Medikamenten-Monopoly. Dr. Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly - Dr. Franz Stadler


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und der Rabattvertragsmarkt, die immer mehr Lieferengpässe bewirkten. Und nicht zu vergessen der bürokratische Aufwand bei der Abgabe von Arzneimitteln, der ohne großen Nutzen zu erzeugen stetig größer wurde. Zentralisierung und Digitalisierung wurden vorangetrieben – auch wenn sie in vielen Fällen zu einer Destabilisierung der Arzneimittelversorgung führten. Kurz: Das gesamte System begann, aus den Fugen zu geraten und instabil zu werden.

      Dies alles geschah weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, ereignete sich schleichend und praktisch im Verborgenen. Die Zahl der direkt Betroffenen war lange (noch) zu gering, auftretende Skandale fanden nur höchst selten den Weg aus den Fachgruppen hinaus in die mediale Öffentlichkeit. Nur Insider wussten Bescheid, wenn sie es denn wissen wollten. Die meisten von ihnen hatten sich mehr oder weniger bequem eingerichtet, sich mit der Situation arrangiert oder auch Kritik und Widerstand gegen die Missstände desillusioniert aufgegeben. Blieben vereinzelte Mahner, die leicht ignoriert werden konnten.

      Ohne Reservekapazität

      Von seriösen Wissenschaftlern schon lange befürchtet, war mit dem Aufkommen einer – wodurch auch immer ausgelösten – Pandemie zu rechnen. Dass sie letztlich immer überraschend kommen, also außerhalb einer engeren Planbarkeit liegen, gehört zum Wesensmerkmal von Katastrophen. Die von Covid-19, einem Virus aus der Gruppe der Coronaviren, verursachte Pandemie hat zu Einschnitten und Eingriffen in unser aller Leben geführt, deren Tiefe man noch wenige Wochen zuvor für unmöglich gehalten hätte. Ein großer Teil der von der Regierung veranlassten Maßnahmen war nur deshalb notwendig, weil unser aktuelles Gesundheitssystem aus sich heraus keine Lösungen mehr anbieten konnte. Weil komplett durchökonomisiert, hatte es so gut wie keine freien Reserven mehr, war so »auf Kante genäht«, dass die für den Krisenfall erforderliche Flexibilität und Ressourcenkraft fehlten.

      Die Pandemie brachte also nur die auf Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zurückzuführenden Schattenseiten ans Licht. In der Arzneimittelversorgung ächzte und rumpelte es bereits vor Ausbruch der Seuche, was unter Belastung schnell schlimmer wurde. Dass außerdem unnötige Mehrfachkontakte zwischen Apothekenmitarbeitern und Kunden zu vermeiden waren, wie sie zuvor bürokratiebedingt völlig üblich waren, sei als zusätzlicher Grund nur am Rande erwähnt.

      Was in der Krise alles möglich war

      Das perfekte Symbol zur Darstellung der Situation ist die heilige Corona, die im katholischen Glauben Schutzpatronin des Geldes und der Schatzsucher ist, in manchen Regionen aber auch bei Seuchenausbruch um Beistand angerufen wird. Ihre Patronate decken also das Ökonomische, aber auch das Krisenhafte unserer Zeit ab. Das Coronavirus wirkte wie ein Katalysator in der schonungslosen Offenlegung aller bestehenden Defizite – entstanden in Zeiten des Geldes, des ungezügelten Gewinnstrebens und der übermächtigen Bürokratie. Die jahrelang so konsequent wie ignorant übergangenen Konzepte einiger Kritiker wurden schlagartig zu Notwendigkeiten, die nun auch von der Politik nicht mehr gänzlich übergangen werden konnten. Die Krisenbewältigung verlangte konkretes Handeln, Notverordnungen wurden erlassen, Bürokratie abgebaut, um marktwirtschaftliche Auswüchse im Gesundheitswesen möglichst rasch zu korrigieren.

      So war es beispielsweise ab Mitte März 2020 für Apotheken möglich, von der sonst strikt einzuhaltenden Reihenfolge bei Ausgabe von Arzneimitteln abzuweichen, die Orientierung an Rabattverträgen oder vorrangig abzugebenden Importen war nicht mehr so wichtig. Allerdings nur, wenn ein dringender Fall (Akutversorgung) vorlag, ein Sonderkennzeichen und der Vermerk »Covid-19« oder »Corona« mit Datum und Unterschrift von der Apotheke auf dem Rezept angebracht wurde – ein bisschen Bürokratie musste doch noch sein. Plötzlich erinnerten sich manche Krankenkassen auch wieder an die fundierte Ausbildung der Apothekenmitarbeiter und erlaubten bei nicht vorrätigen Präparaten den Ersatz durch Arzneimittel einer anderen Wirkstoffstärke, einer anderen Packungsgröße oder einer anderen Darreichungsform. Und tatsächlich gelang es, Lieferengpässe zu überbrücken und unnötige Kundenkontakte zu reduzieren.

      Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

      Es besteht die Gefahr, dass alle jetzt getroffenen Maßnahmen mit dem Ende der Pandemie aufgehoben werden und weitergemacht wird wie zuvor. Die Notverordnungen verschwinden mit der Seuche. Zurück bleiben das alte System und dessen schleichender Zerfall, der ungehindert weitergeht. Die Öffentlichkeit wird sich erleichtert anderen Themen zuwenden und die Demontage unserer Arzneimittelversorgung geht weiter. Deshalb ist es notwendig, eine in Umsetzung und Wirkung nachhaltige Gegenstrategie zu entwickeln, denn: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.

      Dieses Buch ist das Aufheulen einer Alarmsirene: Unser System der Arzneimittelversorgung steht vor dem Kollaps. Künftig wird nicht mehr jeder Kranke jederzeit die besten Arzneimittel bekommen, Kranksein also riskanter werden. Qualität wie auch Umfang der Versorgung werden weiter rückläufig sein, Medikamente häufiger fehlen. Covid-19 war und ist der ultimative Stresstest, der uns zwingt, uns zu entscheiden, welches Patronat der heiligen Corona wir einfordern: das des Geldes oder das der Seuchenbekämpfung.

      Wissen und Verstehen sind die Mittel der Wahl, will man dem beunruhigenden Szenario einer dauerhaft schlechten Versorgung mit Arzneimitteln offensiv begegnen. Deswegen werde ich im Folgenden Ursachen und Art der Bedrohung unserer Arzneimittelversorgung zusammenstellen und sie benennen. Und das heißt im Wesentlichen, die Rolle der Finanzinvestoren und der überregional agierenden industriellen Strukturen und ihren immer machtvolleren Einfluss auf die Politik zu beleuchten. Die Globalisierung macht auch vor pharmazeutischen Produkten nicht halt und ist eine wesentliche Triebfeder der zu beobachtenden Entsolidarisierung.

      Arzneimittel in Zukunft nur noch für Reiche?

      Seit Jahren wird in Deutschland Gesundheitspolitik nicht mehr im Interesse der Patienten, sondern als eine Art Wirtschaftspolitik betrieben. Daran wird auch Covid-19 nichts ändern, wenn wir nicht besagte neue Strategie erarbeiten, zu der dieses Buch einen Beitrag leisten will. Denn ein Ende der verfehlten »Gesundheitspolitik« ist nicht abzusehen und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die daraus resultierenden Bedrohungen greifen werden: Wie lange kann beispielsweise ein solidarisches Gesundheitssystem unter den gegebenen Bedingungen eine optimale Versorgung mit Arzneimitteln leisten? Wie lange wird es noch dauern, bis auch in unserem Land nur noch finanziell gut bis sehr gut aufgestellte Bevölkerungsteile bestmöglich versorgt werden? Und wird die überwiegende Mehrheit der Menschen künftig nur noch eine minderwertige Versorgung mit Arzneimitteln erhalten? Werden auch wir Situationen erleben wie während der Coronapandemie in den USA, wo schon heute nur noch eine kleine, besonders wohlhabende Schicht in den Genuss der bestmöglichen Versorgung mit Arzneimitteln kommt und sich die neuesten Arzneimittel leisten kann?

      Längst ist es wie gesagt nicht mehr der Patient, der im Mittelpunkt der Ausgestaltung von Gesundheitsversorgung steht. Innerhalb des Systems gibt es viele Player, die unter- und miteinander um ihren Anteil am Gesamtkuchen ringen. Wir steuern unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit auf eine drastische Verschlechterung der Medikamentenversorgung in unserem, für viele Menschen noch immer vorbildlichen, Gesundheitssystem zu. Die Warnsignale sind deutlich vernehmbar. Hinzu kommt, dass die lokalen, dezentralen Einrichtungen geschwächt werden, und schon die nächste Pandemie könnte uns ähnlich hart treffen wie die Coronapandemie die USA heute.

      Von der Apotheke zur Resterampe

      Als Insider war ich jahrzehntelang Teil eines Systems, dessen Hauptinteressen in seinem Selbsterhalt liegen. Nach fast 30 Jahren Selbstständigkeit als Apotheker habe ich verstanden, dass man nicht betrügerisch vorgehen muss, um auf der falschen Seite zu stehen. Es reicht, einfach nur seine Arbeit zu machen. Deshalb mein Appell: Die Gruppe der integren und dem Wohl der Patienten verpflichteten Apotheker muss ihre Stimme erheben. In den vergangenen Jahren bin ich mit meinen strukturellen Änderungsvorschlägen in Gremien und Politik immer wieder gescheitert. Mir geht es nun darum, meine Perspektive, die Sicht eines Praktikers, öffentlich zu machen. Auch deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

      Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Hier wurden wichtige Medikamente und Wirkstoffe entdeckt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg, spätestens aber ab den 1960er-Jahren galt diese Feststellung nur noch als historische Reminiszenz, hat sich der Sache nach in den letzten Jahren ins Gegenteil gewandelt: Mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe werden heute in Indien oder China hergestellt, als entsprechend störungsanfälliger


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