Frauenwahlrecht. Группа авторов

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19. Jahrhundert begannen Frauen Mutterschaft umzudefinieren und besetzten sie positiv als elementare gesellschaftliche Aufgabe. Emmeline Pankhurst gab als wesentliche Ursache für ihren Kampf die mütterliche Sorge um uneheliche Kinder an, um die sich »nur die Frauen wirklich kümmern«.58 Die Probleme dieser Welt, die soziale Frage, Alkoholismus, Kinderarmut, Gesundheitsprobleme, schlechte Arbeitsbedingungen – dafür brauche die Gesellschaft eben: Frauen. Männer hingegen galten in dieser differenzfeministischen Argumentation als unbeherrscht und aggressiv.59 So entwickelten sich Prostitution und Alkohol zu zwei der am häufigsten diskutierten Themen der Jahrhundertwende.60 Sie standen für jene destruktive Männlichkeit, die es zu zähmen galt. Frauen griffen international das Thema der Prostitution auf, wie Malte König in seinem Beitrag entfaltet, und nutzten es als Diskurs, anhand dessen sie von einem moralisch geradezu unangreifbaren Standpunkt aus Männer attackieren und ihre Souveränität einfordern konnten. Die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung engagierten sich auf dem weiten Themenfeld der »Sittlichkeit«, reklamierten ihre Kompetenz – und verknüpften sie mit der Stimmrechtsfrage. Die »Domestizierung der Politik« griff immer mehr um sich.61

      In den europäischen Ländern und in Nordamerika berichteten die Zeitungen mit Interesse und meistens mit Sympathie von den Aktionen der Frauenrechtsbewegung. In Großbritannien erhoben Frauen schon in der Vorkriegszeit ihre Stimmen auch im Parlament: Sie störten die Parlamentsreden der Männer mit Zwischenrufen von der Ladies’ Gallery. Und in den Räumen des deutschen Reichstags tagten bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Gruppierungen der Frauenbewegung, wie der Verband fortschrittlicher Frauenvereine, und reklamierten ihren Anspruch auf Mitsprache im Parlament. Malte König verdeutlicht auch den Epochenwechsel, der sich durch den Einzug der Frauen auf die Parlamentsbänke vollzog: Die männlichen Delegierten verhandelten Politik nicht mehr unter sich, sondern mussten für ihre Äußerungen gegenüber ihren weiblichen Parteiangehörigen einstehen. Der Ton im Parlament, so Malte König, änderte sich.

      Von 1906 bis 1932 führten rund 40 Nationalstaaten das Frauenwahlrecht ein. Warum wird diese grundstürzende Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Welt so erstaunlich selten in die allgemeine Geschichte aufgenommen? Neben der Tatsache, dass Demokratiegeschichte vielfach die Frage nach dem Geschlecht ausblendet, mag eine weitere Ursache darin liegen, dass nur wenige Jahre später der Nationalsozialismus und faschistische Ideologien die Welt erneut veränderten und schließlich der Zweite Weltkrieg begann. Tatsächlich schienen sich die positiven Auswirkungen des Wahlrechts, auf die Feministinnen gesetzt hatten, in Grenzen zu halten. Auch nachdem Frauen wählten, wirkte Geschlecht vielfach stärker als die politischen Unterschiede, wie Harm Kaal für die Niederlande konstatiert. Frauen wurden weiterhin zum Schweigen gebracht (solange sie ihrer Garderobe mehr Beachtung als der Politik schenkten, sollten sie sich nicht in Politik einmischen, erklärten Männer den Niederländerinnen), und Frauen wurden als unmündige Wesen behandelt, die man nicht mit rationalen Argumenten überzeugen konnte. Birte Förster beschreibt in ihrem Text den zähen, aggressiven Widerstand gegen die Gleichberechtigung von Frauen in juristischen Berufen; und der Landtagspräsident der Hessischen Volkskammer wies die DDP-Abgeordnete Karoline Balser zurecht, als sie beklagte, dass keine einzige Parlamentarierin in die entscheidenden Ausschüsse gewählt worden sei. Die Frau, ihre Stimme erhebend und mit Macht ausgestattet im öffentlichen Raum, blieb eine Provokation, und die Warnung vor einer Vermännlichung von Richterinnen, Anwältinnen und anderen Frauen im Staatsdienst wurde wieder lauter. Lutz Vogel zeigt in seinem Aufsatz über Sachsen die Verdrängung der Frauen aus einflussreichen


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