Medikamenten-Monopoly. Dr. Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly - Dr. Franz Stadler


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ich habe es mehr als einmal erlebt, dass ein Kunde mich schlicht für unfähig hielt, das verordnete Medikament für ihn zu besorgen. Das Schlimme daran ist, dass jeder Apotheker, jeder Apothekenmitarbeiter sich mitschuldig fühlt an solcher Misere, für die sie tatsächlich nichts können. Die Apotheke stellt das Ende der Lieferkette dar, dort muss ausgebadet werden, was an anderer Stelle falsch läuft. Dabei ist für uns als Apotheker die Sache »nur« ärgerlich – für Patienten kann ein Versorgungsengpass immerhin bedrohliche, ja lebensgefährliche Folgen haben: dann, wenn aus einem Lieferengpass ein Versorgungsengpass wird und gleichwertige Alternativarzneimittel nicht mehr zur Verfügung stehen.

      Wie dramatisch die Lage sein kann, wird nicht immer auf den ersten Blick deutlich. Für eine Apotheke ist es selbstredend nicht gut, wenn an manchen Tagen insgesamt fast 300 verschiedene Arzneimittel vom Großhandel defekt gemeldet und nicht besorgt werden können. Das ist aber Apothekenalltag, den es für die Kunden zu bewältigen gilt. Es gibt sogar offizielle Listen zu den Lieferengpässen. Beispielsweise können Informationen von Behörden wie dem BfArM oder dem Paul-Ehrlich-Institut bezogen werden, bei denen freiwillig gemeldete Lieferengpässe gelistet werden. Diese Listen basieren allerdings bisher auf einer Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen für versorgungsrelevante Arzneimittel. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FKG) am 1. April 2020 wurden die Befugnisse des BfArM/PEI erhöht: Sie können jetzt Daten und Informationen zu existierenden und drohenden Lieferengpässen von pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern abfragen.

      Trotzdem gilt: Solange es keine allgemeine Meldepflicht für Lieferengpässe gibt und zum Beispiel in der BfArM-Liste die verschiedenen Packungsgrößen eines Medikaments nicht berücksichtigt werden, sind die Listen nicht vollständig. Unabhängig davon stellt sich für einen Apotheker die Frage, was es letztlich hilft, eine komplette Liste der aktuellen Lieferengpässe zu bekommen. Die Medikamente fehlen trotzdem und damit die Möglichkeit, die Kunden jederzeit bedarfsgerecht versorgen zu können.

      »Das wahre Ausmaß der Engpässe wird unterschätzt«

      Dabei klingen viele der Zahlen auf den Listen noch nicht einmal sonderlich dramatisch. Entscheidend ist die Zahl der abzugebenden Packungen, die wegen ihrer Nichtlieferbarkeit ausgetauscht werden mussten. Hinter jedem erfolgten Austausch stehen mindestens ein Kundenkontakt und ein Patient, der sein gewohntes Arzneimittel nicht bekommen hat. Dann zeigt sich schon eher das Ausmaß des Problems, das bestätigt auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA): »Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln haben sich im Jahr 2019 auf 18,0 Millionen Packungen fast verdoppelt – nach 9,3 Millionen Medikamenten im Jahr 2018. Im Jahr 2017 waren es sogar nur 4,7 Millionen Arzneimittel gewesen. Die Gesamtzahl der in den Apotheken auf Rezept abgegebenen Medikamente ist derweil in allen drei Jahren bei etwa 650 Millionen konstant geblieben. Das ergibt eine Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) auf Basis von Abrechnungen der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen. Dabei werden nur Rabattarzneimittel berücksichtigt, weil dort das Rezept entsprechend gekennzeichnet ist, sodass das wahre Ausmaß von Lieferengpässen sogar noch unterschätzt wird.«

      In der Tat stellen Lieferengpässe das Problem in der Apotheke dar.

      Laut einer Umfrage der ABDA gaben im Jahr 2019 insgesamt 91 Prozent der selbstständigen Apotheker an, Lieferengpässe seien das größte Ärgernis im Berufsalltag. Zudem sagten 62 Prozent der Befragten, dass sie mehr als zehn Prozent ihrer Arbeitszeit aufwenden würden, um gemeinsam mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach Lösungen für Lieferengpässe zu suchen.

      Engpässe, weil Preise gedrückt werden

      Die Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig. Bereits durch die weltweiten Lieferketten können verschiedene Störungen auftreten: Zentrale Produktionsstätten fallen aus – durch Feuer, Erdbeben, kriegerische Handlungen in Krisengebieten usw. – oder durch eine Pandemie, wie wir gesehen haben.

      Zudem gibt es eine ganze Reihe von Ursachen, die in jedem Einzelfall unterschiedlich gewichtet sein können und die, ganz sicher, je nach Lobbyzugehörigkeit unterschiedlich bewertet werden.

      Engpässe ergeben sich beispielsweise auch durch Qualitätsmängel, die bei der (kostengünstigen) Produktion auftreten. Eine weitere Ursache für Lieferengpässe, die sich in Coronazeiten auch in vielen anderen Branchen bemerkbar machte, ist die Just-in-time-Produktion mit geringer Vorratshaltung. Die mag unter Normalbedingungen effizienter und kostengünstiger sein, bei Unterbrechung der Lieferketten jedoch stagniert die Versorgung. Doch Lieferengpässe in Deutschland gehen auch auf ein eher geldgetriebenes Problem zurück. Das liegt unter anderem an den Rabattverträgen, die über teils exklusive Ausschreibungen den Erstattungspreis drücken, wie auch an äußerst lukrativen Exportgeschäften. Vereinfacht gesagt: Es gibt auch Lieferengpässe, weil Beteiligte sich nur an der einen Sache orientieren, dem Profit.

      Fakt ist, dass unterm Strich immer mehr und auch immer bedrohlicher werdende Lieferengpässe auftreten. Als beispielsweise vor Kurzem das Krebsmedikament Epirubicin wegen eines Lieferengpasses durch Doxorubicin ersetzt werden musste, verschlechterte sich die Prognose bei den betroffenen Patienten, bei einem gleichzeitigen Anstieg von Nebenwirkungen. Wie im Fall von Epirubicin treffen Lieferengpässe meist generische, lange auf dem Markt befindliche Medikamente. Und da geht es – man muss es so offen sagen – nur noch ums Geld, und zwar bis hin zu den letzten Cents. Denn im Gegensatz zur weit verbreiteten öffentlichen Meinung ist Deutschland in den letzten Jahren zum Billigland für generische Arzneimittel geworden. Der Preis wird gedrückt, wo es nur geht.

      Krankenkassen sitzen am längeren Hebel

      Eine der Hauptursachen ist das Erfolgsrezept der gesetzlichen Krankenkassen für Einsparungen: die erwähnten Rabattverträge. Seit 2003 ist es gesetzlich geregelt, dass Krankenkassen mit den Herstellern von Arzneimitteln Rabattverträge abschließen können – und zwar mit dem Ziel, die Qualität der Versorgung zu verbessern, die Wirtschaftlichkeit durch mehr Transparenz und einen intensiveren Wettbewerb zu erhöhen und die Wahlmöglichkeiten der Versicherten zu erweitern. Ohne beschönigende Worte und in der Realität erweisen sich die Rabattverträge allerdings eher als Ausschreibungen (siehe S. 101), bei denen die Krankenkassen am längeren Hebel sitzen und der niedrigste Preis ausschlaggebend ist. Weder wird dadurch die Qualität der Arzneimittel verbessert, noch läuft irgendetwas transparent, bleiben doch alle Verträge geheim.

      Die Hersteller generischer Arzneimittel, deren Wirkstoffe keinem Patentschutz mehr unterliegen, müssen den Kassen hohe Rabatte einräumen, um im Gegenzug mehr oder weniger exklusiver Lieferant zu werden. Krankenkassen können mit einem oder mit mehreren Vertragspartnern Rabattverträge abschließen. Einige von ihnen, wie beispielsweise die AOK, tendieren dazu, exklusive Rabattverträge mit nur einem Vertragspartner zu vereinbaren. Für Patienten bedeuten diese Verträge, dass sie nicht mehr das Medikament von dem Hersteller bekommen, der auf dem Rezept benannt ist, sondern ein vergleichbares Medikament von dem Hersteller, der einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse des Patienten geschlossen hat. Das Medikament muss dabei formal den gleichen Wirkstoff, die gleiche Arzneiform, Dosierung und Packungsgröße aufweisen.

      Aut-idem-Regelung

      ■ Die Aut-idem-Regelung (lateinisch: aut idem = oder das Gleiche) verpflichtet Apotheker, ein wirkstoffgleiches rabattiertes oder preisgünstigeres Arzneimittel abzugeben, falls der verordnende Arzt dies nicht ausdrücklich durch Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens auf dem Rezeptvordruck ausgeschlossen hat. Dabei ist auf die gleiche nominelle Wirkstärke, die gleiche Darreichungsform und in etwa die gleiche Packungsgröße zu achten.

      Gemäß der sogenannten Aut-idem-Regelung sind die Apotheken verpflichtet, das bisherige Medikament durch ein rabattiertes Medikament zu ersetzen. Lehnt der Patient diesen Zwangswechsel ab, kann sein Arzt das bisherige Medikament durch Setzen eines Aut-idem-Kreuzchens weiter verordnen. Zu viele Aut-idem-Kreuzchen können allerdings dem verordnenden Arzt Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regresse durch die betroffenen Krankenkassen bescheren.

      Alternativ kann der Patient auch ein Privatrezept erhalten, muss dann aber den Verkaufspreis des Arzneimittels zunächst komplett übernehmen und kann sich anschließend direkt bei seiner Krankenkasse um Erstattung bemühen. Das ist ein umständlicher und nicht


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