Acevado - Wann bleibst du?. Jule Heer

Acevado - Wann bleibst du? - Jule Heer


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anzusprechen, er schwieg nur beharrlich. Er wollte sich dieses Angebot anhören und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden. Immer noch hörte er unnatürlich laut sein Herz gegen die Rippen pochen und hoffte, dass es niemand sonst bemerkte.

      Darren wartete kurz, bis er wohl dachte, dass er keine Antwort mehr erhalten würde, was er mit einem verärgerten Zungenschnalzen quittierte. „Nun gut, dann werde ich dir jetzt einfach sagen, was ich von dir will, bevor du dir vor Angst in die Hose machst.“ Wieder trat ein paar Sekunden lang Schweigen ein, dann seufzte der Mann demonstrativ und begann zu erklären. „Du musst dir keine Sorgen machen, Kleiner! Du bist nicht in meiner Firma, weil dir in irgendeiner Form wehgetan werden soll. Wir wollen dir absolut nichts Böses. Wir brauchen dich nur für ... nun, sagen wir mal, für ein paar geschäftliche Dinge. Was hältst du davon, willst du uns helfen?“

      Er sollte arbeiten? Er war doch noch ein Kind. Und er wollte schon gar nicht mit diesem Kerl zusammenarbeiten. Sein Mund wurde trocken und es dauerte eine Weile, bis er genug Spucke zusammenhatte, um etwas zu sagen. „Ge...geschäftliches? Das ... das wäre Kinderarbeit!“, stotterte er und hatte die leise Hoffnung, mit diesem Argument den Klauen dieser Leute zu entkommen.

      Doch Darrens Lippen verzogen sich erneut und er stieß ein heißeres Lachen aus, in welches einige der Anwesenden mit einstimmten. Dann wurde er schlagartig ernst, legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und sagte eindringlich: „Hör zu, das hier ist keine normale Arbeit. Ganz im Gegenteil. Es ist aufregend, besser als jeder Vergnügungspark!“

      „Was ... was soll ich denn machen?“, fragte er heiser und Darrens Gesicht nahm einen zufriedenen Ausdruck an, als hätte er bereits eine Zustimmung erhalten.

      „Nun ... das ist ein Geheimnis. Wenn ich es dir erzähle, darfst du es niemandem verraten, verstehst du?“ Der Junge nickte leicht und Darren sprach weiter: „Du darfst in die Zukunft reisen! Ja, richtig gehört, du hast die einmalige Chance herauszufinden, wie die Menschen sich in ein paar Jahrzehnten fortbewegen, was gerade Trend sein wird, ob die Schulen in der Zwischenzeit abgeschafft worden sind ... alles! Sag, ist das nicht ein großzügiges Angebot von mir?“

      Er sah zu Darren auf und wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Einen solchen Quatsch hatte er noch nie gehört und die Überzeugung, mit der der Chef darüber sprach, als sei es das Normalste der Welt, verlieh ihm etwas Irres.

      Wild den Kopf schüttelnd, wich er einige Schritte zurück. „Nein! Nein, ich glaube Ihnen nicht! Und selbst wenn es wahr wäre, hätte ich keinerlei Interesse an Ihren Zeitreisen! Ich bin zufrieden mit der Gegenwart, so wie sie ist. Und jetzt lassen Sie mich gehen!“, rief er zornig und stolperte rückwärts, bis er gegen die Wand stieß.

      Mit einem Lächeln, das wohl beruhigend wirken sollte, ihn aber nur noch hysterischer machte, kam Darren auf ihn zu. „Ich würde dich gehen lassen, wenn ich bereits ausgesprochen hätte“, sagte er mit quälend ruhiger Stimme. „Aber ich habe dir noch nicht gesagt, was geschieht, wenn du dich unserer Firma nicht anschließt.“

      Der Junge erstarrte. Jetzt kam es, jetzt folgten die Drohungen. „Sagen Sie es! Was wäre die Konsequenz?“, fragte er tonlos.

      Darrens Lächeln wurde breiter und er schüttelte sachte den Kopf. „Nun, nichts muss passieren, wenn du einfach hier und jetzt deine Mithilfe zusicherst. Ich will nicht, dass du einen schlechten Eindruck von uns bekommst wegen irgendwelcher Drohungen, die wir nur in die Tat umsetzen, wenn das Jungchen weiterhin zurück nach Hause will.“

      Doch der Gefangene sagte noch einmal unbeeindruckt: „Sagen Sie es mir!“

      „Na schön, du hast es so gewollt“, erwiderte Darren bedrohlich und baute sich dicht vor ihm auf. Er schien mit seinen stahlharten Augen die des Jungen zu durchbohren. „Ich lasse das Mädchen töten, das du liebst“, erklärte er mit klirrend kalter, emotionsloser Stimme. „Also überlege dir gründlich, wie deine Entscheidung ausfällt.“

      Das hatte ihm bereits einer der Männer, die ihn hierher verschleppt hatten, eindringlich draußen vor der Tür klargemacht. Doch was sollte er mit dieser Aussage anfangen? Er war lediglich ein Kind, er hatte keine Freundin und war noch niemals verliebt gewesen. Seine Mutter, die Alkoholikerin war, würde sich bald zu Tode saufen und liebevolle Gefühle hatte er für sie schon seit einer sehr langen Zeit nicht mehr empfunden, so schrecklich es auch klang. Und seinen Vater verachtete er dafür, dass dieser nichts dagegen unternahm. Nur still zusah, wie seine Frau leichtsinnig ihr Leben wegwarf, ohne dabei an ihre Familie zu denken.

      Er senkte den Blick und flüsterte kaum hörbar: „Da gibt es kein Mädchen.“ Plötzlich fiel ihm auf, dass ihm damit die Drohungen dieser Leute nichts anhaben konnten, und er funkelte sie alle der Reihe nach böse an. „Seht ihr? Ihr könnt mir gar nicht drohen. Denn es gibt niemanden, den ich liebe, und somit auch nichts, womit ihr mich verletzen könntet. Und nun lasst mich ein für alle Mal in Ruhe!“

      Nun verfinsterte sich Darrens Gesichtsausdruck merklich, es schien ihm langsam zu reichen, denn er packte den Jungen am Kragen und zerrte ihn zu sich heran. Durch zusammengepresste Zähne zischte er ihm ins Ohr: „Du sollst gefälligst aufhören, so begriffsstutzig zu sein, sonst schneide ich dir die Zunge ab, um dein Gejammer nicht mehr hören zu müssen.“ Darren schien es, wie man an seiner entschlossenen Miene erkennen konnte, sehr, sehr ernst zu meinen.

      Rasch biss sich der Junge auf die Lippen, auch wenn er keinen blassen Schimmer hatte, wieso er angeblich begriffsstutzig war.

      „Ich habe dir doch gerade erklärt, dass ich in der Lage bin, Menschen in die Zukunft zu schicken. Zeitreisende, wenn du so willst. Und dabei liegt es an der betreffenden Person, ob sie hundert oder fünf Jahre später landet. Von einem meiner Getreuen habe ich auf diese Art und Weise erfahren, dass du in ein paar Jahren sehr wohl ein Mädchen so sehr lieben wirst, dass du es ganz sicher bereust, es niemals kennenzulernen.“ Darren ließ ihn los und trat ein paar Schritte zurück, beobachtete aber seine Reaktion. „Nun liegt es an dir zu entscheiden, was aus dieser Beziehung werden soll. Ob die Kleine je ein Leben haben wird, das über ihre bisherigen zehn Lebensjahre hinausgeht. Ob sie je erfahren soll, was es heißt, zu lieben und geliebt zu werden. Ob ihr glücklich zusammen werdet oder ob du stattdessen niemals der Person begegnest, die dich auf die Art und Weise vervollständigt, dass du als Mensch ein lebenswertes Dasein führst. Also, wähle nun dein Leben: Du kannst entweder gehen, nie wieder etwas von uns sehen oder hören und hoffen, die Liebe dennoch zu finden. Allerdings kann ich dir versichern, ein solches Mädchen gibt es für einen Jungen wie dich kein zweites Mal, denn man sollte nicht verschwenderisch umgehen mit der Liebe. Oder du verpflichtest dich hier und jetzt dazu, einer meiner Getreuen zu werden. Für mich und meine Zwecke, die dich im Übrigen nichts anzugehen haben, durch die Zeiten zu wandeln, zu erfüllen, was ich dir an Aufgaben auferlege. Und du entscheidest dich damit für ein Leben, das du an der Seite einer Frau verbringen wirst, für die du mehr empfindest als für sonst irgendwen auf der Welt oder sogar für dich selbst. Vielleicht werdet ihr Kinder bekommen, heiraten, das kann ich dir nicht sagen, doch ihr werdet zusammen sein und das ist nur möglich, wenn du jetzt schwörst zu tun, was ich verlange.“

      Der Junge merkte, wie er unkontrollierbar am ganzen Körper zu zittern begann. Wieso er nicht glaubte, dass dieser Mann ihn belog? Vielleicht, weil er an das Gespräch dachte, das er zuvor belauscht hatte. Der Mann, der ihn selbst wohl mit diesem Mädchen gesehen hatte, hatte so ehrfürchtig von der Begegnung gesprochen, dass die Liebe zwischen den beiden unübersehbar war und somit unmöglich eine Lüge sein konnte. Jetzt schien das alles auch einen Sinn zu ergeben. Die Entführer hatten etwas von „unersetzbar“ gemurmelt.

      Darren gab sich offensichtlich große Mühe, ihn für seine dubiosen Geschäfte zu gewinnen, weil er aus irgendwelchen Gründen wusste, dass er für ihn sehr nützlich sein konnte. Das Mädchen war nun zum Köder geworden, um ihm diese zweifelhaften Aufgaben zu übertragen. Das machte ihn unglaublich zornig, auch wenn er diese Person noch nicht einmal kannte, konnte er nicht einfach zulassen, dass sie umgebracht wurde. Besonders nicht, wenn von ihr sein Glück abhing. Er dachte an die Beschreibung, die er zuvor belauscht hatte. Seine zukünftige Freundin hatte bernsteinfarbene Augen und rußschwarzes Haar so wie er. Er presste eine Hand auf sein Herz, das noch nie aus Liebe oder Zuneigung


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