Frauenwahlrecht. Группа авторов
Streben nach innerer und äußerer Freiheit, fördert sie mit jedem Schritt vorwärts, ihrem eigenen Ziele zu, die GANZE Frauenbewegung, schafft ihr mehr Licht und Luft, gibt ihr einen festeren Boden unter die Füße.«9 Wie also konnte es – fußend auf solchen Aussagen der Zeitgenossinnen – zu der verschobenen Wahnehmung der Forschungsliteratur kommen, und welche Auswirkungen hatte dies?
Meine im Folgenden vorzustellenden Überlegungen stützen sich auf eine Re-Lektüre zentraler Quellen, vor allem der Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung und der Schriften von Helene Lange und Minna Cauer, die als Vertreterinnen der beiden Flügel der Frauenbewegung verstanden werden und im Zentrum dieser Untersuchung stehen. Helene Lange und Minna Cauer werden in der Geschichtsschreibung der Frauenbewegung als Antagonistinnen verstanden. Auf der einen Seiten die als konservativ und bürgerlich-gemäßigt geltende Helene Lange, die explizit nicht als Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht verstanden wird, auf der anderen Seite die als fortschrittlich und radikal verstandene Minna Cauer, die als mutige Kämpferin für ein liberales Frauenwahlrecht dargestellt wird. In einem ersten Schritt möchte ich die Positionen der beiden Protagonistinnen (und damit auch die beiden »Flügel«) auf einer quantitativen und einer qualitativen Ebene vergleichen: Für die quantitative Ebene habe ich die von Lange und Cauer herausgegebenen Publikationsorgane daraufhin untersucht, wie häufig das Thema Frauenstimmrecht/Frauenwahlrecht auftaucht. Für die qualitative Ebene habe ich die frühen Schriften zum Frauenstimmrecht von Lange und Cauer verglichen; dabei stand die Frage im Zentrum, wie und worin sich die Argumentation der beiden Protagonistinnen zum Frauenwahlrecht unterscheidet. Abschließend habe ich in einem dritten Schritt die Entwicklung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung nachgezeichnet, um anhand der Rekonstruktion der Organisationsgeschichte der bürgerlichen Frauenbewegung in Sachen Wahlrecht zu verstehen, wie auf der organisatorischen Ebene mit diesem Thema umgegangen wurde. Im Folgenden möchte ich diese Re-Lektüre vorstellen und so anregen, das Bild der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung noch einmal unter die Lupe zu nehmen, vielleicht sogar zu revidieren.
Die Frau – Das Intellektuellenblatt der Frauenbewegung
Helene Lange gab ab 1893 die Zeitschrift Die Frau heraus. Die Kommunikationswissenschaftlerin Ulla Wischermann kommt in einer Analyse der Zeitschrift zu dem Ergebnis, dass Helene Lange mit ihrem Anspruch und der inhaltlichen Ausgestaltung »weit über die bis dato existierenden Frauenbewegungszeitschriften, die eher Vereinsund Mitteilungsblätter waren, hinaus«ging.10 In der Frau schrieb die Crème de la Crème der bürgerlichen Frauenbewegung. Hier entwarfen die Autorinnen anspruchsvolle Grundsatzartikel.
Helene Lange, die Gründerin der Zeitschrift, arbeitete eng mit dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung, dem BDF, zusammen, trotzdem war Die Frau nicht das Zentralorgan des BDF. Aber sie gehörte in das »Spektrum seiner Öffentlichkeitsarbeit«, wie Ulla Wischermann dies nennt11, und Helene Lange gelang es, durch ihre Zeitschrift die Themen im BDF zu steuern und zu beeinflussen. So machten die Herausgeberinnen Helene Lange und Gertrud Bäumer mit und durch Die Frau im BDF Politik.
In Die Frau wird von Beginn an über das Frauenwahlrecht berichtet. Bereits im ersten Jahrgang wird unter der Rubrik »Frauenleben und -streben« ein Artikel zum Frauenwahlrecht in Neuseeland publiziert12, es folgen Berichte aus Wyoming, mehrfach aus England und den Niederlanden13. Auch künftig finden sich in jedem Jahrgang mehrere Berichte über die Entwicklungen in anderen Ländern. 1902 wird über den frisch gegründeten deutschen Verein für Frauenstimmrecht geschrieben, und ab 1903 setzt die Debatte zum kirchlichen Frauenstimmrecht/Frauenwahlrecht in Deutschland ein. Ab 1906 brachte Die Frau dann auch eigenständige Artikel zu allen Fragen des Frauenwahlrechts; ein erster eigenständiger Artikel von Helene Lange folgte 1910.14 Überhaupt beginnt ab 1910 eine rege Berichterstattung, die in den ersten beiden Jahren des Ersten Weltkrieges etwas einbricht, aber spätestens ab 1916 wieder aufgenommen wird.
Die Frauenbewegung – Das radikale Sprachrohr
Die Zeitschrift Die Frauenbewegung kam ab 1895 heraus und verstand sich als Sprachrohr der sich als radikal bezeichnenden Richtung. Minna Cauer war die Herausgeberinnenschaft angetragen worden, und sie war es auch, die die politische Richtung des Blattes bestimmte. Obwohl das Motto der Zeitschrift zu Beginn lautete: Dieses Blatt steht allen Richtungen offen, waren es vor allem die »Radikalen«, die hier publizierten. Die Zeitschrift kann als liberal und demokratisch bezeichnet werden und setzte sich für eine sich stetig in diese Richtung fortentwickelnde Veränderung der Gesamtgesellschaft ein. In der Zeitschrift finden sich zwei Rubriken, nämlich »Aus der Frauenbewegung« und »Vermischtes«, in denen Meldungen aus der Frauenbewegung aufgenommen wurden.15 Ab 1899 erschien Die Frauenbewegung mit einer Beilage, Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung genannt, redigiert von Anita Augspurg. Diese Beilage sollte den juristischen Kämpfen der Frauenbewegung mehr Beachtung schenken und auch aus den Parlamenten berichten.
In Bezug auf die Debatten um das Frauenstimmrecht verfährt Die Frauenbewegung ebenso wie die Zeitschrift Die Frau. Bereits in der ersten Nummer werden Artikel zum Frauenstimmrecht lanciert, und es ist vor allem die positive Berichterstattung aus anderen Ländern, die sich in jeder Nummer, in jedem Jahrgang findet.16 Diese Berichterstattung verlagert sich im Laufe der Zeit immer stärker in die Beilage; trotzdem reißen die Artikel über den Kampf um das Frauenwahlrecht auch in Die Frauenbewegung nicht ab. Ein Höhepunkt der Berichterstattung stellt das Jahr 1902 dar, als der Verband für Frauenstimmrecht gegründet wurde und sich viele Pro- aber auch Kontrastimmen zum Frauenwahlrecht finden. Über die weitere Entwicklung des Verbandes wird in den nächsten Jahrgängen regelmäßig berichtet, bis dann am 15. 1. 1907 die Zeitschrift für Frauenstimmrecht als eigenständige Publikation, aber auch als Beilage der Zeitschrift Die Frauenbewegung erschien. Ab diesem Zeitpunkt verlagerte sich fast die gesamte Berichterstattung in die Beilage, 1912 und 1913 waren Jahre mit vermehrter Publikation auch im Hauptblatt, bis dann der Erste Weltkrieg die Berichterstattung fast komplett zum Erliegen brachte, bevor sie 1917 wieder anstieg.
Bei einem direkten Vergleich mit der Zeitschrift Die Frau können also kaum Unterschiede zwischen den beiden Flügeln festgestellt werden. In Thematik wie auch in der Anzahl der Artikel verfahren beide Zeitschriften ähnlich. Auch die Methode, die Berichterstattung über Beispiele aus dem Ausland als Motor für die Entwicklung im eigenen Land zu nutzen, wird von beiden Zeitschriften eingesetzt – in beiden Publikationsorganen wird vorzugsweise positiv über das zu erreichende Frauenwahlrecht berichtet.
Wie aber sieht es mit den inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden Flügeln aus? Wird in den eigenständigen Publikationen das sichtbar, was in der älteren Forschungsliteratur als »diametral entgegengesetzte« Emanzipationskonzepte bezeichnet wird?17
Frühe Publikationen von Helene Lange und Minna Cauer zum Frauenwahlrecht
In das Bild der zögernden und zaudernden bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung passt es schlecht, dass Helene Lange bereits 1896 einen wichtigen Aufsatz veröffentlichte, in dem sie sich dezidiert für das Wahlrecht aussprach.18 In diesem Text verweist sie darauf, dass durch Wahlen jeder die »Interessen seines Standes, seines Bildungskreises, seiner Scholle vertritt«19; durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts habe man diese Vertretungslogik auch anerkannt. »Bis auf eine Kleinigkeit«, fährt Lange fort. »Obwohl niemand an der oben ausgeführten Wahrheit ernstlich zweifelt, ist eine Fiktion doch immer aufrechterhalten worden, die nämlich, daß die Männer zugleich die Interessen der Frauen wahren.«20 Hier kann – so Lange – nur »die Frau der Frau« helfen, denn »so wenig ein Stand für den anderen, so wenig auch ein Geschlecht für das andere eintreten kann«, das leuchte jedem konsequenten Denker ein. »Erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine Stimmrecht zu etwas mehr als eine reine Redensart.«21
Im weiteren Verlauf des Artikels entkräftet Lange die ihr und allen Zeitgenossinnen wohlbekannten Gegenargumente wie: Kriegsdienst und Wahlrecht seien miteinander verschränkt oder die Frau verstünde