, schrie ich. »Alle werden es erfahren!«

      Doch ich bekam ihren Namen wieder nicht über die Lippen. Allein der Versuch verursachte unsagbare Schmerzen. Der Klumpen in meiner Brust war nicht mehr auszuhalten. Ich musste mich ergeben. Mich unterwerfen.

      Langsam drehte ich mich auf den Fersen um. Meine Blase drohte zu zerplatzen, während ich meine Angst in den Griff zu bekommen versuchte.

      Da. Die durchdringenden roten Augen, direkt vor mir.

      Dann sprang die Black Stiletto aus dem Nichts auf mich zu.

      Mit einem Ruck schreckte ich aus dem Schlaf, wie schon einige Tage zuvor und die Tage davor ebenfalls.

      Eine überaus unangenehme Erfahrung. Das Zusammenzucken meines Körpers, der gedämpfte Schrei in mein Kissen und der plötzliche Adrenalinausstoß schafften es jedes Mal aufs Neue, mir den Tag zu verderben.

      Die Panikattacken und Albträume hatten im Oktober begonnen, kurz nach meinem neunundvierzigsten Geburtstag. Ich war gerade aus New York zurückgekehrt. Eigentlich hätte ich mich großartig fühlen müssen, denn die Reise hatte sich als überaus erfolgreich herausgestellt. Ich hatte mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass Gina wieder ganz gesund werden würde. Der Überfall und die versuchte Vergewaltigung im Riverside Park waren die hauptsächlichen Gründe für meinen Besuch gewesen. Glücklicherweise hatte das Verbrechen von ein paar Passanten verhindert werden können. Das war nicht gerade die beste Art gewesen, ihr erstes Studienjahr auf der Juilliard zu beginnen, aber ich war froh, dass nichts Schlimmeres passiert war. Trotzdem hatte mir das Herz geblutet, als ich sie mit ihrem gebrochenen Kiefer vor mir gesehen hatte. Für mindestens noch sechs weitere Wochen würde er mit Draht fixiert werden müssen. Mein armes kleines Mädchen.

      Zum Zweiten hatte ich erfolgreich Johnny Munroes Erpressungsversuche stoppen können. Damit war eine ungeheure Last von meinen Schultern genommen worden. Ich hoffte, nie wieder etwas von ihm zu hören. Aber man konnte nie wissen. Nach dieser Erfahrung fürchte ich, dass noch andere Menschen da draußen hinter das große Geheimnis kommen könnten. Werde ich mich von nun an immer vor Leuten wie Munroe fürchten müssen?

      Nachdem ich meine Geschäfte in New York erledigt hatte, fühlte ich mich ein wenig besser, wieder in mein erbärmliches Leben als einsamer arbeitsloser Buchhalter zurückzukehren, der sich um seine an Alzheimer erkrankte Mutter kümmern musste. Jene einstmals so lebendige, nun nur noch als Schatten ihrer selbst existierende Frau, die ich mein ganzes Leben lang gekannt hatte. Meine Mutter ist eine Fremde, die in einem Pflegeheim lebt, und sie hat vergessen, wer ich bin.

      Ich glaube an so etwas wie eine Midlife-Crisis. Ich durchlebte eine schwächere Ausgabe davon, als ich mich von Carol scheiden ließ, was … ach Gott … acht Jahre her ist. Damals war ich um die vierzig. Ich hatte bereits von Leuten gehört, die um die vierzig in der Midlife-Crisis steckten. Am Anfang war es hart, aber auch nicht furchtbar. Das, was ich jetzt durchmache, ist viel schlimmer. In einem Jahr werde ich fünfzig. Das ist kein Meilenstein, dem ich entgegenfiebere, und das macht die Angst noch schlimmer. Von daher bin ich davon überzeugt, dass das, was ich während der Sache mit Carol erlebte, nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Attraktionen war, und ich jetzt in meiner wirklichen Midlife-Crisis stecke.

      Die Anstrengungen im Zusammenhang mit meiner Mutter und allem, was damit zusammenhing, fordern ihren Tribut. Die Panikattacken und Albträume kommen aus dem Nichts. Meine körperliche Reaktion ist stets die Gleiche: Mein Herz rast und hämmert gegen meine Brust wie nach einem Fünfzig-Meter-Sprint, ich schwitze und bin verklebt, ein überaus intensives Gefühl des Schreckens schwappt über mich hinweg und ich will einfach nur weinen. Als es das erste Mal passierte, dachte ich, ich hätte einen Herzanfall bekommen. Beinahe hätte ich einen Krankenwagen gerufen, aber nach etwa zehn Minuten hatten die Qualen langsam nachgelassen. Später fand ich heraus, dass eine Panikattacke einen plötzlichen Adrenalinschub auslöst. Wenn man die Kampf-oder-Flucht-Reaktion hinter sich gebracht hat, ist die eigene Energie verbraucht und man fühlt sich scheußlich.

      Das passierte häufig, und das wirklich Blöde an der Situation ist, dass ich ganz genau weiß, was mich aufwühlt.

      Ich muss jemandem von dem Geheimnis meiner Mutter erzählen. Die Wahrheit brennt ein Loch in meine Seele.

      Ich könnte fraglos eine Menge Geld aus der Sache rausschlagen. Was die Medien für diese Meldung bezahlen würden! Die wahre Identität der Black Stiletto! Die Lebensgeschichte der legendären Verbrechensbekämpferin, von niemand anderem erzählt als ihrem eigenen Sohn!

      Aber das käme einem Verrat gleich, oder nicht? Obwohl meine Mutter mir die Rechte an ihrer Lebensgeschichte in Form von akribisch festgehaltenen Tagebuchaufzeichnungen und ein paar Andenken überließ, wusste ich, dass ich damit noch nicht an die Öffentlichkeit gehen durfte. Nicht, solange sie noch am Leben war. Und nach Maggies Einschätzung konnte das noch zwei, fünf oder gar zehn Jahre dauern – oder auch nur noch wenige Monate oder Wochen. Alzheimer ist eine grausame, unvorhersehbare Erkrankung.

      Ihr Gesundheitszustand ist soweit stabil. Vor ein paar Monaten erlitt sie eine kleine Ohnmacht, hat es aber gut überstanden. Sie hat sich ein freundliches, wunschloses Auftreten bewahrt. Das war gut, aber gleichzeitig auch traurig. Ihre Erinnerungen glichen ausgewählten, einzelnen Sandkörnern an einem riesigen Strand. Das Meiste von dort kann sie nicht mehr abrufen. Wie ich bereits sagte, sie weiß oft nicht einmal, wer ich bin, nur dass ich zur Familie gehöre. Und das sie mich liebt.

      Und ich liebe sie auch.

      Judy Cooper Talbot.

      Die legendäre Black Stiletto.

      Und ich bin die einzige Person, die davon weiß, mit Ausnahme eines älteren, im Ruhestand lebenden FBI-Agenten aus New York. John Richardson wird es niemandem verraten. Ich vertraue ihm. Aber natürlich könnte es auf der Welt noch andere Menschen geben, die womöglich über ihr Geheimnis Bescheid wissen. Wie mein Vater beispielsweise. Sofern er noch am Leben ist. Noch immer weiß ich nicht, ob Richard Talbot jemals wirklich existierte oder das Ganze nur eine einzige Lüge war. Angeblich starb er in Vietnam, aber als ich aufwuchs, standen nie irgendwelche Fotografien von ihm auf dem Kaminsims herum. Ich beginne so langsam an der Vietnam-Geschichte zu zweifeln.

      So viele Masken. So viele Geheimnisse.

      Direkt nach dem Geburtstag meiner Mutter im November hatte ich Glück und fand einen Job. Es war ein Schritt zurück, aber ich raffte mich dazu auf. Ich konnte es mir nicht leisten, noch länger auf Gehaltschecks zu verzichten. Ich war seit Mai ohne Arbeit und mein Erspartes war so gut wie aufgebraucht. Meine Tochter besuchte eine teure Kunstschule in Manhattan, und obwohl sie ein umfangreiches Stipendium dafür bekam, war es trotzdem eine Belastung für den Geldbeutel. Und da zudem Weihnachten vor der Tür stand, brauchte ich dringend ein Einkommen. Von daher kam die Gelegenheit genau zum richtigen Zeitpunkt.

      Wegel, Stern und Associates, Inc. war ein Buchhalter-Familienbetrieb in Deerfield. Wobei es genau genommen nur der Laden des Vaters war. Sam Wegel war über siebzig und leitete das Unternehmen seit vierzig Jahren aus demselben kleinen Büro heraus. Sein Partner, Morton Stern, war ein paar Monate zuvor verstorben, weshalb Wegel sich gezwungen sah, frisches Blut einzustellen, um die Stelle zu besetzen.

      Ich bewarb mich, wurde zum Gespräch eingeladen, und bekam schließlich den Job angeboten.

      Sam erklärte, dass er zunehmend kürzertreten und über kurz oder lang in Rente gehen wollte. Die einzige andere Angestellte war eine fünfzigjährige Frau namens Shirley, die als Empfangsdame, Sekretärin und Rechtshilfe hier arbeitete. Ich dachte mir, dass ich hier ein großer Fisch in einer kleinen Firma werden und den Laden am Ende selbst leiten könnte. Also sagte ich zu.

      Sam war ein guter Kerl, ein netter jüdischer Bursche mit Frau


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