Der Schlüssel zur Tragödie. Caroline Dänzer

Der Schlüssel zur Tragödie - Caroline Dänzer


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Sophoklesdes SophoklesOid. T.Königs,SophoklesOid. T.1 der die Verheerungen der Pest Thukydidesin SophoklesTheben beschreibt.Lucrez2 OedipusTragödienOedipus versucht den Grund für dieses Leid zu begreifen. Er vermutet hinter der Pest eine finstere Ursache. Seine gesamte Rede ist geprägt von einer unbestimmten Furcht, die er TragödienOedipusempfindet (horrore quatior).TragödienOedipus3 Die Ahnung einer eigenen Mitschuld schwelt in ihm, da er von der Krankheit bisher verschont wurde (cui reservamur malo?, 31) und er argwöhnt, dass seine Vergangenheit mit der Bestrafung der Stadt zusammenhängen könnte (sperare poteras sceleribus tantis dari / regnum salubre? fecimus caelum Sophoklesnocens, 35–36).SophoklesOid. T.4 Er versucht diese Beunruhigung jedoch zu negieren, da er glaubt, der unheilvollen Prophezeiung des Apollonorakels entronnen zu sein und so den drohenden Inzest vermieden und die Naturgesetze durch sein freiwilliges Exil gewahrt zu haben (tua, / natura, posui iura, 24–25). Selbst an die Königsherrschaft, durch ihre herausgehobene Stellung stets gefährdet, sei er nur zufällig geraten (in regnum incidi, 14). Dass er das Orakel durch die Tötung des Laius und die Heirat mit Iocaste schon längst erfüllt hat, ist ihm nicht bewusst. Und so bleibt er ratlos angesichts der grausamen Strafe, mit der sein Reich geschlagen wird. OedipusTragödienOedipus, der Rätsellöser par excellence, steht vor einem Mysterium, für das er keine Erklärung finden kann. Er hofft schließlich auf Hilfe von außen: Creon wurde zum Apollonorakel geschickt, um dessen Rat einzuholen.

      Nach dieser Exposition folgt das erste Chorlied (110–201). Dieses behandelt ebenfalls die Pest.5 Die Bezüge zwischen der Rede des Königs und dem Chorlied sind teilweise so eng, dass Lefèvre gar vermutet, es handle sich um einen inneren Monolog des Königs, der die Rede im TragödienOedipusStillen TragödienOedipusweiterspinne.TragödienOedipus6 Es ist jedoch nicht notwendig, dem Chor die Worte aus dem Mund zu nehmen. Gerade der enge thematische Bezug zur dramatischen Handlung ist das Proprium der Lieder. So ist hier die Aufnahme des beinahe identischen Themas keine Redundanz, sondern die selbständige Darlegung der Problematik seitens des Chores.TragödienPhaedra7 Der Unterschied zur Darstellung des OedipusTragödienOedipus liegt in der Perspektive: Im Chorlied sprechen die Bürger von Theben, die vom Leid unmittelbar selbst betroffen sind. OedipusTragödienOedipus ist bei seiner Beschreibung der Pest außenstehender Beobachter, da das Königshaus von der Seuche verschont bleibt. Gerade dies wertet OedipusTragödienOedipus als Indiz für seine Verantwortlichkeit für das Leid, das über die Stadt kommt.

      In den ersten Versen (110–113) wird Thebens desolate Situation beschrieben, die mythische Vorgeschichte und der Indienfeldzug des Gottes Bacchus (113–123). Bacchus, der Schutzgott der Stadt Theben, sei von den Thebanern seit jeher unterstützt worden und so seien sie ihm bis ans Ende der Welt gefolgt,8 um für ihn zu kämpfen.9 Sie selbst entbehrten nun jedoch jeder Hilfe. Die Erwähnung dieses Feldzuges ist auf der einen Seite ein wehmütiger Rückblick auf die glorreiche Vergangenheit, andererseits ein Vorwurf an Bacchus, der die Treue seines Volkes nicht durch göttliche Hilfe belohnt.10 Der Chor äußert Unverständnis für die unbegreifliche Gewalt und identifiziert sie als das Schicksal selbst (labimur saevo rapiente fato, 125). Der Chor fühlt sich diesem saevum fatum schutzlos ausgeliefert und findet keine Erklärung für dessen Grausamkeit. Es folgt eine detaillierte Beschreibung des ungeheuren Ausmaßes der Pest, die durch die persönliche Betroffenheit des Chores die Darstellung des OedipusTragödienOedipus an Grausamkeit deutlich übertrifft. Sämtliche Lebewesen sind von der Pest befallen:11 Haustiere (133–144), Weidetiere und Wildtiere (145–153).12 Makabererweise erkranken die ersten Tiere im Moment ihrer Vergilgeorg.Opferung,Vergil13 einer gottesfürchtigen Handlung (135–138). Die Seuche scheint sich somit durch religiös korrektes Verhalten nicht aufhalten zu lassen. Nach den Tieren wird auch die Flora befallen und vernichtet Vergil(154–158).VergilAen.14 Schließlich werden durch diese universelle KontaminationTragödienOedipus15 sämtliche Naturgesetze außer Kraft gesetzt, was sich anhand allerlei düsterer Prodigien zeigt (160–179). Der gesamte Kosmos ist von der Pest befallen.16 Die verschiedenen Episoden des Grauens, die daraus resultieren, ermangeln jeder rational erfassbaren Struktur und versinnbildlichen so das Chaos, das auf der Erde herrscht.17 Der Chor nimmt nun die Auswirkungen der Krankheit auf das Individuum in den Blick und zählt deren Symptome auf (180–201). Anders als OedipusTragödienOedipus, der keinen direkten Kontakt mit der Krankheit hat und der vor allem die Folgen, nämlich die zahlreichen Begräbnisse beschreibt, kann der Chor hier ins Detail gehen, da die Bürger von Theben die Krankheit am eigenen Leib erfahren. Die Qualen seien schlimmer als der Tod (o dira novi facies leti, / gravior leto, 180–181): Der Körper sei schwach (piger ignavos alligat artus / languor, 182–183) und von fiebriger Hitze geplagt (tum vapor ipsam / corporis arcem flammeus urit, 184–185), Blut tropfe aus den Nasenlöchern (stillatque niger naris aduncae / cruor, 189–190) und die Kranken stöhnten vor Schmerz (intima creber viscera quassat / gemitus stridens, 191–192). Schließlich erbäten die Menschen den Tod von den Göttern als Erlösung (prostrata iacet turba per aras / oratque mori, 197–198).TragödienOedipus18 Dies wäre der einzige Ausweg, den die Götter noch gewährten, andere Rettung werde verweigert (delubra petunt, haut ut voto / numina placent, / sed iuvat ipsos satiare deos, 199–201).19 Unbegreifliches Leid und die Absenz göttlicher Hilfe stehen in diesem ersten Chorlied schroff nebeneinander. Somit wird das Leitthema der Tragödie dargelegt: Wie ist es möglich, dass in einer Welt, die vom göttlichen fatum gelenkt wird, das dem Menschen leitende Konstante und schützende Macht sein soll, gleichwohl Unglück existiert, und sich das Schicksal als schlecht und sinnlos erweisen kann? Hier geht es also um die Theodizeefrage. Der Chor zeigt sich zunächst genauso ratlos wie OedipusTragödienOedipus selbst.20 Die ausführliche Schilderung der aus nächster Nähe erlebten Krankheitssymptome lässt seine Verzweiflung dabei noch greifbarer wirken als die des OedipusTragödienOedipus, der von der Pest selbst nicht betroffen ist. Im Folgenden wird ein Verständnisprozess eingeleitet, um die Herkunft des Leids zu begreifen.

      4.1.2. Göttliche Strafe für vorsätzlichen Frevel

      Creon kehrt vom Orakel zurück und referiert dessen Antworten. Diese sind voll von manifesten Anspielungen auf OedipusTragödienOedipus.1 Trotzdem sind weder Creon noch OedipusTragödienOedipus selbst in der Lage, den Inhalt zu verstehen (responsa dubia sorte perplexa iacent, 211). OedipusTragödienOedipus versucht deswegen, die Umstände des Todes von Laius genauer zu ergründen und befragt Creon ausführlich zu den Begebenheiten. Auch hier findet sich eine Vielzahl von deutlichen Hinweisen auf seine eigene Beteiligung, doch anstatt die Wahrheit zu finden, entfernt sich OedipusTragödienOedipus immer mehr von der Erkenntnis, der er doch während seines Prologs schon recht nahe gekommen TragödienOedipuswar.TragödienOedipusTragödienOedipus2 Um mit Hilfe der Götter die Lösung zu finden, wird der blinde Seher Tiresias herbeigerufen, um zusammen mit dessen Tochter Manto eine Opferschau zur Erhellung von Apolls Willen zu vollziehen. Sowohl das Verhalten der Flammen (307–334a) als auch der Opfertiere (334b–344), das Aussehen der Wunden (345–351) und schließlich der Eingeweide (352–383) geben Hinweise auf OedipusTragödienOedipus, doch dieser sieht sich weiterhin außer Stande, die Zeichen zu deuten.TragödienOedipusTragödienOedipus3 Das Extispicium zeigt deutlich: Allem Aufwand zum Trotz, der hier betrieben wird, bleiben die Götter unverstanden. Sie geben zwar Hinweise auf OedipusTragödienOedipus als Ursache des Leids, aber diese sind zu kryptisch, um für einen nicht Eingeweihten verstanden zu werden. Ferner fehlt jegliche Anleitung, um die Situation zu verbessern. Die Götter stellen den Menschen vor vollendete Tatsachen. Sich um sie zu bemühen, ist im Grunde nutzlos. Diese Einstellung mag epikureisch anmuten, doch gibt es in Senecas Konzeption einen wesentlichen Unterschied: Eine göttliche Macht existiert nicht nur, sondern plant aktiv das Leben der Menschen und lenkt es unerbittlich in die vorgeschriebenen Bahnen. In Thebens Schicksal ist dabei eine gütige providentia nicht zu erkennen.4 Die menschliche Existenz wird damit absurd.TragödienOedipus5 Schließlich wird der Entschluss gefasst, eine Totenbeschwörung durchzuführen, um Laius selbst nach seinem Mörder zu fragen. Am Ende des zweiten Aktes findet somit eine Abwendung von der Vorgehensweise statt, bei den Göttern Hilfe zu suchen, da diese zweimal gescheitert war.

      Das zweite Chorlied


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