Frauenwahlrecht. Группа авторов
geschlechtliche Durchdringung kaum in die Forschung einbezogen und beispielsweise die demokratische Männlichkeit tatsächlich wie die Zeitgenossen als »Universalität« verstanden. Nicht zuletzt der ideengeschichtliche Zugang zur Demokratiegeschichte spiegelt zuweilen eher die historische Geschlechtlichkeit von Demokratie wider, als dass er sie reflektiert, wenn er von den Männern auf der Agora bis zu den Arbeitern in Massenparteien alles integriert, aber mit den Frauen konsequent die Hälfte der Menschheit ausblendet. »Das Studium der historischen Texte ist ein wichtiger Teil«, erklärt Carole Pateman, »aber die meisten der gängigen Interpretationen der Texte übersieht nach wie vor die Tatsache, dass faktisch jede Theorie auf den Mann als den politischen Akteur hin entworfen ist.«21 Ein weiterer Politikbegriff nun ermöglicht es, beide Geschlechter in den Blick zu nehmen, indem er Entwicklungen einbezieht, die für Demokratisierungsprozesse unverzichtbar waren, wie den Ausbau des Wohlfahrtsstaats oder den Aktionsraum der Kommunen.
Mit dem dritten Punkt weiten wir also zugleich den Begriff von Demokratie. Vorstellungen und Deutungen von Demokratie haben sich immer wieder grundlegend verändert.22 Eine auf heutige Demokratievorstellungen fixierte, normativ festgelegte Definition erlaubt es kaum, Demokratieentwicklungen vor 1919 oder selbst vor 1945 sinnvoll zu analysieren – sei es in den USA (wo ein gewichtiger Teil der Erwachsenen bis in die 1960er Jahre de facto vom Wahlrecht ausgeschlossen blieb) oder in Europa (wo wie in Frankreich oder Großbritannien die Frauen erst zur Jahrhundertmitte das volle und gleiche Wahlrecht erhielten). Doch im Kern drehte es sich bei Demokratie stets um Vorstellungen und Praktiken von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit.23 Frauengeschichte nun drängt die Demokratieforschung dazu, sich erneut und konsequenter mit dem Konzept von Gleichheit auseinanderzusetzen. Die Forderung nach universaler Gleichheit und Freiheit stand seit dem Revolutionszeitalter im ausgehenden 18. Jahrhundert im Zentrum demokratischer Reflexionen: der Anspruch, dass die Gleichen kraft ihrer Freiheit die Herrschaft ausüben und in Freiheit ihr Leben gestalten.24 Durch diesen Universalitätsanspruch wird das Umstürzende der Moderne deutlich. Moderne Demokratie heißt in letzter Konsequenz die egalitäre Relevanz aller Menschen – gerade auch für die Herrschaft. Und damit rückt Geschlecht ins Herz der Forschung über Macht und Politik. Geschlecht konstituiert nicht nur Vorstellungen von Herrschaft, sondern trägt wesentlich zur Konstruktion des modernen Staates bei, was auch damit zusammenhängt, dass es zu den wirkmächtigsten Produzenten von Ungleichheit gehört.25
Der zähe Ausschluss der Frauen erweist sich im Kontext der allgemeinen Wahlrechtsgeschichte als überaus erklärungsbedürftig. Frauen bildeten eine der wenigen Gruppen, die intensiv und über einen langen Zeitraum hinweg um ihr Wahlrecht gekämpft haben. Während die Einbeziehung von immer mehr Männern im Verlauf des 19. Jahrhunderts häufig sogar von oben oktroyiert wurde, blieb Frauen das Wahlrecht trotz ihres Engagements über Jahrzehnte verwehrt.26 Und dieser Ausschluss gestaltete sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bemerkenswert unumstritten und stabil.27 Warum hielt die Exklusion von Frauen aus dem Gleichheitsverständnis so problemlos an? Diese immer wieder gestellte Frage bleibt essenziell, und die Forschung dazu reißt nicht ab.28 Daran schließt sich die Frage an, warum dann um die Jahre des Ersten Weltkriegs in vielen Ländern möglich wurde, was sich die Jahrzehnte zuvor schlicht als abwegig dargestellt hatte: die Anerkennung von Frauen als Gleiche, als politische Subjekte?29 Das wiederum führt zu der Frage, wie das universale Wahlrecht aufgenommen wurde und welche Wirkungen es hatte. Die Beiträge in diesem Band befassen sich mit diesen Fragen. Geordnet nach drei Gesichtspunkten tragen sie zu der geforderten Weitung des Blickwinkels bei, mit der die Neuordnung des Geschlechterarrangements – jene zentrale Entwicklung der Demokratisierung – nicht außen vor bleibt, sondern elementar die Analyse durchdringt: Raum, Körper und Sprechen – wobei alle drei eng miteinander verwoben sind und die meisten Texte mindestens zwei dieser Aspekte verdeutlichen.
Raum – Körper – Sprechen
Zunächst müssen auf einer metaphorischen Ebene Staat und Herrschaft als Raum verstanden werden, durchdrungen von männlicher Dominanz. Die Geschlechterforschung verweist seit Langem auf die enge Verbindung von staatlicher Ordnung, gesellschaftlichem Selbstverständnis und Geschlecht.30 Für demokratische und partizipative Ordnungen ist das aus historischer Sicht bisher eher am Rande untersucht worden. Dabei ist die Frage nach Geschlecht und Identitätserzählungen gerade für Demokratien zentral, denn hier wird die für Herrschaft unverzichtbare Frage nach Legitimität, um mit Max Weber zu reden, »rational« behandelt, was beträchtliche Probleme aufwirft.
Als Legitimationsstifter ersten Ranges wirkt Maskulinität:31 sowohl im Herrschaftskonzept intellektueller Eliten und ökonomischer Oberschichten als auch in der Arbeiterbewegung, in Monarchien, in denen viele der Frauenrechtlerinnen operierten, ebenso wie in Demokratien. Die historische Dimension dieses Mechanismus ist tief in nationalstaatlichen Strukturen verankert. So weist die Historikerin Karen Hagemann nach, wie eng sich in Deutschland National- und Geschlechtsidentität in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts miteinander verbanden. Das als unruhig, revolutionsgeschüttelt geltende Frankreich hielten viele Deutsche für den Inbegriff weibischer Wankelmütigkeit. Die demokratisch gesinnten Turner hingegen rühmten sich ihrer intensiven Männlichkeit und bezichtigten ihre Gegner des weibischen Luxus.32 Auch der »Männlichkeitskult« der Sozialisten im 19. Jahrhundert gründete, wie der Historiker Thomas Welskopp darlegt, tief in patriarchalischen Gesellschaftsvorstellungen.33 Für die Historiker und Staatsrechtslehrer des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts konnte es keinen Zweifel geben: »Unser Staat ist männlichen Geschlechts« (so der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl 1855 in einer vielgerühmten Studie mit hoher Auflagenzahl),34 und Heinrich von Treitschke sekundierte: »Obrigkeit ist männlich«, Weiblichkeit hingegen finde in »schamhafter Stille« einer Königin Luise ihre Vollendung.35 Der Jurist und Staatstheoretiker Johann Caspar Bluntschli begründete 1870 den Ausschluss der Frauen in einem Deutschen Staatswörterbuch mit der »herkömmliche[n] Sitte aller Völker, welche den Staat, der unzweifelhaft ein männliches Wesen ist, auch als die Aufgabe und Sorge der Männer betrachtet«. Er wies darauf hin, dass »die unmittelbare Theilnahme an den Staatsgeschäften unweiblich, für den Staat gefährlich und für die Frauen verderblich wäre«.36 Männliche Legitimationskraft wirkte auch ex negativo: Wer seine Gegner delegitimieren wollte, identifizierte sie mit Weiblichkeit. Weibliche Herrschaft galt in modernen Staaten des 19. Jahrhunderts als Inbegriff des dekadenten, irrationalen Ancien Régime.37 Und zur Verunglimpfung demokratischer Herrschaft behaupteten ihre Feinde einen besonders großen Einfluss von Frauen auf das Staatsgeschehen.38 – Die Logik von legitimierender Männlichkeit und delegitimierender Weiblichkeit bewies indes schon lange vor dem 19. Jahrhundert ihre Gewicht: Die Frau auf dem Thron wurde, wie Barbara Stollberg-Rilinger erläutert, als Staatsgebrechen und Monstrosität betrachtet, ein Umstand, der im Notfall erduldet werden musste; und die Herrscherin tat gut daran, sich symbolisch explizit als männlich zu präsentieren.39 Zu Recht sind Opfergeschichten in die Kritik geraten, aber diese Bedenken sollten nicht über die Selbstverständlichkeit und Habitualisierung der Exklusion von Frauen hinwegtäuschen, über die Bedeutung der »gender longue durée« (John Tosh).40
Die neuen republikanischen oder plebiszitären Herrschaftsformen sahen sich womöglich in einem noch stärkeren Ausmaß auf den Legitimationseffekt von Männlichkeit angewiesen, weil sie keine Rückgriffmöglichkeiten auf den traditionalen Legitimationsbestand von Gottesgnadentum und Geburtsprivilegien hatten.41 In Frankreich pflegte das revolutionäre Heer eine intensiv maskuline Kultur, und Napoleons Code civil räumte den Ehemännern großzügig juristische und physische Gewalt gegenüber der Ehefrau ein, die nicht als Individuum zählte, sondern als ein unmündiger Teil der Familie.42 Den Gipfel des Männlichkeitskultes aber erreichten im 19. Jahrhundert zweifellos die jungen Vereinigten Staaten, deren Selbstbegeisterung sich gleichermaßen an ihrer Freiheit und an ihrer Männlichkeit berauschte. Im dichotomischen Weltbild vieler Amerikaner (in dem die neue Welt der Freiheit gegen das tyrannische Europa stand) zählte Luxus zur Sphäre der Frauen, diesmal als Ausdruck weibischeuropäischer Aristokratie, die im Gegensatz zum kernigen Republikanismus stehe.43 Die renommierte Democratic Review erläuterte: »Das große konservative Element unserer