Frauenwahlrecht. Группа авторов
von bemerkenswerten neun Prozent auf vier Prozent; erst 1980 würden die neun Prozent wieder erreicht werden. Marion Röwekamp legt die Hemmnisse gegen eine Reform des Familienrechts dar, das wesentlich zu einer Gleichstellung der Frau beigetragen hätte. Die Kontinuitäten der Repression blieben bestehen – trotz der Einführung des neuen Wahlrechts.
Die Kunde davon, dass Frauen politische Subjekte sein könnten, und die praktische Umsetzung dieses Wissens und seine Einübung: All das erwies sich als ein längerer und hochkomplexer Prozess, dessen Folgen umstritten blieben und der nicht zuletzt durch die Nationalsozialisten partiell annulliert wurde – eine Entwicklung, die wir in diesem Band vom 19. Jahrhundert bis tief ins 20. Jahrhundert analysieren. Wenn wir mit einem weiteren Begriff von Politik und Demokratie arbeiten, werden aber nicht nur die Misogynie demokratischer Traditionen deutlich, sondern auch die Aufbrüche. Fast nirgendwo ließ sich das Frauenwahlrecht im 20. Jahrhundert tatsächlich wieder annullieren, vielmehr breitete es sich auch weiterhin kontinuierlich aus. Frauen konnten sich neu definieren. Politikerinnen und Politiker etablierten in der Zwischenkriegszeit den Sozialstaat und vertieften ihn, indem sie viele der von den Reformerinnen und Frauenrechtlerinnen geforderten Besserungen umsetzten. Der Vergleich von der Zeit vor und nach der Einführung des Frauenwahlrechts zeigt, wie in den betroffenen Ländern die Frauenemanzipation zu einer signifikanten Erhöhung der Sozialausgaben führte.70 So entwickelte sich in ganz Europa ein altes Anliegen der Frauenbewegung zu einem zentralen Thema, das dann insbesondere nach 1945 vielfach ins Zentrum der Politik rückte: der Schutz der menschlichen Würde.71
1Prototypisch für diese Erzählung: Sean Wilentz, Rise of American Democracy. Jefferson to Lincoln, New York u. a. 2005, S. xix.
2Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt am Main 1991.
3Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt am Main/New York 2005; Thomas Mergel, Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia Zeitgeschichte, http://docupedia.de/zg/Kulturgeschichte_der_Politik_Version_2.0_Thomas_Mergel [29. 3. 2018]; Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung. Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2004, S.9–24.
4Vgl. etwa Edmund S. Morgan, Inventing the People. The Rise of Popular Sovereignty in England and America, New York 1989; Caroline Daley/Melanie Nolan (Hg.), Suffrage and Beyond. International Feminist Perspectives, New York 1994; Margaret L. Anderson, Lehrjahre der Demokratie. Wahlen und politische Kultur im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2009; Joanna Innes/Mark Philip (Hg.), Reimaging Democracy in the Age of Revolutions. America, France, Britain, Ireland 1750–1850, Oxford 2015. Zur Transnationalität der Frauengeschichte vgl. beispielhaft Anja Schüler, Frauenbewegung und soziale Reform. Jane Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog, 1889–1933, Stuttgart 2004; Dawn Teele, Forging the Franchise. The Political Origins of the Women’s Vote, Princeton 2018; Malcolm Crook, L’Avènement du suffrage féminin dans une perspective globale (1890–1914), in: Landry Charrier (Hg.), Circulations et réseaux transnationaux en Europe (XVIIIe–XXe siècles), Berlin 2013, S. 57–68. Allerdings halten sich gerade im angelsächsischen Raum nach wie vor Sonderwegerzählungen, vgl. etwa Jad Adams, Women & the Vote. A World History, Oxford 2014, S. 261–277.
5Vgl. etwa Carole Pateman, The Disorder of Women. Democracy, Feminism, and Political Theory, Stanford 1989; Barbara Holland-Cunz, Feministische Demokratietheorie, Opladen 1998; Gundula Ludwig/Birgit Sauer/Stefanie Wöhl (Hg.), Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie, Baden-Baden 2009; Jean L. Cohen/Andrew Arato, Civil Society and Political Theory, Cambridge, Mass. 1992.
6Paula Baker, The Domestication of Politics. Women and American Political Society, 1780–1920, in: The American Historical Revue 89/3 (1984), 620–647.
7Vgl. aus der reichhaltigen Forschung etwa Kerstin Wolff, »Stadtmütter«. Bürgerliche Frauen und ihr Einfluss auf die Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert (1860–1900), Königstein i.Ts. 2003. Angelika Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848 bis 1933 (= Geschichte kompakt, Bereich Neuzeit), Darmstadt 2006; Gro Hagemann u. a. (Hg.), Women’s Politics and Women in Politics. In Honor of Ida Blom, Oslo 2000; Gisela Bock/Pat Thane, Maternity and Gender Politics. Women and the Rise of the European Welfare States, 1880s–1950s, London/New York 1991.
8Patemen, Beyond Suffrage, S. 343; Hedwig Richter, Transnational Reform and Democracy. Election Reform in New York City and Berlin around 1900, in: Journal of the Gilded Age and Progressive Era 15 (2016), S. 149–175.
9Sandra Stanley Holton, Feminism and Democracy, Women’s Suffrage and Reform Politics in Britain, 1900–1918, London 2003, S. 130; Ute Planert, Nation und Nationalismus in der deutschen Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 39 (2003), S. 11–18, hier S. 18; auch mit weiterer Forschung: Angelika Schaser, Zur Einführung des Frauenwahlrechts vor 90 Jahren am 12. November 1918, in: Feministische Studien 1 (2009), S.97–110, hier S. 107.
10Michael Geyer/Charles Bright, World History in a Global Age, in: The American Historical Review 100 (1995), S. 1034–1060, hier S. 1044–1047.
11Beispielhaft sei hier auf zwei Aufsätze mit Forschungsüberblick verwiesen: Ida Blom, Structures and Agency; Agency. A Transnational Compairison of the Struggle for Women’s Suffrage in the Nordic Countries During the Long 19th Century, in: Scandinavian Journal of History 27/5 (2012), S.600–620; Crook, L’Avènement du suffrage féminin; vgl. generell zur Forschung über das Frauenwahlrecht den Literaturüberblick im Beitrag von Kerstin Wolff und in der Einleitung.
12Vgl. Literatur in Fußnote 4; Daniel Rodgers spricht von einer »atlantischen Ära der Sozialpolitik« für die Zeit von 1870 bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Daniel T. Rodgers, Atlantiküberquerungen. Die Politik der Sozialreform, 1870–1945, Stuttgart 2010, S. 14f.
13Adam Tooze, Ein globaler Krieg unter demokratischen Bedingungen, in: Tim B. Müller/Adam Tooze (Hg.), Normalität und Fragilität. Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2015, S. 37–70; C. B. Macpherson, The Life and Times of Liberal Democracy, New York 1977, S. 64–69.
14Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise. Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz, Frankfurt am Main 1995; Iris Marion Young, Das politische Gemeinwesen und die Gruppendifferenz. Eine Kritik am Ideal des universalen Staatsbürgerstatus, in: Herta Nagl-Docekal u. a. (Hg.), Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur feministischen Ethik, Frankfurt am Main 1993, S. 267–304.
15Vgl. Herrad-Ulrike Bussemer, Frauenwahlrecht, in: dies.u. a. (Hg.), Debatte um das Frauenwahlrecht in Deutschland, Hagen 1992, S. 5–19; Amy Hackett, The German Women’s Movement and Suffrage, in: Robert J. Bezucha (Hg.), Modern European Social History, Lexington 1972, S. 354–386; Barbara Holland-Cunz: Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt am Main 2003, S. 43–49 et passim; vgl. die detaillierte Widerlegung deutscher Sonderweggeschichten für das Frauenwahlrecht mit umfassender