Acevado - Wann bleibst du?. Jule Heer

Acevado - Wann bleibst du? - Jule Heer


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tuschelten, als ich vorbeikam, andere bemerkten mich gar nicht. Mum hatte alles abgeklärt und es war mir aufgetragen worden, vor Unterrichtsbeginn im Sekretariat zu erscheinen. Also studierte ich die Wegweiser, die in Form von Straßenschildern direkt hinter dem großen Eingangstorbogen angebracht waren. Ich musste nach rechts, und zwar direkt an der Cafeteria vorbei, die mit ihren großen Fenstern und der riesigen Essensausgabe sehr vielversprechend aussah. Dann ging es durch eine schwere Glastür und ich sah mich dem Sekretariat gegenüber. Ich schloss kurz die Augen und öffnete ich die Tür, die bedrohlich quietschte.

      „Hallo?“, fragte ich zaghaft, nachdem ich mich in dem kleinen, mit Bücherregalen übersäten Raum umgesehen hatte.

      „Hier hinten“, rief eine Frauenstimme und ich folgte dem Klang um den hell lackierten Holztresen und eine Ecke herum. Auf dem Boden, von einem Stapel Bücher umgeben, saß eine jung wirkende Frau in einem hellroten Blazer und schien die Unmengen an Lesestoff zu sortieren. Als sie meine Schritte hörte, sah sie auf und lächelte, was an ihr wirkte, als würde die Sonne aufgehen, sodass ich gar nicht anders konnte, als zurückzustrahlen.

      Sie stand auf, klopfte ihre Hände an der Hose ab, als habe sie im Dreck gearbeitet und nicht im Sekretariat auf dem Teppichboden, und hielt mir dann die rechte hin. „Hallo, freut mich, dich kennenzulernen. Du musst Amber sein, die neue Schülerin, richtig? Ich bin Ms Green und mache hier eine Ausbildung. Wenn du Fragen hast, darfst du dich immer gerne an mich wenden!“

      Ich ergriff ihre Hand und schüttelte sie erfreut, weil ich sie wirklich sehr nett fand. „Danke, ja, ich bin Amber, wo muss ich denn jetzt hin?“

      Ms Green sah zu mir hoch, sie war fast zwei Köpfe kleiner als ich, und strahlte. „Ach, wie schön, dass du dich erkundigst. Warte, ich gebe dir einfach deinen Stundenplan ... ach, wo hab ich ihn denn?“ Sie wuselte geschäftig durch das enge Büro und kramte in sämtlichen Unterlagen herum, schließlich riss sie triumphierend einen Zettel hoch und schwenkte ihn über dem Kopf wie eine Trophäe. „Hab ihn!“, rief sie freudig und überreichte mir das Blatt.

      Ich studierte es kurz und sah auf. „Also, dann muss ich jetzt in den dritten Chemieraum, können Sie mir sagen, wie ich da hinkomme?“ Ms Green zog kurz ihre ordentlich gezupften Augenbrauen zusammen und machte dabei einen äußerst nachdenklichen Eindruck. „Ach, weißt du, ich bringe dich einfach schnell hin, bei Wegbeschreibungen bin ich ganz schlecht.“

      Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, nickte aber dankbar. Also zog ich mit der jungen Frau los, verließ die beruhigende Sicherheit des Sekretariats und begab mich in die Höhle des Löwen, sinnbildlich zumindest. Meine neuen Mitschüler zumindest warfen uns die unterschiedlichsten Blicke zu. Von belustigt bis hin zu herablassend. Wir mussten aber auch zu komisch aussehen: die missratene, dürre Schülerin, die in der Schuluniform aussah, als hätte sie einen Sack an, in unsicherer, unter den Blicken leicht gebückter Haltung. Und die kleine, etwas pummelige, fröhlich strahlende Sekretärin, die mit, für ihre Größe, beachtlichen Schritten vorausstapfte. Ich wand mich vor Verlegenheit.

      Wir bogen um zahlreiche Ecken und ich musste einsehen, dass auch ich diesen Weg, selbst wenn ich ihn unzählige Male gegangen wäre, nicht mit Worten hätte beschreiben können. Insgeheim beschloss ich, mir einen Plan der Highschool zu besorgen, und musste fast kichern bei dem Gedanken, wie es aussehen würde, wenn ich mit einer aufgeschlagenen Karte in der Hand durch die Schulflure laufen würde. Wie eine Touristin auf Expedition vermutlich. Oder wie eine ausgesetzte, orientierungslose Schülerin, die nicht mit den vielen Ecken klarkam. Leider muss ich sagen, dass Letzteres der Wahrheit deutlich näher kam.

      Wir bogen noch einmal nach links ab, dann blieb Ms Green endlich stehen. Eigentlich verwunderlich, dass die Schule von außen doch recht klein aussah, mir aber von innen riesig und schrecklich verworren erschien. Ich schnaufte von der Hetzerei, doch Ms Green, die eigentlich viel kürzere Beine hatte als ich, sah aus, als stecke sie voller Power, mit rosigen Wangen und einem mütterlichen Lächeln.

      „So, da wären wir auch schon. War mir ein Vergnügen, Amber. Wie schon gesagt, wenn du etwas brauchst, komm einfach zu mir.“ Sie zwinkerte mir noch einmal zu, deutete auf den entsprechenden Raum, weil sie sich wohl nicht sicher war, ob ich mich jetzt allein zurechtfinden würde, und verschwand dann wieder um die Ecke.

      Ich stieß seufzend die Luft aus und fragte mich, wie Ms Green zu der Annahme kam, ich würde irgendwann in diesem Leben selbstständig ins Sekretariat zurückfinden.

      Dann wandte ich mich zögernd dem angegebenen Raum zu, niemand stand davor, also waren meine zukünftigen Klassenkameraden wohl schon drin. In dem Moment klingelte es zur ersten Stunde und ich hastete los, drückte gehetzt und ohne anzuklopfen die Klinke hinunter, riss in panischer Angst, Ärger wegen meines Zuspätkommens zu kassieren, die Tür auf und sah mich Auge in Auge mit einem Haufen genervt oder müde dreinblickender Schüler und ... Also, das konnte man nicht Auge in Auge nennen, denn die Lider des Lehrers vorne am Pult waren zugefallen, er schlief.

      Ich stand mit offenem Mund da und sah so verstört und irritiert aus, dass mich das Prusten und Gelächter aus etwa dreißig Mündern begleitete, als ich jetzt langsam den Raum betrat.

      „Äh ...“ Mehr brachte ich nicht raus. Na toll, prima! Ein super Start, um mich beliebt zu machen. „Also, äh, ich bin Amber und neu hier. Ja, also ... äh ... und wie heißt ihr so?“ Als meine kleine Ansprache statt mit einer Antwort mit Getuschel und Gekicher quittiert wurde, warf ich einen prüfenden Seitenblick auf den Lehrer, in der Hoffnung, er sei von dem Lärm wach geworden.

      Aber Fehlanzeige, dieser Mann hatte einen Schlaf wie ein Baby. „Also, schläft er immer im Unterricht?“, fragte ich, um unser bisher sehr einseitiges Gespräch in Gang zu bringen.

      „Nee, Kleine“, sagte ein Junge in der ersten Reihe, der die Füße auf den Tisch gelegt hatte und mich mit einem anzüglichen Grinsen von oben bis unten musterte.

      Ich erschauderte und wand mich, denn es sah aus, als wollte er mich mit Blicken ausziehen, nur um mich dann seinen Mitschülern zum Fraß vorzuwerfen. Aber immerhin hatte jemand etwas gesagt, wenn auch nur zwei Worte.

      „Dem haben wir heute Morgen eine ordentliche Ladung Schlaftabletten in den Tee gemischt. Oder glaubst du, dass hier irgendwer Bock auf Unterricht hat, mal abgesehen von dir, Süße?!“

      Ich ließ meinen Blick über die Klasse schweifen und gab mir im Stillen die Antwort: Nein, niemand sah besonders schulwillig aus, was mich prompt verwunderte. Gab es hier denn keine Nerds oder Workaholics? Doch, vermutlich schon, denn die gab es ja überall, und die aus meiner neuen Klasse waren höchstwahrscheinlich schon auf dem Weg zum Direktor, um sich zu beschweren, dass gewisse Klassenkameraden dafür gesorgt hatten, dass ihr Lehrer die Stunde verpennte.

      Ich wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als mein neuer Freund aus der ersten Reihe mir einen genervten Seitenblick zuwarf und seufzte: „Okay, Leute, sieht so aus, als würde die Kleine sich nicht damit zufriedengeben, dass der Kerl im Koma liegt. Also, bevor sie jetzt noch anfängt zu meckern, stellen wir uns eben alle mal vor.“ Er wandte sich mit einem herablassenden Grinsen an mich. „Also, mein Name ist Floyd, Mylady!“ Er sagte das mit so viel Spott in der Stimme, dass er mir nur noch unsympathischer wurde. Nun drehte er den Kopf wieder zu den anderen. „Und jetzt seid ihr dran, macht schon!“

      Und so verbrachten wir die nächsten zehn Minuten damit, dass alle sich mir vorstellten, was zur Folge hatte, dass die Namen, sobald ich den nächsten gehört hatte, schon wieder vergessen waren. Nur Floyds merkte ich mir, leider. Als wir fertig waren, schlief der Chemielehrer, der mir netterweise auch vorgestellt worden war, und zwar als Mr Johnson, immer noch.

      Die Schulwilligen dieser Klasse waren noch immer im Direktorat und ich stand noch immer unschlüssig vorne an der Tafel. Doch mit einem Mal ging die Tür auf. Völlig ohne Eile trat ein schlankes Mädchen ein, um dessen Kopf eine gewaltige rotbraune Lockenmähne wogte. Die Schülerin warf einen desinteressierten Blick in die Menge, dann huschten ihre Augen kurz zum Lehrerpult und sie schaffte es, mitleidig und schadenfroh gleichzeitig auszusehen. Dann erst entdeckte sie mich und grinste kurz, ganz so als wären wir alte Freundinnen, und ich lächelte überrascht zurück.


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