Liebe um Liebe. Dragica Rajčić Holzner

Liebe um Liebe - Dragica Rajčić Holzner


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kuma war fast schöner als Juliana und sie hatte Spitzschuhe und ein stadtkariertes Kostüm und eine kleine Lacktasche, welche sie neben ihre behaarten Beine in den Nylonstrumpfhosen stellte. Ihr Mann und der Vater rochen wie die Kölnischwasser-Flasche. Der kleine Bruder sagte kein Wort und schaute schlimm um sich.

      Ich zog mein Kleid allein an, die Mutter hatte mich vergessen, meine Wunde am Kopf tat weh, den Kranz musste dann doch Mutter befestigen und sie schnappte nach meiner Hand, damit ich ruhig blieb und die Wunde nicht aufkratzte. Nachdem die Paten Suppe und gefüllte Paprika gegessen hatten, ich und der kleine Bruder mit Käse verköstigt waren, wurden wir noch aufpoliert im Gesicht, mit Nivea-Creme. Vater nahm mich an der Hand und Mutter den kleinen Bruder, die kuma und ihr Mann gingen neben uns, wegen der Unebenheiten der Makadam-Straße und wegen der Frauenschuhe bewegten sich alle nur langsam.

      Die Straße, die ich schon auswendig kannte, jede Erhebung und jeden Rand, verwandelte sich heute in eine Straße zum Heiligsein. In meinem Kleid war ein anderes Mädchen an Vaters Hand.

      Ich stellte mir vor, dass die Familie um mich herum so etwas wie die Familie Jesu wäre, aber die Herrlichkeit lag bei mir. Die Erwachsenen sprachen über ihre Dorf-Jugend und lachten einander vielversprechend an, Vater die Patentante, Mutter deren Mann. Der Bruder hielt sich an der Hand der Mutter fest, damit er nicht verloren ginge, und ich hing an Vaters großer Hand.

      Ich wiederholte das seit einem Monat gelernte Gedicht, das immer an derselben Stelle ins Stocken geriet, ich bewegte die Lippen … und tvoje … da fehlte mir immer das Wort, welches sich dann in äußerster Verzweiflung durch die Zähne anbahnte, aber wo hatte es sich jedes Mal versteckt, wo kam es jedes Mal wieder hervor, nach der langen Pause. Ich wusste nicht, ob Eva und Adam auch unterwegs waren in Galiläa oder ob sie aus Ägypten vertrieben waren und auf dem Berg Sinai oder in der Wüste ein Haus hatten. Don Joso ließ vieles im Dunklen, in der heiligen Messe redete er immer über grijeh, die Sünde, und die Verlockungen des Teufels. Moses, Maria, Juraj, alle diese Katechismus-Namen, welche sich jetzt endlich mit mir bewegten, waren auch schon ermüdet vom ganzen Tag. Ich sah Don Joso und seinen Kopf mit den drei quergelegten Haarsträhnen, welche die Glatze schützen sollten, er würde heute auch dabei sein. Aber zum ersten Mal käme der Bischof und er stünde dem Gott unendlich viel näher, schon wegen dem Stab in seiner Hand, den ich in der Kirche gesehen hatte. Ich stellte ihn mir vor in der Gestalt des Hirten Gottes, weil das eine schöne Bezeichnung war, ein schönes Bild an der Kirchenwand, wo der heilige Juraj mit Schlangen kämpfte. Der Bischof hatte auch so auszusehen. Ich dachte an Juliana, die vor der Kirche warten und mich in ihrer Gottesergebenheit jetzt endlich fast von gleich zu gleich am Kopf streicheln würde, dann fiel mir ein, ich hatte ja den Kranz darauf, an den Schultern sollte sie mich anfassen.

      Die kuma wischte ihre lackierten Schuhe mit einem Taschentuch ab, welches sie mit Spucke nass gemacht hatte, denn inzwischen hatten wir die asphaltierte Straße erreicht. So viele Kinder mit ihren Eltern und kumovi kamen ebenfalls jetzt mit uns, die kleinen Köpfe über weißen Kleidern sahen ganz fremd aus. Es waren die Erwachsenen, welche sich wie eine Schutzmauer zwischen uns Kinder stellten. Ganz Glück war vor der Kirche. Ich sah Julianas Kleid, wünschte mir, dass sie nicht zu uns käme, es könnte das Geheimnis von meinem Gesicht abzulesen sein, dass ich nämlich schon der Kirche und Juliana gehörte und nicht dieser Familie. Langsam gingen alle in die Kirche. Ich konnte endlich die Familie in der hintersten Reihe lassen und den kleinen Bruder auch, nur die kuma durfte weiter, zu ihrem Platz in der ersten Reihe neben den anderen kumovi. Die Mädchen hatten nebeneinander zu sitzen, die Knaben saßen auf der anderen Seite. Ich hörte aus der Ferne die gedämpften Stimmen der Erwachsenen. Die Gedichtzeilen sprangen in meinem Kopf herum und wechselten die Plätze, meine Hände waren feucht, ich bekam keine Luft. Die Kirche roch nach Lilien, Rasierwasser, Schuhcreme, Weihwasser, Haarspray, Deodorants. Ich traute mich kaum, meine Augen zu bewegen, weil mich das schon zum Umkippen bringen könnte, so kurz vor dem Ereignis. Meine Blase war geschwollen unter dem dünnen weißen Kleid. Es galt jetzt, alles zu geben, wie Jesus auf dem Kreuz, und ich konnte mich nicht unter Julianas langem Nonnenkleid verstecken. Endlich trat Don Joso an den Altar, er bekreuzigte sich und begrüßte die Gemeinde, die sich plötzlich beruhigte, kaum jemand sprach ein Wort, außer einem Kind, welches zu der Mutter etwas sagte, was in dieser Stille einem Verbrechen glich. Don Joso sprach vom unvergesslichen Tag für die Erstkommunikanten, er gab uns allen den Segen. Die übliche Messe mit Weihrauch zog wie eine Schnecke an meinen gesenkten Augen vorbei, der Weihrauch, der vor dem Evangelium ausgepustet wurde, stank. Es war ausgemacht, dass Juliana mir ein Zeichen geben würde, wenn ich zum Altar treten sollte, das Gedicht für Jesus aufzusagen, aufzusagen, was völlig aus mir entschwunden war, kein einziges Wort war mehr zu finden.

      Plötzlich fühlte ich Julianas Hand an meinen Schultern und ihre Lippen waren an meinem Ohr. »Jetzt bist du dran, viel Glück«, sagte sie. Sie ließ ihre Hand auf meinen Schultern liegen, an dieser Stelle konnte mir nichts mehr passieren, aber alles andere an mir fühlte sich an wie ein Zuckersack, ohne Kraft. Juliana drückte mich und schubste mich zum Altar.

      Ich stand vor den Augen der ganzen Welt, die Wörter verließen die Kehle laut, ohne sich um mich zu kümmern, sie riefen Jesus, sie trugen, sie zogen mich mit sich, ich konnte nichts sehen, obwohl ich alle Köpfe sah, nicht die Eltern, nicht Juliana, nicht die kuma. Ich sah fest in die Augen einer alten Frau, welche wie Großmutter aussah.

      Die Zunge fand das Wort, das immer verschwunden war, an seinem Platz, und nachdem es über die Lippen gekommen war, kamen andere Wörter nach, zogen meine Stimme zu Jesu Ohren und zur Decke. Jesus sog mich in sich.

      Schwindel am Morgen 1975

      Lange habe ich den Schwindel am Morgen mit dem verdorbenen Magen erklärt, das komische Gefühl in der Magengrube, aber dann ein erstes Erbrechen in der Solinska ulica, kurz vor dem Gymnasium. Scham, was jetzt? Gleichzeitig schaute mich die Sorglosigkeit der Schülerkollegen an. »Bist du krank?«, hörte ich Tea fragen. »Nein, nein, mir ist nur schlecht«, sagte ich leise und wischte den Mund mit dem Ärmel meines schwarzen Schulkleids ab, »Magen verdorben.« Nach der Schule legte ich mich ins Bett und weinte den ganzen Nachmittag.

      Im Haus gab es noch immer den sogenannten tatsächlichen Ablauf der Tage, das ganz normale Vergehen der Sekunden, Minuten, jetzt aber in unnatürlichem Rhythmus. Den Großmutter-Morgen-Kaffee, den Teller mit der Ochsenschwanz-Suppe zu Mittag. Die Ernte der Abenddämmerung lag auf dem Balkon, geschnittene Salatköpfe, noch verschmutzt, wanderten in Körbe, dann mit dem Zug nach Zagreb. Der Geruch nach frischem Wand-Verputz, die Großmutter auf dem Stuhl vor den Türen, das Baby haltend, die unbeweglichen Gesichter der Familienleben-Protagonisten wie in einem Stummfilm, welche wie immer nur mit dem Kochen, Arbeiten, Schlafen, dem Gartenbewirtschaften beschäftigt waren. Meine Ohren sollten taub werden, um nichts zu hören, das Klappern des Geschirrs, die Stimmen des Fernsehers, Hundegebell. Ich hasste vor allem den Ablauf der Zeit, den Tag und die Nacht, ihre Ausdehnung in eine Zukunft, die für mich über die Grenze des Vorstellbaren hinaus reichte ins Leere, in die Dunkelheit. Gäbe es eine Möglichkeit, sich aufzulösen, zu demineralisieren, einfach von diesem Bett in die Luft, nie da, nie da? Diese Normalität schläferte ein, war unerhört, weil sie sich nicht mit einem Schlag zur Veränderung entschließen konnte. Damals, als die andere Großmutter starb, hörte ich Mutter sagen, das Leben gehe weiter. Nein, das Leben stand weiter. Die Stühle sollten Plätze tauschen, bis sich das Kind auflöste, alles sollte mal zur Ruhe kommen wie im festgehaltenen Timeout in einem schlecht angefangenen Spiel, dessen Fortsetzung überdacht werden musste. Ich lag in meinem Bett und wollte mich vor den Verlauf der Zeit stellen, um ihn aufzuhalten. Ich betete ganz fest, soll der Gott einen Beweis erbringen, ein einziges Mal, gerade jetzt, und die Zeit stillstehen lassen, ein Erdbeben auslösen, Gott soll sich zeigen oder schweigen. Betend will ich dieser Stimme folgen. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir, ich will sterben, damit ich (ewig) lebe und dich schaue von Angesicht zu Angesicht. Heiliger Augustinus, hilf mir.

      Die Schuldigkeit wuchs in mir, im Körper, die Brüste hatten das Wachstum innerhalb von zwei Monaten aufgeholt, das Geheimnis wurde sichtbar, kein Stein würde auf dem anderen bleiben. Es wunderte mich an der Busstation, dass die Busse vom selben Ort wie immer abfuhren. Der Diesel-Geruch aus dem Auspuff, der schlechte Geruch aus allen


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