Frauenwahlrecht. Группа авторов
oder gar vor einer Frau auf dem Thron nicht gefeit. Da in Amerika ausschließlich Bildung und Leistung zählten, blieben Frauen – »disqualified by nature« – in der angemessenen Unterordnung.44 Überhaupt bestätigte die Vorstellung von Demokratie als der »natürlichen« Staatsform den Anspruch der Männerherrschaft. Dass in Frankreich immer wieder revolutionäre Unordnung herrsche, lag auch nach Überzeugung vieler Amerikaner an dem widernatürlichen Einfluss der Frauen auf die Regierung.45 Der Akt der Stimmabgabe bei den Wahlen gewann gerade in den Vereinigten Staaten durch seine Identifizierung mit Männlichkeit an Bedeutung und Attraktivität.46
Moderne Wahlen, also solche mit einem prinzipiellen Anspruch auf ein allgemeines Wahlrecht, definierten paradoxer- und logischerweise den Ausschluss der Frau explizit. Das betraf etwa das preußische Wahlrecht nach der Städteordnung von 1808, den britischen Reform Act von 1832 oder die Einzelstaaten der USA – wo die Republikaner im Jahr 1868 die Wahlqualifikation »male« sogar in die Bundesverfassung schrieben. Carole Pateman kommentiert: »Das schiere Frausein bedeutet die Disqualifizierung für Staatsbürgerschaft.«47 Gisela Bock hat die These aufgestellt, dass die extrem späte Einführung des Frauenwahlrechts in den Ländern mit einer besonders lauten und alten republikanischen Rhetorik kein Zufall sei: in Frankreich 1944 und in der Schweiz 1971; vielmehr habe die Verbindung von Männlichkeit und Republik hier so tiefe Wurzeln schlagen können, dass Veränderungen auf besonders heftigen Widerstand stießen.48
Wie es Frauen – mit Mühen, Witz und politischem Sachverstand – nach und nach gelingen konnte, in diesen in jederlei Hinsicht mit Männlichkeit durchdrungenen Bereich hineinzugelangen, untersuchen Marion Röwekamp, Birgitta Bader-Zaar, Barbara von Hindenburg und Kerstin Wolff in ihren Beiträgen im ersten Teil des Bandes über den Raum. Zuerst gelang das bereits im 19. Jahrhundert auf lokaler Ebene. Im Jahr 1869 etwa erhielten britische Frauen das kommunale Wahlrecht und US-amerikanische Frauen das Stimmrecht im Bundesstaat Wyoming. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts eröffneten sich immer mehr Partizipationsmöglichkeiten in sozialen Institutionen, in Kirchen oder in Städten.
Birgitta Bader-Zaar, Birte Förster und Barbara von Hindenburg diskutieren die vielfältigen Partizipationsrechte, die Frauen besaßen, bevor sie das nationale Wahlrecht erhielten. Dabei handelte es sich zum Teil um frühneuzeitliche Privilegien, wie das Gemeindestimmrecht verwitweter Grundbesitzerinnen; teilweise handelte es sich um neu erworbene Rechte, wie etwa das Wahlrecht in sozialen Einrichtungen. Legen aber diese Befugnisse nicht doch die Einsicht nahe, dass der Ausschluss von Frauen keineswegs kategorisch gewesen sei? Jedoch waren diese Wahlberechtigungen in der Regel ein Überbleibsel, das erneut zeigt, dass die ständische Ordnung zwar weibliche Herrschaft kannte, sie aber als notwendiges Übel erachtete: Frauen durften in diesen frühneuzeitlichen Verfahren ihre Stimme nicht selbst abgeben, denn der Herrschaftsraum gehörte den Männern; die wahlberechtigte Frau war gezwungen, einen männlichen Stellvertreter zur Stimmabgabe zu schicken. Bezeichnenderweise verloren viele Frauen im 19. Jahrhundert mit der Purifizierung und der Ausformulierung von Politik als männlicher Domäne das Recht auf ihre Stimme, teilweise ging jedoch auch nur das Wissen um ihr Stimmrecht verloren. Diese Gemengelage nun nutzten einige Frauenrechtlerinnen um die Wende zum 20. Jahrhundert, so Barbara von Hindenburg und Birte Förster in ihren Studien. Die Aktivistinnen gaben dem alten Recht eine neue Bedeutung: Das obsolete weibliche Stimmrecht, in dem die Frau beispielsweise nur als Witwe Gültigkeit besaß und als Ersatz für den verstorbenen Ehemann diente, interpretierten Frauenrechtlerinnen um in ein individuelles Recht. Sie suchten die wahlberechtigten Frauen auf, erinnerten sie an ihre Möglichkeiten, fanden bei Bedarf Männer, die sich zur Stellvertreterwahl bereit erklärten, und schufen damit für sich und ihre Anliegen eine neue Öffentlichkeit. In Hessen-Nassau machten im Jahr 1911 mit 415 Frauen immerhin ein Drittel der Wählerinnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch; in Schlesien waren es teilweise bis zu hundert Prozent. Eine solche Partizipation konnte auch für konservative Frauen zu einem Symbol weiblicher Ermächtigung werden, blieben sie damit doch innerhalb des traditionalen Rahmens.49
Als einer der wichtigsten Aktionsräume in der Transformationszeit um 1900 diente der kommunale Raum. Hier konnten sich traditionale und emanzipative Vorstellungen vermengen und die weiblich private Sphäre und die männlich öffentliche Sphäre schleichend vermischen.50 Da Frauen zumeist für den sozialen Bereich arbeiteten, ließ sich das kommunale Wahlrecht bei Bedarf gar als »unpolitisch« beschreiben (was konservative Frauen als Argument für das weibliche Kommunalwahlrecht nutzten und Sozialistinnen als Argument dagegen). Mit ihrer Propagierung der sozialen Arbeit – im Sinne von Paula Bakers »domestication of politics« – und mit der Thematisierung des Privaten im Öffentlichen vertraten die Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtler ein weiter gefasstes Konzept von citizenship, das Kathleen Canning als »participatory citizenship« definiert.51 Entsprechend herrschte in den meisten Ländern unter einer Mehrheit der Frauenrechtlerinnen die Auffassung vor, dass sich das Frauenwahlrecht nicht von den anderen Rechten, Reformen und Forderungen der Bewegung trennen ließe. Wie Marion Röwekamp in ihrem Aufsatz zeigt, nutzten Frauen andere Reformforderungen oft unterschwellig, um damit zugleich das Frauenwahlrecht zu plausibilisieren und zu befördern.
Dass das Wahlrecht gleichwohl auf nationaler Ebene lange Zeit für eine überwältigende Mehrheit weiterhin nicht infrage kam, unterstreicht seine identitätsstiftende und legitimierende Bedeutung für die Nation, die sich ohne grundstürzende Änderungen schlicht nur männlich denken ließ.52 In einigen Ländern saß das Misstrauen der Regierungen gegen ein nationales Frauenwahlrecht so tief, dass die Gesetzgeber bei seiner Einführung zur Reinhaltung der Wählerschaft besondere Kautelen einfügten, die einiges über die identitätsstiftenden Implikationen des nationalen Wahlrechts aussagen: Österreich und Italien etwa schlossen Prostituierte von den Wahlen aus – nicht jedoch die Freier –, und Belgien exkludierte mit der Erweiterung des Wahlrechts 1920 alle Frauen, die keine Mütter waren oder uneheliche Kinder hatten.
Der symbolische Raum der Politik und des Staates verband sich mit konkreten physischen Räumen. Als 1908 das alte Vereinsrecht in Preußen fiel, das den Frauen politische Versammlungen untersagt hatte, erschien das vielen Akteurinnen und Akteuren vor allem als ein symbolischer Sieg. Frauen hatten längst Mittel und Wege gefunden, das rechtliche Relikt zu umgehen; sie durften ohnehin offiziell an politischen Treffen teilnehmen, jedoch in einem separaten Raum, für dessen Markierung oft ein Strick diente. Als das Recht fiel, feierten in Breslau die Frauenrechtlerinnen die Befreiung des Raums: Sie rollten die »drollige« schwarzweiße Schnur »als ein Symbol vergangener Tage« ein, wie sie festhielten.53 Durch Leseräume und Beratungsräume für Frauen, durch Redaktionsstuben für Frauenzeitschriften und Büros der Frauenorganisationen, durch bessere Mädchenschulen und die Öffnung der Universitäten: Der Raum der Frauen weitete sich hinein in die Öffentlichkeit. Tobias Kaiser und Malte König verdeutlichen in ihren Beiträgen, wie Frauen bereits in den Vorkriegsjahren bei den Demonstrationen in Großbritannien oder den USA, aber auch in kleinerem Umfang in Deutschland oder Frankreich Platz und Raum in der Öffentlichkeit reklamierten. Und schließlich hielten Frauen mit dem Wahlrecht auf den Podien der Parlamente und der Gerichtssäle Einzug.
Der Einsatz für Frauenrechte war für viele Reformerinnen und Frauenrechtlerinnen gleichbedeutend mit dem Kampf gegen Gewalt und für mehr Wohlfahrt, wie Hedwig Richter in ihrem Beitrag untersucht. Diese Diskurse lassen sich als eine spezifische Ermächtigung der Frauen verstehen: als Aneignung ihres Körpers – womit wir beim zweiten Gesichtspunkt wären. Denn während für die moderne staatliche Ordnung konstitutiv war, dass das souveräne Subjekt, der Mann, seinen Körper (die »grundlegendste Form des Eigentums«)54 bezähmt, galt die Frau durch die Möglichkeit der Mutterschaft als von ihrem Körper beherrscht – so die Analyse der Politologin Gundula Ludwig.55 Für die Frage nach der Beharrungskraft der Geschlechterordnung, aber auch nach den Veränderungsmöglichkeiten ist also eine Analyse des Körpers zentral, wie in den Beiträgen von Tobias Kaiser, Malte König und Hedwig Richter im zweiten Teil des Bandes deutlich wird. Pierre Bourdieu beschreibt die »Somatisierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse«: »Der gesellschaftlich geformte biologische Körper ist also ein politisierter Körper oder, wenn man das vorzieht, eine inkorporierte Politik«.56 Die Minderwertigkeit der Frau, ihre Inkompetenz für Herrschaft