Acevado - Wann bleibst du?. Jule Heer

Acevado - Wann bleibst du? - Jule Heer


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ohnehin nichts daraus werden, dann konnte es ihr doch genauso gut egal sein, oder? Vielleicht lag es auch nur daran, dass es sie nervte, mit jemandem Zeit zu verbringen, der hingerissen guckte und Schnappatmung bekam, wenn ihr bester Freund auftauchte, das war Ace nämlich für sie. Vermutlich war das der Grund und irgendwie sogar verständlich.

      Ich fuhr also mit dem Bus zurück nach Rain Village und erzählte meinen Eltern einsilbig von meinem ersten Schultag, der sich nicht in London abgespielt hatte. Danach verzog ich mich in mein Zimmer und verbrachte den restlichen Nachmittag mit Grübeln. Nun ja, bis mir siedend heiß einfiel, dass ich bereits am ersten Tag nach den Ferien Hausaufgaben in Deutsch bekommen hatte, und ich die junge Lehrerin Frau Schmidt verfluchte, die mich schon die ganze Stunde über mit lauter fremden Vokabeln auf Trab gehalten hatte. So kam es, dass ich nach einem stressigen Abend viel zu wenig Schlaf bekam und nichts zu Abend aß.

      Das Ergebnis bekam ich am Dienstagmorgen zu sehen und zu spüren. Denn ich fühlte mich nicht nur völlig übernächtigt, sondern hatte auch dicke, gut sichtbare Augenringe, was mich dazu brachte, an diesem Tag nun doch reichlich Schminke aufzutragen. Das würde mir wohl einen Eintrag ins Klassenbuch einbringen, aber damit konnte ich leben. Dieses kleine Verbrechen hatte ich schon oft begangen. Was war das auch bitte schön für eine Regel? Sie sollte Gleichberechtigung unter den Schülerinnen bewirken, aber was war das denn für eine Gerechtigkeit, wenn manche Mädchen von Natur aus eine reine Haut hatten und andere zu Pickeln oder, wie ich, zu Augenringen neigten? Das war einfach Schwachsinn. Ich seufzte und gab es wieder einmal auf. Ace würde mich sowieso keines Blickes würdigen.

      An der Bushaltestelle standen wie gestern nur Goldlocke und der Irokesentyp, den ich der Einfachheit halber Punkie getauft hatte. Die beiden waren wohl Schulverweigerer auf ihre Art, denn Goldlocke war im Vergleich zu mir wirklich heftig geschminkt, sodass man ihre Gesichtszüge unter dem Make-up nur erahnen konnte, und Punkie ... der war eben ein Punker, was sollte man noch groß dazu sagen? Das Haarefärben war schon strengstens verboten, mal ganz abgesehen von unangemessener Bekleidung, zu der seine Kluft von einem Mantel auf jeden Fall gehörte. Ich bekam plötzlich Mitleid mit ihnen und verfluchte wie so oft schon das englische Schulsystem. Ich hätte auch viel lieber Jeans und T-Shirt getragen statt des blau karierten Rocks, der weißen Bluse, der sackartigen Jacke natürlich mit dem Schullogo darauf – und der ätzenden weißen Kniestrümpfe.

      Wenn Goldlocke, Punkie oder auch ich uns so wohler fühlten, konnte man uns das doch kaum verbieten, oder? Ganz ehrlich, in diesem Moment überlegte ich ernsthaft, aus reiner Solidarität zu den Punkern, Gothics oder sogar den Emos überzutreten, verwarf den Gedanken aber schnell wieder, als ich bemerkte, wie Punkie mich kritisch musterte, als würde er gerade überlegen, ob ich wohl in seine Clique passen würde, sich dann aber dagegen entschied.

      Auch mein Mitleid für Goldlocke verflog, als sie mit rausgestreckter Brust und gequält klingender Stimme, als würde es wehtun, mit mir zu reden, sagte: „Und du willst also in die zehnte Klasse gehen, Bügelbrett?“

      Ich hatte den Eindruck, dass sie sich gerade noch zurückhalten konnte zu fragen, ob ich schon früher eingeschult worden war oder einige Klassen übersprungen hatte trotz fehlender Intelligenz. Ich bedachte sie mit einem möglichst vernichtenden Blick, was sie aber nur mit einem nachsichtigen Lächeln quittierte. Ich kochte innerlich. Bügelbrett???

      „Gut, dass ich deinen zurückgebliebenen Anblick nur im Bus ertragen muss, ich bin in deiner Parallelklasse. Weißt du, das ist irgendwie bemitleidenswert, wenn ein Mädchen in der Senior Highschool aussieht, als wäre es drei Jahre jünger als die anderen. So kriegt man nie einen Typ ab, der über dreizehn ist.“

      Ich kochte vor Wut und hätte ihr am liebsten das dämliche Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, doch ich blieb ganz ruhig und sagte mir: „Gewalt ist keine Lösung.“ Dann holte ich zum Gegenangriff aus und erwiderte lässig: „Ach, weißt du, wenn man so viel Schminke wie du benötigt, wird das wohl einen berechtigten Grund haben, oder? Und überhaupt, Goldlocke, auf dein Aussehen, also dreißig Kilo mehr auf der Waage, würde ich nichts geben. Da ist es ja kein Wunder, dass nicht nur der Bauch wächst, eine solche Ladung muss sich irgendwie verteilen und bei der Entwicklung spielt auch der IQ eine Rolle, was meinst du?“ Ich biss mir nervös auf die Unterlippe und bereute sofort, was ich gesagt hatte, als sie mit geballten Fäusten auf mich zuging und ihr vor Wut Tränen in den Augen standen.

      Doch bevor Goldlocke mich verkloppen konnte, trat Punkie beschwichtigend zwischen uns und zischte: „Hey, Stacy ...“ Er unterbrach sich kurz, grinste mich fast schon anerkennend an und fuhr fort: „... oder Goldlocke meinetwegen, lass Amber in Ruhe, okay? Sie mag vielleicht nicht unbedingt ein Schmuckstück sein, aber immerhin ist sie keine solche Schlampe wie du!“

      Stacy bedachte ihn gerade mit einem kühlen Blick, als endlich, endlich der Bus um die Ecke kam und ich erleichtert darauf zuging. Punkies Worte würde ich jetzt einfach mal als Kompliment auffassen. Doch eines war klar: Nachdem ich Goldlocke alias Stacy gerade sinngemäß als übergewichtige Hohlbirne bezeichnet hatte, sollte ich mich in Zukunft vor ihr in Acht nehmen. Die Schüler hier schienen ihre Meinung sehr klar und deutlich zu sagen, wie beleidigend sie auch sein mochte, daran würde ich mich wohl gewöhnen müssen. Nun ja, damit hatte ich ja eben angefangen.

      Ich setzte mich wieder auf einen freien Zweier, denn Chloe fuhr leider mit einem anderen Bus, weil sie aus der entgegengesetzten Richtung kam. Da ich ziemlich weit vorne Platz genommen hatte, kam es dazu, dass ich mich angeregt mit dem Busfahrer, der aus Deutschland kam, erst über unterschiedliche Schulsysteme und ihre Vor- beziehungsweise Nachteile sowie schließlich über die deutsche Grammatik und ihre Schwierigkeiten unterhielt. Zu guter Letzt fragte ich Herrn Hunert, so hatte er sich vorgestellt, noch nach der Richtigkeit meiner Deutschhausaufgaben und war erfreut zu hören, dass sich die Nachtarbeit gelohnt hatte. Doch trotz der lustigen und lehrreichen Unterhaltung spürte ich die ganze Fahrt über Stacys abfällige und zugleich feindselige Blicke in meinem Rücken und das war kein sehr angenehmes Gefühl.

      In der Deutschstunde konnte ich, wie vorhergesehen, mit den Hausaufgaben punkten, was mir einen lobenden Blick von Frau Schmidt und eine abfällige Bemerkung von Floyd einbrachte, die ich hier lieber nicht ausführen will.

      Ich hatte ziemlich schnell erkannt, dass er in meiner neuen Klasse den Ton angab. Und Chloe war so ziemlich die Letzte, mit der man sich abgeben sollte, wenn man eine einigermaßen erträgliche Stellung innerhalb der Klassengemeinschaft haben wollte. Aber ganz ehrlich, in Bezug auf diese Mitschüler war mir das so was von egal, denn ich war mir nicht mal sicher, ob es hier überhaupt eine richtige Gemeinschaft gab.

      Wenn Floyd seine Meinung zu etwas äußerte, dann war ihm die Zustimmung aller anderen sicher, egal, um was es ging. Außer die von Chloe und mir natürlich. Nachdem er bemerkt hatte, dass ich im Begriff war, mich mit ihr anzufreunden, war ich sowieso bei ihm und damit auch beim Rest der Klasse unten durch.

      Dabei war ich mir nicht mal sicher, was für ein Problem die anderen mit Chloe hatten, doch ich vermutete, da Floyd immer wieder lautstark über ihren Bodyguard herzog, dass er und die anderen Jungs eifersüchtig waren, dass sie immer mit Ace herumzog. Und die Mädchen waren es auf eine andere Art und Weise ebenso. Als Floyd mir genussvoll diverse Beleidigungen entgegenschleuderte, trat Chloe neben mich und zog mich weg. Im Vorübergehen warf sie ihm einen absolut herablassenden Blick zu, der mir, obwohl ich nicht dessen Ziel war, das Blut in den Adern gefrieren ließ.

      „Floyd, mein Lieber, bitte lass doch einfach unschuldige Mädchen wie Am in Ruhe und guck mal in den Spiegel. Dann, das verspreche ich dir, wird es auf einmal ganz einfach sein, all deine Schimpfwörterchen auf eine Person abzufeuern, glaub mir!“

      Sie schenkte ihm ein letztes überlegenes Grinsen, dann zerrte sie mich mit sich auf den Flur. Dort angekommen schob sie mich ein Stück von sich weg, musterte mich abschätzig und grinste schließlich zufrieden. „Am, du siehst heute umwerfend aus, Ace wird es nicht so leicht wie sonst haben, dich abzuservieren, da bin ich sicher.“

      Ich beobachtete sie irritiert, in der Hoffnung, dass sie das nicht ernst meinte, aber ihr Gesicht mit den funkelnden grünen Augen zeigte keine Regung und ich seufzte erschüttert. Dann holte ich tief Luft, um sie endlich zu fragen, was mir schon seit gestern Vormittag auf der Zunge


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