Acevado - Wann bleibst du?. Jule Heer

Acevado - Wann bleibst du? - Jule Heer


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ich einfach, dass es wenigstens irgendwen in dieser Klasse gab, dem ich ein bisschen sympathisch erschien.

      Von meiner Seite aus war es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick, das Mädchen mit den Kringellocken und dem schiefen Grinsen zog mich sofort in seinen Bann und ich wünschte mir mit einer solchen Heftigkeit, dass wir Freundinnen werden würden, dass ich selbst überrascht war.

      Floyd jedoch verzog nur spöttisch seine Lippen. „Ach, da ist ja auch das Mädchen, das sich nicht auf den Pausenhof traut ohne ihren Bodyguard an der Seite. Chloe, meine Liebste, willst du dich nicht unserer neuen Mitschülerin Amber vorstellen?“

      Chloe sah mich aufmunternd an und verdrehte die Augen. „Floyd, das würde ich ja tun, aber ich denke, da bist du mir soeben zuvorgekommen. Und was meinen Bodyguard betrifft, wie du ihn nennst, du selbst bräuchtest mehr als nur einen von der Sorte, wenn du dich ihm in den Weg stellst. Aber sag mir Bescheid, wenn es so weit ist, das würde ich wirklich zu gern mit ansehen!“

      Floyd starrte sie böse an und wollte gerade auf sie losgehen, als es zum Stundenschluss läutete.

      „Ohooohhhoooo, immer langsam mit den jungen Pferden“, sagte Chloe in beschwichtigendem Tonfall und mit erhobenen Händen, aber auf ihren zarten Lippen ruhte ein gewinnendes Lächeln, bevor sie herumwirbelte und aus dem Zimmer rauschte.

      „Ach schade“, dachte ich, „ich hätte Mr Johnson wirklich gerne kennengelernt.“ Dann stürmte auch ich aus dem Raum.

      Sobald ich die Tür aufgerissen hatte, sah ich mich erst nach rechts und dann nach links um, nur um Chloe gerade noch um die nächste Ecke verschwinden zu sehen. Ich stolperte fast über meine eigenen Füße, als ich ihr hinterherhastete, und kam mir albern vor. Chloe war in meiner Klasse, spätestens in der nächsten Stunde würde ich sie ohnehin wiedersehen. Aber halt, ohne sie würde ich gar nicht erst den Weg zum nächsten Klassenzimmer finden, also war es quasi überlebenswichtig für mich, sie einzuholen.

      Ich hetzte um die Ecke und keuchte. „Warte!“, rief ich Chloe zu, die weitermarschiert war, ohne mich zu bemerken. Ich hielt mir ächzend die Seite. „Verdammt, komm zurück!“, schrie ich und endlich, endlich drehte sie sich zu mir um.

      Als sie mich bemerkte, wie ich schwer atmend am anderen Ende des Ganges stand, musste sie grinsen, kam aber sofort zurück zu mir. „Hey“, sagte sie und musterte mich eingehend. „Du bist also neu hier. Amber, richtig?“

      „Ja.“ Ich nickte und wagte ein zaghaftes Lächeln.

      „Die Schuluniform steht dir ausgezeichnet“, meinte sie mit einem anerkennenden Nicken und ich hob erstaunt die Augenbrauen. Ausgerechnet mir sollte diese Uniform stehen? Ich war so baff, dass ich keinen Ton rausbrachte.

      Sie plapperte unterdessen weiter mit diesem Dauergrinsen im Gesicht, das wie festgefroren wirkte. Schließlich, während wir gemächlich nebeneinanderher durch die Gänge schlenderten, Richtung Musiksaal, wie Chloe erklärt hatte, richtete sie sich mit einer Frage an mich: „Und was hat dich hierher verschlagen?“

      Ich seufzte und zuckte mit den Achseln. „Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht so genau ...“ Chloe schaute verwundert, wartete aber, weil sie wohl dachte, da würde noch was kommen. Ich tat ihr den Gefallen. „Meine Eltern hatten genug vom Großstadtleben und meinten deshalb, an den Arsch der Welt ziehen zu müssen.“

      In Chloes Augen spiegelten sich Belustigung und ein Hauch Interesse wider. „Großstadt?“, fragte sie und konnte den Neid in ihrer Stimme nicht verbergen.

      Ich nickte und sagte achselzuckend: „Ja, ich hab mein ganzes Leben in London verbracht.“

      „LONDON?!“ Chloe war stehen geblieben und hatte die Augen weit aufgerissen. Es war deutlich zu erkennen, dass sie mich darum beneidete, wo ich aufgewachsen war.

      Jetzt grinste ich. „Ja, aber wie du siehst, jetzt bin ich hier und wünsche mir genau wie du, dort sein zu können. Glaub mir, ich hätte alles gegeben, um in London zu bleiben!“ Doch noch während ich das aussprach, wusste ich, dass es nicht mehr stimmte, denn Chloe war hier und sie war jemand Besonderes, das war mir völlig klar. Ich mochte sie und jetzt, wo ich sie kennengelernt hatte, wollte ich die bevorstehende Freundschaft mit ihr nicht aufgeben.

      Aber das war es nicht allein, gute Freundinnen hatte ich schließlich auch in London gehabt, es lag etwas in der Luft, seit Chloe aufgetaucht war, auch wenn ich absolut sicher war, dass nicht sie der Auslöser dafür war. Etwas, das mir eine Gänsehaut über die Arme kriechen ließ, und dieses Empfinden wurde immer stärker. Sowohl während des Musikunterrichts, den die ältliche Mrs Harrison gab, als auch auf dem anschließenden Weg zum Pausenhof.

      Als ich schließlich die Tür aufgestoßen hatte und wir im Freien standen, war das Gefühl am stärksten. Ich schaute mich unbehaglich um. Plötzlich fingen zwei schwarze Augen von der anderen Seite des Schulhofs her meinen Blick auf und es traf mich wie ein Blitz. Für diesen einen Augenblick stand die Zeit still ...

      *

      3

      Ich keuchte, weil ich sonst Angst hatte zu ersticken, und erwiderte den eindringlichen, intensiven, fast schon Furcht einflößenden Blick.

      Der Junge, der an diesem Tag mein Herz zum ersten, aber nicht zum letzten Mal zum Stillstand brachte, lehnte am gegenüberliegenden Gebäude. Seine Haltung war aufrecht und hatte fast schon etwas Majestätisches an sich. Als er mich erblickt hatte, waren unzählige Emotionen über sein Gesicht gehuscht, aber keine einzige von ihnen konnte ich auch nur ansatzweise deuten. Er war so schön, dass ich seinen Anblick kaum ertrug, sein Haar war noch schwärzer als meines und ließ ihn dunkel und unheimlich wirken. Seine tiefgründigen Augen flackerten noch einmal auf, bevor er sich abwandte und mir den Rücken zukehrte, während er sich sichtlich versteifte.

      Ich blinzelte und mit genau derselben Heftigkeit, mit der die Erde sich zu drehen begann und alles um mich herum in Bewegung geriet, fing auch mein Herz wieder zu schlagen an. Es hämmerte förmlich in meiner Brust, als wolle es mich von innen zerreißen. Zitternd holte ich Luft.

      „Alles okay mit dir, Am? Du siehst blass aus.“ Ich zuckte zusammen, als ich Chloes Stimme vernahm, und wurde endgültig zurück in die Wirklichkeit geholt.

      „Ja, klar, alles in Ordnung, was sollte denn nicht stimmen?“ Doch ich starrte immer noch in die Richtung, wo der Junge stand, der mit einem einzigen Blick alles in mir aufgewühlt hatte. Er beschäftigte sich jetzt mit etwas anderem und tat, als würde er mich nicht bemerken. Aber er hatte mich angesehen, mir mitten ins Herz gesehen, das bildete ich mir nicht ein, das war wirklich passiert.

      Chloe seufzte, als sie meinem Blick folgte. „Ist das dein Ernst? Ace?“

      „Ace“, wiederholte ich mit fremd klingender, verträumter Stimme. „Ist das sein Name?“ Ich deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Jungen.

      Chloe stöhnte leicht, nickte aber. „Ja, das ist Ace, also sein ganzer Name ist Acevado, aber wieso interessiert dich das überhaupt?“, fragte sie und sah mich scharf an. Ich versuchte, ihrem Blick auszuweichen, doch sie verengte ihre Augen zu Schlitzen und schlug sich dann die Hände vors Gesicht. „Oh nein, ich wusste es! Du hast ihn nur einmal angesehen und dich gleich in ihn verliebt, stimmt’s oder hab ich recht?“

      War das so? Ich sah erneut zu Acevado hinüber und merkte, dass mir ein wohliger Schauer über die Haut lief. Ja, sie hatte recht. Verdammt. Mir war nicht klar gewesen, dass Verlieben so schnell gehen kann. Ohne auch nur ein Wort aus seinem Mund gehört zu haben, hatte ich mich Hals über Kopf in ihn verknallt. Dabei wusste ich gar nicht, wie er so drauf war, vielleicht nuschelte er oder er sprach gar nicht, weil er stumm war, oder er hatte nur so Machosprüche auf Lager wie Floyd.

      Aber irgendwie wusste ich, dass es nicht so war.

      Dann erinnerte ich mich an Chloe und wandte mich wieder an sie. Ihr Blick hatte etwas Genervtes, was mich sofort verunsicherte. Was, wenn sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, wenn ich ihr gestand, dass sie richtig lag? Aus welchen Gründen auch immer


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