Frauenwahlrecht. Группа авторов
in Großbritannien erhalten in der globalen demokratiehistorischen Hall of Fame ein Denkmal, und sie sind es, derer in Spielfilmen mit Starbesetzungen gedacht wird. Das Bedürfnis, Demokratiegeschichte als Geschichte des gewalttätigen Kampfes zu erzählen, verleitet also dazu, ausgerechnet eine kleine Minderheit unter den Frauenrechtlerinnen in den Fokus der Geschichte des Frauenwahlrechts zu rücken. Für Deutschland wird häufig behauptet, es sei die spezifische Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs gewesen, die das Wahlrecht hervorgebracht habe, und immer noch findet sich die Meinung, der Krieg sei der Vater des Frauenwahlrechts – womit die Bedeutung der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts formierenden Frauenbewegung ebenso missachtet wird wie die Komplexität des ganzen Prozesses überhaupt. Die Geschichte des Frauenwahlrechts wird also, wenn sie denn Erwähnung findet, in das nationale Erzählmuster von Revolution und Krieg gepresst.
Die Beiträge in diesem Band erzählen andere Geschichten, denn die Einführung des Frauenwahlrechts zwingt dazu, alte Narrative zu überdenken und den Blick zu weiten. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes zeigen dies quellengesättigt und an konkreten Beispielen. Dieser Band weitet das Feld in drei Richtungen, wobei er oft neuere Forschungsansätze aufnehmen kann: Erstens wird ein weiter Begriff von Politik und citizenship genutzt.3 Zweitens verstehen wir wie in der historischen Demokratieforschung länger schon gefordert und in der Frauengeschichte vielfach eingelöst Demokratiegeschichte transnational,4 und drittens legen wir einen Schwerpunkt darauf, wie Demokratie geschlechtlich praktiziert und erzählt wird – eine Erweiterung, über die in der politikwissenschaftlichen Forschung viel nachgedacht wird, weniger jedoch in der demokratiehistorischen.5
Was den ersten Punkt eines erweiterten Begriffs von Politik und citizenship betrifft, so sind die Anregungen der Historikerin Paula Baker fundamental, die von der »domestication of politics« während des 19. Jahrhunderts spricht: Das bedeutet einerseits die Inkorporation der häuslichen Sphäre in die Politik, andererseits die Zähmung des zuvor als männlich gedachten politisch-öffentlichen Einflussbereichs.6 So beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren dieses Buches mit dem Kampf für kommunale Armenfürsorge oder Prostitutionsregulierungen, sie denken Familien- und Wahlrecht zusammen, erzählen von Frauen-Lesesälen und Körperpraktiken auf offener Straße oder vom weiblichen Reden im Gerichtssaal. Diese »domestication of politics«, zu der wesentlich die Herausbildung des Wohlfahrtstaates gehört, einer zentralen Säule von Demokratie, fand bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen Höhepunkt.7
Auch Carole Pateman, die einen international vergleichenden Blick auf die Implementierung des Frauenwahlrechts wirft, verweist auf die Vorkriegsjahre. In dieser Zeit habe sich die Bedeutung des Wahlrechts überhaupt geändert. Mit dem Politikwissenschaftler C. B. Macpherson vermutet Pateman, dass durch die neue Machtfülle der Parteien das Wahlrecht gezähmt und daher weniger gefürchtet worden sei. International gesehen (insbesondere im Hinblick auf die partizipative Bedeutung der Parteien für die Massenmobilisation) aber erscheint uns ein anderer von Pateman genannter Faktor wichtiger: Mittlerweile galt das Massenwahlrecht nicht zuletzt dank der Entwicklungen in der Vorkriegszeit als unverzichtbare Voraussetzung für Herrschaftslegitimation. In Deutschland oder Frankreich war das nicht wesentlich anders als in Belgien oder in den USA.8 Diese Aufbrüche vor dem Ersten Weltkrieg sprechen für die These, die Historikerinnen wie Ute Planert, Sandra Stanley Holton oder Angelika Schaser seit längerer Zeit darlegen, dass das Wahlrecht für Frauen durch den Krieg eher hinausgezögert als befördert worden sei.9 Das Frauenwahlrecht kam auch in Deutschland nicht über Nacht, durch Krieg und Revolution in die Welt gestoßen.
Zur Bedeutung der Frauenbewegung gehörte die anwachsende internationale Vernetzung der Welt, die häufig als erste Globalisierung bezeichnet wird.10 Und das ist die zweite Perspektiverweiterung: Es lohnt sich, Demokratiegeschichte transnational zu verstehen. Die Beiträge von Malte König oder Hedwig Richter zeigen, dass die Geschichte der Frauenwahlrechtsbewegung als integraler Teil der ersten Globalisierung um 1900, mit ihrer Transnationalität und als verstörender Faktor im aufkommenden Zeitalter der Extreme, dazu beitragen kann, die nationalen Erzählmuster zur Demokratie aufzubrechen.11 Wie erwähnt betonen gerade die Studien zur Frauengeschichte den globalhistorischen und transnationalen Aspekt der Demokratiegeschichte. Auch wenn sich Aktivistinnen häufig innerhalb dezidiert nationaler Diskurse bewegten, engagierten sie sich insbesondere im nordatlantischen Raum für die gleichen Bereiche und betteten fast immer das Wahlrecht in einen größeren Zusammenhang von Sozialreformen und speziellen Frauenrechten ein.12
Dabei bleibt es für die Analyse wichtig, der Frage nachzugehen, warum Demokratiegeschichten nationalen Narrativen folgen: Seit Demokratie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weithin zur Verheißung wurde und ein globales Renommee errungen hat,13 betrifft Demokratie das Selbstbild, die Selbstdarstellung – das, was Personen, Gruppen oder Nationen als ihre Identität präsentieren. Nationale Erinnerungskulturen und Historiografien sind unverzichtbar für diese Selbstkonstruktionen. Und so lautet eine unserer Thesen: Demokratiegeschichte hängt eng mit Identitätserzählungen zusammen, mit Vorstellungen von Gesellschaft, Nation und Staat und mit dem Verständnis von Herrschaft – allesamt geschlechtlich konnotierte, normative Begrifflichkeiten.14
Das erklärt auch die zahlreichen Exzeptionalismusgeschichten, die nationale Forschungen in verschiedenen Ländern zur Einführung des Frauenwahlrechts hervorgebracht haben – obwohl doch schon der Umstand, dass das Frauenwahlrecht in zahlreichen Ländern innerhalb weniger Jahre parallel eingeführt wurde, verdeutlicht, wie wenig plausibel rein nationale Erklärungen sind. Für Historikerinnen und Historiker in der jungen Bundesrepublik beispielsweise war es wichtig, die Frauenbewegung in das historische Narrativ einer von jeher deutschen Demokratiefeindlichkeit einzubetten: Unter Missachtung zahlreicher Parallelen in anderen Ländern diagnostizierten sie einen besonders starken deutschen Antifeminismus, eine besonders schwache oder besonders nationalistische oder besonders auf Mütterlichkeit absetzende Frauenbewegung im deutschsprachigen Raum, allein in Deutschland sei die Frauenbewegung stark zerstritten gewesen und habe nicht an einem Strang gezogen.15 Doch die Phänomene glichen sich in den verschiedenen Staaten.16 Kerstin Wolff untersucht in ihrem Beitrag, wie diese Erzählungen zu Deutschland entstanden und welche Rolle sie spielten – zur Stärkung des eigenen Lagers und Diffamierung der anderen etwa oder um sich aus taktischen Gründen weniger entschieden feministisch zu geben. Wolff kann aufzeigen, dass es der sich selbst als radikal bezeichnende bürgerliche Flügel der Frauenbewegung war, der die Meistererzählung für den Wahlrechtskampf vorgab, dem dann die frühe Geschichtsforschung folgte. Demnach habe sich der Großteil der deutschen Frauenbewegung nicht für das Wahlrecht interessiert.17 Ein Irrtum, wie beispielsweise im Beitrag von Susanne Schötz über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung deutlich wird.
Die Revolutionsnarrative bestärkten die nationalen Sondererzählungen. Die Demokratieunfähigkeit der Deutschen beispielsweise wird daran festgemacht, dass allein die Revolution von 1918/19 diesem Land das Frauenwahlrecht aufzwingen konnte (wobei ansonsten die deutsche Demokratieaversion gerade an der angeblichen Unfähigkeit zur Revolution nachgewiesen wird).18 So wird verständlich, warum Großbritannien seine militanten Suffragetten feiert und warum Deutschland sich nicht an seine Rolle erinnert, von der es im Zentralorgan der internationalen Frauenwahlrechtsbewegung »Ius Suffragii« 1919 hieß: Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland sei »zweifellos der bedeutendste Sieg«, der bisher je für die Sache gewonnen worden sei. »Deutschland«, so hieß es weiter, komme »die Ehre zu, die erste Republik zu sein, die auf wahrhaften Prinzipien der Demokratie gründet, dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für alle Männer und Frauen.«19 Der transnationale Zugriff bleibt allerdings nicht jenseits der Kategorie Nation; es geht vielmehr darum, die nationalen Geschichten transnational oder auch national vergleichend zu reflektieren und zu interpretieren.
Drittens schließlich wird mit der Erweiterung des Zugriffs die Reflexion darüber fortgesetzt, wie sich die nahezu exklusive Verbindung der Demokratiegeschichte mit Männlichkeit erklären lässt. Und zwar auf zwei Ebenen: Einerseits wurde Demokratie und Partizipation tatsächlich bis ins 20. Jahrhundert als männlich gedacht, konzipiert und praktiziert – man denke etwa an die dezidiert