Medikamenten-Monopoly. Dr. Franz Stadler

Medikamenten-Monopoly - Dr. Franz Stadler


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Marktes mit dem niedrigsten Preisangebot als Erstes aus. Auch dann ist Deutschland schnell dabei.

      Daran ändern auch Rechenexempel der Krankenkassen mit Umsatzanteilen des deutschen Marktes am Weltmarkt nichts. Gibt es nicht genügend Packungen, spielt der Umsatz eine untergeordnete Rolle. Zuerst kommt der Gewinn und dann der Umsatz. Das gilt leider auch für das besondere Gut Arzneimittel. Als verbindendes Glied zwischen Lieferengpässen und Rabattverträgen erweist sich also der Profit. Medikamenten-Monopoly eben.

      Warum oft die Verpackung entscheidet und nicht der Inhalt

      Auch Re- und Parallelimporteure haben erkannt, wie sich Preisunterschiede in europäischen Ländern geschickt ausnutzen lassen. Zur Erklärung: Reimporteure und Parallelimporteure produzieren keine Arzneimittel, sondern packen sie nur um. Sie helfen daher nicht direkt bei der Versorgung, sondern verschieben höchstens einen Lieferengpass von einem Land in das nächste und verdienen daran mit.

      Was sind Parallel- und Reimporte?

      ■ Mit dem Begriff Parallel- und Reimporte (im Folgenden kurz Reimporte genannt) werden Arzneimittel bezeichnet, die vom Hersteller für einen ausländischen Markt bestimmt und entsprechend verpackt worden sind, dort aber nicht zum Patienten gelangen, sondern von speziellen Importhändlern aufgekauft und in Deutschland auf den Markt gebracht werden. Da das Originalprodukt in Deutschland bereits eine Zulassung hat, ist für die reimportierten Medikamente ein vereinfachtes oder – wenn europaweit bereits zugelassen – kein Zulassungsverfahren notwendig. Der Importeur muss lediglich die fremdsprachigen Beschriftungen auf der Packung und die Beipackzettel durch deutschsprachige ersetzen, die Durchdrückpackung kann unverändert bleiben. Der wirtschaftliche Anreiz für den Reimport wird durch internationale Preisdifferenzen geschaffen. Dadurch ist es möglich, ein Arzneimittel zu einem niedrigen Preis im Ausland zu erwerben und zum Beispiel in Deutschland zu einem höheren Preis zu verkaufen. Der umgekehrte Weg ist genauso möglich.

      Das Fell des ahnungslosen Patienten

      Inzwischen hat sich das Problem der Lieferengpässe, auch durch Mitwirkung dieser Importeure, auf viele Länder Europas ausgedehnt. Nach einer Umfrage des europäischen Apothekerverbands (PGEU) in 24 Ländern Europas, insbesondere Ost- und Südosteuropas als von Parallelexporten besonders betroffenen Ländern, ergab sich 2019 ein eindeutiges Bild in Sachen Lieferengpässe. Die überwiegende Mehrheit der Befragten gab an, dass sich die Situation im Vergleich zu 2018 verschlechtert habe. Von den Verknappungen waren durchgehend alle Arzneimittelklassen betroffen. Vor allem Medikamente im Bereich Atemwege (87 Prozent), gefolgt von Herz-Kreislauf-Präparaten, die in mehr als 80 Prozent der Länder knapp waren. Insgesamt gesehen waren in jedem Land mindestens 200 Arzneimittel Mangelware, in manchen waren sogar 400 Arzneimittel nicht ausreichend verfügbar. Erscheint das Geschäftsmodell moralisch auch sehr bedenklich, ist es doch legaler Bestandteil des laufenden Medikamenten-Monopolys.

      Inzwischen haben manche Länder bereits Exportverbote für ihre eigenen Arzneimittel erlassen, um so Lieferengpässen vorzubeugen. Auch in Deutschland wurde bereits über ein Exportverbot nachgedacht, was wiederum in Ländern wie der Schweiz, die ihrerseits viele Medikamente aus Deutschland importiert, bereits Befürchtungen auslöste. Angesichts solcher Meldungen ist unschwer zu erkennen, dass das Wirken der Re- und Parallelimporteure unter dem Strich nicht wirklich problemlösend ist. Allerdings beteiligen sich auch die Vollsortimenter-Großhandlungen sowie Apotheken, die über eine Großhandelserlaubnis verfügen, an diesen Verschiebegeschäften. Gerade bei Originalpräparaten werden erhebliche Teile der von den Originalherstellern für Deutschland zur Verfügung gestellten Ware in andere europäische Länder exportiert – wenn die Gewinnmarge stimmt.

      Der Handel richtet sich eben immer nach Angebot und Nachfrage, auch bei Arzneimitteln. Auch hier tobt wieder der Streit um das Fell des ahnungslosen Patienten – dessen Ahnungslosigkeit im Übrigen auch zum Problem wird.

      Gerüchte und gezielte Falschinformationen

      Lange vor Corona war das erstaunliche Phänomen zu beobachten: Eine gelungene Werbekampagne zur rechten Zeit – ein schönes Beispiel bleibt das »Abnehmen im Frühjahr« – und schon waren Produkte nicht mehr zu bekommen. Ging es in der Vergangenheit um harmlose, freiverkäufliche Produkte wie Kohlkapseln oder Ähnliches, hat sich inzwischen das »Hamstern« auch auf ernsthaft benötigte und zum Teil verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgedehnt. Und erneut spielen die sozialen Medien eine besonders in Zeiten der Verunsicherung unrühmliche Rolle.

      Postet jemand auf Twitter, dass man Coronaviren durch Gurgeln mit Wasserstoffperoxid abtöten kann, ist diese Chemikalie zwei Tage später nicht mehr zu bekommen. Das ist problematisch, weil Wasserstoffperoxid zur Herstellung von Desinfektionsmitteln gebraucht wird und sich tatsächlich nur bedingt zum Gurgeln eignet. Anderes Beispiel: Liefert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein nur halb gares Dementi zu einem Bericht über die angeblichen Vorteile von Paracetamol gegenüber Ibuprofen, sind wenige Tage später keine Paracetamol-Säfte mehr für fiebernde Kinder zu bekommen. Diese Fehlmeldungen und Gerüchte, diese sich rasant verbreitenden Falschmeldungen erweisen sich inzwischen als handfestes Problem.

      Fake News sind oft gut gemacht und werden nicht selten mit voller Absicht (zur Umsatzsteigerung oder für politische Zwecke) eingesetzt. In jedem Fall finden sie über die sozialen Medien ungleich schneller und gezielter Verbreitung, um an empfängliche Personen zu gelangen, als es mit den früheren Marketingmaßnahmen möglich war.

      Je mehr Fake News zur vermeintlichen Wirkung von Arzneimitteln kursieren, desto mehr Lieferengpässe können entstehen. Zuerst hamstern Patienten, dann manche Apotheken, um einerseits die Kunden zu versorgen, andererseits aber auch ein Zusatzgeschäft zu machen. Statt eindeutig von bestimmten Mitteln abzuraten, was auch nicht in jedem Fall hilft, schwimmen manche Kollegen bei jeder Welle mit. Die Situation verschärft sich so für all diejenigen, die sich nicht an der Hamsterei beteiligen. Von Solidarität keine Spur mehr.

      Fehlplanungen in einem fragilen System

      Das Problem bei arbeitsteiligen Prozessen, die immer einen zeitlichen Vorlauf brauchen, ist, dass sie ein gewisses Maß an Planbarkeit voraussetzen. Das gilt insbesondere für die Arzneimittelproduktion. Je weniger Produzenten es gibt, je stärker die Arbeitsteilung fortgeschritten ist und je weiter voneinander entfernt die einzelnen Komponenten produziert werden, desto länger ist die Reaktionszeit auf plötzliche und unkalkulierbare Marktveränderungen. Da Lagerkapazitäten und Vorratshaltung nicht immer ausreichend gegeben sind, erhielten während der Coronapandemie das BfArM, das PEI und das Gesundheitsministerium erweiterte Befugnisse bei der Ermittlung von Versorgungsengpässen. Sie können sogar eine Kontingentierung sowie eine Erhöhung der Vorratshaltung anordnen, was aber das grundlegende Problem nicht immer lösen hilft. Fällt eine Komponente der Lieferkette aus welchen Gründen auch immer aus, wird das Angebot zu klein und ein Lieferengpass entsteht. Es kann aber auch zu einem plötzlichen Anstieg der Nachfrage kommen, wodurch das Angebot ebenfalls zu klein wird und ein Lieferengpass entsteht. Doch je weniger Produzenten auf dem Markt, desto fragiler das System. Dann können selbst Planungsfehler zu unbeabsichtigten Lieferengpässen führen.

      Vor einiger Zeit beispielsweise ist das Patent für Azazitidin ausgelaufen. Celgene, der frühere Patentinhaber, rechnete damit, dass mehrere Nachahmer in den Markt einsteigen würden, vor allem aber, dass Umsatz verloren gehen könnte. Also wurde aus wirtschaftlichen Überlegungen die Produktion zurückgefahren. Tatsächlich gab es aber nur einen Mitbewerber, der zudem nur wenig Ware produziert hatte. Die Folge war ein Lieferengpass, der nicht so schnell wieder behoben werden kann.

      Oder ein weiterer Fall aus Kanada, das mit fast 2000 Lieferengpässen, Stand 2019, ohnehin schwer getroffen ist: Bei einem wichtigen Wirkstoff zur Brustkrebsbehandlung (Tamoxifen) beschloss der Hersteller Apotex, seinen Herstellungs- und Formulierungsprozess in einem Werk in Ontario zu ändern. Durch Konsolidierungen und Zusammenschlüsse von Unternehmen auf dem kanadischen Pharmamarkt und einem tatsächlichen Wegbrechen von Wettbewerb hatte sich die Situation ergeben, dass dieses eine Werk etwa zwei Drittel des Marktes in Kanada belieferte. Weil aber im Werk »optimiert« wurde, entstand ein lang andauernder Lieferengpass, der von den verbliebenen Konkurrenten mangels Masse nicht kompensiert werden konnte.

      Wie gesagt: Wir sprechen von einem Brustkrebsmedikament.

      Besonders


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