Medikamenten-Monopoly. Dr. Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly - Dr. Franz Stadler


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immer hat Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme, um das uns viele Länder beneiden, und auch die Arzneimittelversorgung funktionierte bis vor wenigen Jahren ohne größere Probleme. Inzwischen aber gelten viele Bereiche des Systems als instabil, häufen sich die Lieferengpässe. Jeden Tag kommt es zu Fällen, in denen Rezepte nicht beliefert werden können.

      Ein globalisierter Markt verstärkt auch die Konkurrenzsituation der Absatzmärkte. Unter anderem deshalb haben die asiatischen Wirkstoffproduzenten inzwischen monopolähnliche Stellungen erreicht und können sich in Zeiten der Verknappung ihre Abnehmer aussuchen. Wir sind erpressbar geworden. Das wiederum verstärkt den Druck auf die pharmazeutischen Unternehmer, die ihrerseits durch intransparente Rabattverträge von Seiten der Krankenkassen geknebelt sind. Schwindende Gewinne können also bei generischen Wirkstoffen, die nicht mehr unter Patentschutz stehen und deshalb von mehreren pharmazeutischen Herstellern im Markt vertrieben werden, zu Lieferengpässen beitragen, auch weil Deutschland – aus Sicht der Wirkstoffhersteller – inzwischen zum Billigland geworden ist. Auf allen Handelsstufen entscheidet der erzielbare Profit, unabhängig vom Bedarf der Patienten.

      Fünfstellige Verkaufspreise

      Bei patentierten, also innovativen Wirkstoffen ist hingegen die Marktmacht der Hersteller besonders ausgeprägt. Der Entwickler des Wirkstoffes hat für die Zeit unter Patentschutz das alleinige Vertriebsrecht und kann deshalb in Deutschland den Preis weitgehend diktieren. Das hat zur Folge, dass die Preisbildung bei patentierten Neueinführungen immer skrupelloser wird und ein fünfstelliger Verkaufspreis keine Seltenheit mehr ist.

      Eine gewisse Berühmtheit hat das Präparat Zolgensma® erlangt, ein Medikament gegen eine tödliche Muskelerkrankung bei Babys, das in den USA für mehr als zwei Millionen US-Dollar pro Spritze verkauft wird. In Europa erhielt das Medikament eine bedingte Zulassung im Mai 2020 durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Das Mittel soll zur Behandlung der betroffenen Patienten sofort zur Verfügung stehen, noch bevor die Bewertung und Preisfindung im jeweiligen Land abgeschlossen sind. Werbewirksam wurden zuvor 100 Packungen vom Hersteller weltweit unter betroffenen Patienten verlost. Ärzte kritisierten diese Lotterie und forderten eine Vergabe nach medizinisch nachvollziehbaren Kriterien. Vor allem auch wurde der Wettbewerb zwischen Patienten kritisiert. Doch der Hersteller, der Novartis-Konzern, ignorierte die Einwände, verteilte das Medikament weiter nach dem Zufallsprinzip.

      An diesem Beispiel lässt sich deutlich der Weg erkennen, den die Hersteller künftig gehen werden: Über die betroffenen Patienten soll Druck auf die Solidarsysteme ausgeübt werden, damit die Zulassung beschleunigt und die angestrebten horrenden Preise durchgedrückt werden können. Wucherpreise gefährden aber die Finanzierbarkeit des Gesamtsystems und damit uns alle. Da helfen auch kleinere, beim sogenannten Pricing immer schon einkalkulierte Preisnachlässe oder erfolgsorientierte Erstattungen für einzelne Krankenkassen nicht weiter. Der Hersteller gibt dabei zwar vertraglich eine gestaffelte, mit der Höhe des Erstattungspreises gekoppelte Erfolgsgarantie, aber ohne ein solidarisches Gesundheitssystem müssten diese Medikamente trotzdem aus der eigenen Tasche bezahlt werden.

      Wer aber kann zwei Millionen US-Dollar für ein Medikament zahlen?

      Höhere Gewinnmargen als im Drogenhandel

      Hohe Preise haben noch eine weitere Nebenwirkung: Sie wecken das Interesse skrupelloser Menschen, die gefälschte Produkte auf den Markt bringen. Medikamente, die dem Original zum Verwechseln ähnlich sehen, aber – und das ist noch der günstigste Fall – komplett wirkstofffrei sind. Leider gab es auch schon Fälle, in denen die gefälschten Medikamente schädliche, manchmal sogar giftige Substanzen enthielten. Und darin liegt die Gefahr beim Handel mit Medikamenten, in dem sich längst ein finsterer Schattenmarkt entwickelt hat: Die Gewinnmargen im Handel mit gefälschten Arzneimitteln sind jedenfalls inzwischen wesentlich lukrativer als im internationalen Drogenhandel! Der grenzüberschreitende Internethandel erleichtert diesen Betrügern ihr Geschäft zusätzlich.

      Das sind alles keine guten Nachrichten. Und sie stellen zudem nur die berühmte Spitze des Eisberges dar. Zum großen Sockel darunter gibt es nicht viel Angenehmeres zu berichten. Unser solidarisches Gesundheitssystem droht von Geschäftemachern übernommen zu werden. Hier braucht es informierte Bürger, da nur sie gegensteuern und sich wehren können.

      Die folgenden Kapitel wollen aufklären und zeigen: Was steckt hinter den unsoliden Geschäftsmodellen? Welche Mechanismen kommen darin zur Wirkung? Welche Spieler sind am Medikamenten-Monopoly beteiligt? Wer profitiert, wer leidet? Wie kam es zu diesen Entwicklungen? Warum werden sie nicht gestoppt? Warum erscheint vieles im Gesundheitswesen so kompliziert und schwer verständlich, und warum hat genau das seine Gründe? Was könnte man tun? Wie sieht die Arzneimittelversorgung der Zukunft aus?

      Als Pharmazeut liegt es mir am Herzen, den Patienten und meinen Kunden so viel Informationen wie möglich zu geben. Darin sehe ich meine Aufgabe. Vielleicht kann ich mit meiner Darstellung der strukturellen Defizite, der einseitigen Beschränkungen und Interessen im System einen Teil dazu beitragen, dass Missstände beseitigt werden – damit wir alle auch in Zukunft mit allen nötigen Arzneimitteln gut versorgt sind.

      Profit war, ist und darf nie wichtiger als unsere Gesundheit sein.

      Die Spieler

      WER SIND DIE TREIBENDEN KRÄFTE IM SPIEL? Wer treibt die Preise nach oben und wer verfolgt hier welche Interessen? Und wer spielt überhaupt welches Spiel? Wer ist Verlierer, wer Gewinner? Bevor wir uns dem Spiel mit und um Arzneimittel im Detail zuwenden, wollen wir unseren Blick auf die Spielerinnen und Spieler des laufenden Medikamenten-Monopolys richten. Diese halten sich gern im Hintergrund, ihr Einsatz und ihre Strategie bleiben nebulös, und doch eint sie alle der feste Wille, aus jedem Zug das für sie Beste herauszuholen. Planung und Vorgehen der Spieler sind komplex und schwer zu durchschauen, ihr Beziehungsgeflecht undurchsichtig. Allein deshalb ist es immer wieder notwendig, sich den jeweiligen Beteiligten zuzuwenden und vielleicht gerade den Spieler aufzuspüren, der dabei ist, im Spiel massiv dazwischenzugrätschen.

      Der Patient (auch: der Beitragszahler)

      Der Patient steht (eigentlich) im Mittelpunkt des Systems. Er ist es, um den sich vermeintlich alles dreht. Sein Anliegen, sein Interesse, sein Bedarf sollten Antrieb und Kern des Systems sein. Tatsächlich aber ist der Patient im besten Fall ahnungsloser Beteiligter, im schlechteren Versuchskaninchen und Goldesel. Er selbst greift eigentlich nie ins Geschehen ein, ja kann im Rahmen der ihm zu Gebote stehenden Mittel nicht wirklich eingreifen. Bei den politischen Wahlen spielt die Gesundheitspolitik meist eine untergeordnete Rolle. Nach Lage der Dinge wird der Patient erst aufwachen, wenn es zu spät ist.

      Die Leistungserbringer

      Zu den Leistungserbringern zählen Ärzte, Zahnärzte, Kliniken, Heilmittelerbringer und natürlich Apotheken. Sie alle stehen im direkten Kontakt zum Patienten und im Zentrum jener Kreise, die etwas verdienen wollen. Die meisten sind bemüht, die Kundenwünsche zu erfüllen und ihre Kunden (Patienten) möglichst wenig zu übervorteilen – schließlich will man sie sich als solche erhalten. Und doch gibt es immer wieder Leistungserbringer, die mit ihrer Art, Geschäfte zu machen, das System, von dem sie ja leben, gefährden.

      Die (fast) rein heilberuflichen Leistungserbringer wie die Ärzte spielen zwar eine herausragende Rolle beim Empfehlen und Verordnen von Arzneimitteln, sind aber nur am Rande Gegenstand dieses Buches, dessen Rahmen ansonsten gesprengt würde. Die mehr kaufmännisch orientierten Leistungserbringer wie die Apotheken sind als Teil der unmittelbaren Arzneimittelversorgung, dem Hauptthema dieses Buches, zu unterscheiden in:

      1. Öffentliche Apotheken: Ganz Deutschland wird von 19 000 Apotheken versorgt, die circa 16 000 Apothekern gehören. Ihre Zahl ist seit Jahren rückläufig. Die Spitzenorganisation stellt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), für wirtschaftliche Belange ist der Deutsche Apothekerverband e. V. (DAV) zuständig. Obwohl natürlich nicht jede Apotheke ist wie andere – die einen (so wie meine) bieten auch die Herstellung


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